EU-weites Farbverbot erzürnt Tattoo-Künstler: „Das ist eine Katastrophe“

Nach den erheblichen Einkommenseinbrüchen durch die Pandemie folgte Anfang 2022 der nächste Schlag für die Tattoo-Szene. Durch eine neue EU-Vorgabe sind seit dem 4. Januar nahezu alle Tattoo-Farben verboten.
Gießen-Hungen - Steffen Wenzel betreibt zusammen mit seiner Frau das Tattoo-Piercing-Studio „Forever“ in Hungen. Im Interview spricht er über die Bedeutung des EU-weiten Farbverbots für die Tattoo-Branche und darüber, wie es nun weitergehen soll.
Herr Wenzel, wie sind Sie bislang durch die Pandemie gekommen?
Es war sau anstrengend, manchmal auch sehr grenzwertig. Wir mussten das Geschäft für sechs Monate schließen. Auch danach lief es nur schleppend weiter.
Wie groß waren denn die Umsatzeinbußen?
Wir haben etwa 50 bis 60 Prozent weniger verdient. Denn auch nachdem wir wieder öffnen konnten, waren viele Kunden einfach zu verunsichert, um sich ein Tattoo stechen zu lassen.
Und jetzt folgt das Farbenverbot. Was bedeutet das für Sie?
Das ist einfach eine Katastrophe. Wir haben seit 25 Jahren die Farben benutzt und nur gute Erfahrungen gemacht. Und von einem Tag auf den anderen sollen die krebserregend sein oder schwere allergische Reaktionen auslösen. Jetzt mussten wir alles wegwerfen. Farben für 500 bis 600 Euro sind einfach in der Mülltonne gelandet. Und das obwohl wir nicht einmal ein riesiges Farbangebot hatten. Bei anderen Studios war das noch deutlich mehr. Aber die Farben einfach weiter nutzen, das wäre jetzt illegal - das geht ja auch nicht.
Wie haben denn die Kunden auf die Einschränkung der Farben reagiert?
Einige waren erneut sehr verunsichert. Manche haben sich auch Sorgen gemacht, da sie sich vor einigen Jahren mit den nun verbotenen Farben haben tätowieren lassen. Die wollten wissen, ob es da jetzt Probleme geben kann. Andere haben sich aber noch schnell ihre farbigen Tattoos machen lassen, bevor es nicht mehr ging.
Gab es also in den letzten Tagen im Dezember noch einmal einen Ansturm auf farbige Tätowierungen?
Einige Kunden haben noch die Gelegenheit genutzt, um sich auf den letzten Drücker ihr Motiv stechen zu lassen. Wir haben mit den alten Farben noch bis zum letzten Moment weitergearbeitet.

Tattoo-Farben-Verbot durch EU-Verordnung: Erlaubte Farben doppelt so teuer wie alte
Was ist denn bei Ihnen im Studio mehr gefragt? Farbige Tattoos oder in Schwarz-Weiß?
Früher waren es überwiegend schwarz-weiße Motive. Aber die bunten Motive wurden über die Jahre immer mehr. Heute würde ich sagen, dass es sich in etwa die Waage hält - mit leichter Tendenz hin zu farbigen Motiven.
Und wie geht es jetzt ohne Farben weiter?
Unser Studio hat an dem Morgen, an dem die Verordnung in Kraft trat, eine Kiste mit neuen und erlaubten Farben bekommen. Wir können also weitermachen.
Es gibt also doch noch Tattoo-Farben?
Ja. Überall ist zu lesen, dass es keine Farben mehr geben würde, das stimmt aber nicht. Wir haben uns schon frühzeitig um andere Möglichkeiten bemüht, und es gibt einen Hersteller, der bereits neue und erlaubte Farben anbietet. So weit ich weiß, sind wir eines der ersten Studios, die die neuen Farben bekommen haben. Es sind nur die Grundfarben, also blau, gelb, rot und grün, aber wir können weiterhin bunte Tattoos anbieten. Allerdings haben wir keine Erfahrungen mit den neuen Farben.
Wie wichtig ist denn diese Erfahrung?
Sehr wichtig. Mit den alten Farben hatten wir mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung und konnten unsere Kunden entsprechend beraten. Bei den neuen Farben wissen wir einfach nicht, ob sie nach ein, zwei oder mehr Jahren wieder verblassen. Das werden erst die kommenden Jahre zeigen.
Lohnt sich das Geschäft auch weiterhin?
Es muss - sonst würde ich Hartz IV anmelden. Aber es ist schwierig, auch weil die neuen Farben fast doppelt so teuer sind wie die alten. Aber unser Studio gibt es schon sehr lange und ich denke, wir kommen über die Runden. Selbst wenn jetzt alle Farben komplett verboten werden würden, könnten wir uns mit schwarzen Tattoos über Wasser halten. Studios, die noch nicht so alt sind, haben es aber wahrscheinlich viel schwerer.
Neue EU-Verordnung für Tattoo-Farben
Durch die sogenannte REACH-Verordnung wurden in der EU nahezu alle bisher gängigen Tattoo-Farbtöne, außer Schwarz und Weiß, verboten. Der Grund: Die enthaltenen Konservierungs- und Bindemittel stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Ab 2023 sollen auch die beiden noch erlaubten Pigmente Blau 15:3 und Grün 7 verboten werden. (con)