Das fast perfekte Kaninchen

Mit acht Jahren hat Gerhard Kullbach sein erstes Kaninchen gezüchtet. Sein Vater hat nicht glauben können, als er dem Tier Wasser gab. Nach mehreren Deutschen Meisterschaften und Jahrzehnten als Preisrichter hängt der Garbenteicher sein Hobby an den Nagel. Warum?
Wenige Wochen erst ist es her, da geriet Gerhard Kullbach noch einmal mächtig ins Schwärmen. Er stand in der Rahberghalle in Oppenrod. Vor ihm auf dem Tisch hatte ein schwarzes Alaska-Kaninchen Platz genommen. Das Gewicht, das weiche Fell, die Körperform - »da hat alles gepasst. Ein Kracher« Es war das fast perfekte Kaninchen. Kullbach, der Preisrichter, gab die äußerst seltene Gesamtwertung von 98 Punkten.
Es war ein letzter Glanzpunkt in der Laufbahn des Garbenteichers als Preisrichter und Kaninchenzüchter. Zum Ende des Jahres hört er auf. »Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, muss man Nein sagen«, erklärt der 75 Jahre alte Garbenteicher. Er verspüre keine große Lust mehr, »am Wochenende morgens um sechs Uhr zu Schauen nach Dillenburg« zu fahren. Das Hobby der Kaninchenzucht sei ohnehin auf dem absteigenden Ast, sagt er. Früher habe er als Preisrichter an 30 Schauen im Jahr teilgenommen. »Heute sind es nur noch fünf. Es gibt keinen Nachwuchs.«
Kullbach hat mehrere Deutsche Meisterschaften als Kaninchenzüchter gefeiert. Zeitweise kümmerte er sich um 200 Kaninchen gleichzeitig, die in einem Stall im Hof untergebracht waren, während der gelernte Schlosser im Schichtdienst bei Gail und später bei Voko gearbeitet hat. »Mein Bub, mein Mädchen«, begrüßte er seine Kaninchen. »Ich muss mich mit jedem Tier befassen«, erklärt er.
Mitte der 50er Jahre, mit acht Jahren, hat er mit dem Hobby angefangen. »Es war ein Leasing-Kaninchen«, erzählt er trocken, während er in seiner Küche sitzt. »Es hat hier im Ort zehn Mark gekostet. Jede Woche habe ich 50 Pfennig abgestottert.« Am Abend habe er das Kaninchen dann mit einer Dickwurz gefüttert. »Mein älterer Bruder hat mir einen Stall mit vier Buchten gebaut.«
Als er dem Tier Wasser gegeben habe, »konnte mein Vater das nicht fassen.« Kaninchen habe man damals höchstens Gras oder Heu gegeben.
Als Kind habe er dann mit Freunden an Ausstellungen in Lich, Holzheim und Albach teilgenommen. »Mit dem Fahrrad haben wir uns aufgemacht«, erzählt er schmunzelnd. »Einer hat geschoben, zwei haben die Kiste festgehalten.« Warum er sich damals diese Freizeitbeschäftigung ausgesucht habe? »Es gab nichts außer Kaninchenzucht und dem Gesangverein.«
Mit dem Hobby macht er nach nun 67 Jahren Schluss. »Es gibt keine Rasse, die ich in meinen 47 Jahren als Preisrichter nicht bewertet habe«, sagt er. Die Kaninchenzucht, die Suche nach Perfektion bei der Paarung der Tiere, ist wohlgemerkt eine Kunst, über drei, vier Generationen hinweg. Auch Glück spielt eine Rolle. »Da strebt man nach dem vorzüglichen Fell. Dann ist in der vierten Generation aber die Kopfform etwas zu schmal.« Eine Wertung von 98 Punkten hat er bei eigenen Tieren nie erlebt, gesteht er. »Einmal gab es eine 97,5.«
Wochenenden hat Kullbach in den vergangenen Jahrzehten regelmäßig auf Schauen. verbracht. Auch das Fußball-Weltmeisterschaftsfnale 1974 hat er zwischen Kaninchenkäfigen verfolgt, in der Halle war ein Fernseher aufgestellt. Das Hobby habe ihm Freude bereitet, sagt er. Die Kameradschaft unter Kaninchenzüchtern werde er vermissen. Die sei aber schon in den vergangenen Jahren allmählich geschwunden. Die Preisrichtervereinigung Hessen-Nassau verliert ihren dienstältesten Kollegen.
Er habe keine Kaninchen mehr, erzählt Kullbach. Gänzlich aus dem Hof der Familie sind sie allerdings nicht verschwunden. Urenkelin Nele, sieben Jahre alt, kümmert sich bereits um fünf Exemplare in einem Stall. Versteht sich, dass Uropa Gerhard - wenn auch nicht mehr in Hauptverantwortung - immer wieder ein Auge über Neles Zucht werfen wird. Und auf eine Regel pocht Kullbach weiterhin: »Kaninchen gehören nicht in die Wohnung.«
