Viele Corona-Ausfälle im Kreis Gießen: „Jetzt darf nichts mehr schieflaufen“
Die Inzidenz im Kreis Gießen bewegt sich jenseits der 1000er-Marke. Wie ist es um die Krankenstände bestellt? Nachgefragt bei Kommunen und Betrieben.
Gießen - Vor Wochenfrist hatte der Heuchelheimer Rathauschef Lars Burkhard Steinz über knappe Besetzung in der Verwaltung geklagt, sprach von einem Mix aus Corona und anderen Krankheiten. Insbesondere die Bauabteilung im Rathaus war und ist arg geschwächt. »Wir kommen noch zurecht, aber neue Sachen können wir zurzeit nicht anfangen«, sagt Steinz auf Nachfrage. Wenig später schiebt er noch nach: »Der Betrieb läuft weiter in Verwaltung und Kindergärten, aber jetzt darf nichts mehr schieflaufen.«
Die Bilder ähneln sich, wie eine stichprobenhafte Nachfrage in anderen Rathäusern zeigt: Im Grünberger Rathaus und beim städtischen Betriebshof läuft es rund. Aber der Krankenstand bei den Erzieherinnen in den Kitas liegt bei mittlerweile 20 Prozent; in den meisten Fällen wegen Corona. Einschränkungen in der Kinderbetreuung gebe es aber nicht. Um das zu vermeiden, schieben die Kolleginnen Überstunden. »Alle Mitarbeiterinnen sehnen jedoch die Schließung der Kindertagesstätten in den Sommerferien herbei«, ließ Grünbergs Bürgermeister Marcel Schlosser wissen.
Corona im Kreis Gießen: Pandemie bringt Digitalisierung voran
In Staufenberg hat es den Bürgermeister persönlich erwischt, aber derzeit als Einzigen. Peter Gefeller arbeitet in Quarantäne von zu Hause aus. Das Rathaus sei wenig betroffen, versichert er. Denn dank guter digitaler Technik können alle Mitarbeiter auch zu Hause arbeiten. Und dank meist milder Krankheitsverläufe wurde und wird dies auch vielfach praktiziert.
Bei allem Stress mit der Pandemie kann Gefeller dem sogar etwas Gutes abgewinnen: »Corona hat bei der Digitalisierung unserer Verwaltung extrem geholfen, sie zumindest erheblich beschleunigt.« Fast 100 Dienstleistungen im Rathaus seien in den vergangen zwei Jahren digitalisiert worden. Das Online-Bürgerserviceportal werde reichlich genutzt. Es erspart den Menschen nicht nur den Weg ins Rathaus, sondern ermöglicht den Mitarbeitern, die Dienstleistungen digital von zu Hause aus zu erbringen.
Kreis Gießen: Kreisverwaltung Wettenberg funktioniert trotz Ausfällen
In Wettenberg gab es im Juni nur 6, im Juli bislang 7 Corona-Fälle von Erzieherinnen, Bauhof- oder Verwaltungsmitarbeitern. Zum Vergleich: Im Februar waren es 23. Auch wenn jeder Ausfall eine Belastung sei, so werde versucht, den Service nicht einzuschränken, sondern durch erweiterte Sprechzeiten sogar auszubauen. Eben um Kontakte zu entzerren und das Infektionsrisiko zu senken, schildert Hauptamtsleiter Christoph Ludwig.
Corona hin, Inzidenz her - auch die Kreisverwaltung funktioniert nach Auskunft von Sprecher Dirk Wingender: Es gab und gibt Ausfälle wegen Covid-Infektionen. Reduzierte Sprech- oder Öffnungszeiten gibt es allerdings in keinem Bereich. Nur in der Kfz-Zulassungsstelle kann es laut Wingender zeitweise zu Engpässen in der Bearbeitung des Publikumsverkehrs und in der telefonischen Erreichbarkeit kommen.
Kritische Infrastruktur im Kreis Gießen stabil
Und wie sieht es bei der sogenannten kritischen Infrastruktur aus? Bei den Feuerwehren oder im Licher Krankenhaus? »Wir sind genauso betroffen wie das ganze Land. Es wäre schön, wenn ich was anderes sagen könnte«, seufzt Patricia Rembowski, die Sprecherin der Asklepios-Klinik in Lich. Aber es gebe derzeit nichts, wo man Alarm auslösen müsse: »Wir sind aktuell in der Situation, dass wir krankheitsbedingte Ausfälle kompensieren können.« Von Anfang an gebe es einen sehr gut funktionierenden hausinternen Corona-Stab, der die Situation im Blick habe und je nach Lage schnell entscheide. Denn es gilt als oberstes Gebot: Akutfälle müssen behandelt werden, die Notfallversorgung funktioniert.
Der Brandschutz bleibt ebenfalls sicher. In den vergangenen zwei Jahren gab es Feuerwehren, die mit Kreisbrandinspektor Mario Binsch Rücksprache gehalten haben, wie die Alarmierung sichergestellt werden kann. In den letzten Wellen hätten bereits verschiedene Alarmierungsmaßnahmen angepasst werden müssen. Die meisten Feuerwehren haben laut Binsch eine App, mit der sich grundsätzlich die Einsatzkräfte einsatzbereit melden. Das heißt, der Leiter der jeweiligen Feuerwehr hat im Blick, wer verfügbar ist und wer im Urlaub, zur Arbeit in Frankfurt, bei der Kinderbetreuung oder eben krank.

Corona in Gastronomie: „Mitarbeiter müssen kreativ sein“
Wenn die Zahl der fehlenden Einsatzkräfte zu groß wird, dann kann dies der Leiter der Feuerwehr bei der Leitstelle melden. Dann wird die Alarmierung über die Leitstelle angepasst, erläutert Binsch. Konkret: Dann werden Nachbarwehren mit alarmiert, sodass stets ausreichend Einsatzkräfte bereitstehen.
Das geht in der Gastronomie nicht ganz so einfach. Aber zwei zufällig ausgewählte und befragte Betriebe haben aktuell wenig Probleme zu beklagen. Markus Strasser, »Anker«-Wirt und Betreiber der Freizeitanlage am Dutenhofener See weiß um das grundsätzliche Problem, gute und zuverlässige Kräfte für den Service zu finden.
»Aber da klage ich nicht für mich, sondern für unsere Branche«, sagt Strasser. Sein Betrieb - Restaurant, Badesee, Campingplatz - läuft mit 20 Festangestellten und 20 Aushilfen im Sommer. Derzeit sei die Personalsituation am See gut, und wenn denn jemand erkrankt ausfalle, »dann muss das irgendwie von den anderen Kräften kompensiert werden. Dann schreibe ich den Dienstplan um, die Mitarbeiter müssen ebenfalls kreativ sein«.
Gastronom in Lich (Kreis Gießen): regelmäßiges Testen bewährt sich
Markus Müller »Klosterwald«-Gastronom nahe Lich, setzt bei seinen 34 zumeist Festangestellten weiter aufs regelmäßige Testen, um Probleme sofort erkennen zu können: »Unser Krankenstand ist derzeit sehr niedrig; es fehlten nur zwei Kräfte im Team.« (Rüdiger Soßdorf)
Die hohen Corona-Krankenstände im Kreis Gießen bekommen nicht nur Betriebe und Verwaltung zu spüren, sondern auch die Sportvereine. So bremste die Pandemie beispielsweise den Lauftreff Biebertal aus. Viele Läufer und Walker blieben in den vergangenen beiden Jahren Zuhause.