1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

»Da ist schon großes Tempo drin«

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Thomas Brückner

Kommentare

Schon eine Überraschung: Bei der Bürgermeisterwahl in Grünberg obsiegte Marcel Schlosser (CDU) mit 51,3 Prozent gegen Amtsinhaber Frank Ide (FW). Vor 100 Tagen hat er erstmals im Chefsessel des Rathauses Platz genommen. Zum langsamen Eingewöhnen aber blieb keine Zeit, nicht nur wegen der 800-Jahr-Feier. Im Interview berichtet er unter anderem von einem hohen Arbeitstempo und unfreundlichen Posts.

Herr Schlosser, Sie waren zuletzt Kassenleiter beim Städteservice Laubach-Lich. Wachen Sie manchmal noch auf und denken: »Mensch, du bist jetzt Bürgermeister!«

Die Umstellung ging schon schnell vonstatten. Manchmal aber beschleicht mich das Gefühl, das noch gar nicht richtig wahrgenommen zu haben. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, man ist gewissermaßen das »Schlusslicht«, fällt die Entscheidung: A oder B?

Da kommt ein neuer, dazu recht junger Chef ins Rathaus, nicht immer läuft das reibungslos ab…

Gut, ich stand ja jahrelang auf der »anderen Seite«. Zu den Aufgaben eines Stadtverordneten zählt schließlich die Kontrolle der Verwaltung. Dennoch wurde ich gut und ohne Vorbehalte aufgenommen. Zupass kam, dass ich viele schon gekannt habe. Das »Du« allerdings habe ich nicht gleich jedem angeboten.

Welches Verhältnis zu ihren Mitarbeitern streben Sie an?

Ich wünsche Kollegialität und Loyalität, werde meinerseits auf Augenhöhe kommunizieren. Dem Anspruch an mich selbst, einen offenen, kooperativen Führungsstil zu pflegen, konnte ich bisher gerecht werden. Nur: Die Entscheidungen treffe am Ende ich, das gilt es dann auch zu respektieren.

Der positivste Eindruck nach 100 Tagen Chef?

Besonders freue ich mich, dass jetzt eine so gute Stimmung im Haus herrscht. Wie mir erzählt wurde, lachen die Leute manchmal sogar auf dem Flur und sind trotz der vielen Arbeit hoch motiviert.

Stimmt es, dass Sie dennoch mit jedem der 241 Mitarbeiter, davon 120 in den Kitas, ein Personalgespräch führen wollen?

Ja, geht es mir doch darum zu erfahren, wo jeden den Schuh drückt, welche Anregungen, Wünsche er hat. 71 Gespräche, zwischen 20 und 60 Minuten, sind bereits geschafft.

Laufen Mülleimer über, sind Gräben nicht geräumt, bekommt das zuvörderst der Bürgermeister ab. Wie ist es um den so Bauhof bestellt?

Wir sind in der Umsetzung des Organisationsgutachtens eines Fachbüros. Was übrigens nicht so gut bei den Mitarbeitern ankam. Was die von der Unfallkasse festgestellten Mängel angeht, so sind die drängendsten behoben. Auch wurden zwei weitere Gärtner eingestellt, personell sind wir daher nun gut aufgestellt.

Zu wenig Manpower, das einzige Problem?

Ich denke, es hat vor allem auch an der Wertschätzung gefehlt.

Zu wenig Personal in Zeiten knapper Kassen, wie damit klarkommen?

Vor allem trifft das die Bauabteilung. Aktuell 20 bis 30 Hoch- und Tiefbaumaßnahmen - jeweils. Neue Großprojekte wie das Gerätehaus Lehnheim und, und, und. Die kommen gar nicht hinterher. Mag sein, dass die Politik auch ein Stück weit mit schuld ist, da mit dem DGH Harbach Erwartungen andernorts geweckt worden sein könnten.

Werden aber nicht zwei neue Kräfte eingestellt?

Ja, wir sind gerade im Verfahren. Doch ist der Markt leergefegt, Diplom-Ingenieure und Techniker sind kaum zu kriegen. Hinzu kommen Lieferprobleme. Die neuen Mitarbeiter müssen jetzt eingearbeitet werden, dann werden wir schauen.

Mehr Sauberkeit in den Straßen, mehr Sicherheit - eine Forderung in ihrem Wahlkampf. Wie ist darum bestellt?

Da hat es gebrannt. Doch haben wir ja jüngst zwei Hipos eingestellt, einer hat bereits seine Bestellung, sodass wieder Verkehrskontrollen möglich sind. Noch zwei bis drei Stellen, etwa fürs Hauptamt und das Vorzimmer, und der Personalbedarf wäre gedeckt.

Bleibt für Sie zu hoffen, dass das Stadtparlament das auch so sieht. Wie ist das Verhältnis mit der »anderen Seite«?

Wir können froh sein: Anders als anderswo kommt man in Grünberg gut miteinander aus.

...auch mit den Freien Wählern?

Klar, dass die Wahlniederlage die Freien Wähler noch fuchst, sie stellen nicht mehr den Bürgermeister, auch wurde ihnen der Erste Stadtrat »weggenommen«. Wir haben das aber in einem Gespräch ausgeräumt. Doch auch vermittelt: Der Wähler hat nun mal entschieden. Jetzt merkt ihr mal, wie es uns ging (FW-Mann Ide beendete 2004 die Ära von CDU-Bürgermeistern in Grünberg, die Red).

Etatdefizit von 2,7 Millionen, Inflation, keine Straßenbeiträge mehr - werden Sie den Bürgern demnächst Steuererhöhungen erklären müssen?

Eine Grundsteuererhöhung wird so oder so notwendig sein, die steigenden Energiepreise treffen auch uns.

Für die Abschaffung der Straßenbeiträge, die ein Loch von rund 700 000 Euro reißt, waren aber auch Sie…

Richtig, aber ich hätte etwas gewartet, um zu sehen, wie sich die Gewerbesteuer entwickelt, wenn das Gewerbegebiet Lumda steht. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Zum einen finde ich die Abschaffung gut, da auch andere Kommunen so entschieden haben. Als Verwaltungschef weiß ich jedoch um die Belastung für die Stadtkasse.

Herrscht denn Ebbe im Stadtsäckel?

Nein, aktuell sieht es so aus, als könnten wir das Defizit fast ausgleichen. Die Gewerbesteuer liegt weit höher als erwartet, die Ausgaben darunter, auch weil Stellen nicht besetzt werden konnten. Nach einem Kassensturz im Herbst sollten wir entscheiden. Wenn wir den Satz von 396 Prozent moderat erhöhen, jedoch weiter zu den Kommunen mit den niedrigsten Sätzen gehören, sind wir immer noch attraktiv.

Die Entscheidung fällt letztlich das Stadtparlament. Wie verstehen Sie ihre Aufgabe im Verhältnis zum Plenum?

Ich sehe das Amt so, dass ich nach den Prinzipien von Wahrheit und Klarheit alle Fakten und Varianten darlege. So wie wir jetzt für die Kita Lumda neben einem Umbau eine Machbarkeitsstudie für einen Neubau in Auftrag geben. Wie es am Ende werden soll, das ist Sache der Politik.

In die nahe Zukunft geschaut, was steht noch auf ihrer Agenda?

Neben den Bauprojekten und dem Gewerbegebiet wird uns der Glasfaserausbau beschäftigen, den übrigens jüngst die Telekom für 2023 für die Kernstadt anvisiert hat.

Was hat Priorität?

Ganz klar, der Fehlbedarf bei den Kitas. Auch in der Kernstadt, wo eine vierte Einrichtung im Schwedendorf auf dem Weg ist. Grundsätzlich gilt für mich: Erstmal den Rieseninvestitionsstau abarbeiten, da ist schon großes Tempo drin. Und: Nichts versprechen, was nicht zu halten ist.

100 Tage - ganz ohne Enttäuschung?

Nein, kaum vier Wochen im Amt, bekam ich sechs, sieben unfreundliche Posts. Da hieß es: »Was ist denn nun mit dem versprochenen Hallenbad!?« Dabei gab es kein Versprechen, nur die Zusage, das neu zu diskutieren. Ohne einen Investor wird es aber nicht gehen. Auch könnte ich mir eine Überdeckung fürs Freibad als Alternative vorstellen.

Auch interessant

Kommentare