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»Vom Heimkind zum Rapstar«

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Von: Volker Heller

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Rapper im Hauptberuf: Marcel Schulz arbeitet zurzeit an 

einem Album. Es soll im Frühjahr erscheinen.	FOTO: VH
Rapper im Hauptberuf: Marcel Schulz arbeitet zurzeit an einem Album. Es soll im Frühjahr erscheinen. FOTO: VH © Volker Heller

Buseck (vh). Anscheinend ist Großen-Buseck ein gutes Pflaster für außergewöhnliche Musikfreaks. Michael Stöckel etwa entlockt dem Didgeridoo urweltliche Laute und bearbeitet synchron dazu Klaviertasten. Die professionelle Rapperszene im Gießener Land ist ebenso dünn wie die Anzahl australischer Obertonspezialisten. Wer hätte das gedacht: In einem der Hochhäuser aus den 70er Jahren am Nelkenweg betreibt Marcel Schulz, Pseudonym Kid Soul, im zweiten Stockwerk ein Tonstudio.

In dessen Ausstattung will er weiter investieren. Gerne würde Schulz woanders seine Zelte neu aufschlagen, momentan ist daran kaum zu denken. Auftritte vor Schulklassen sind aufgrund der Corona-Krise unmöglich. Der 29-Jährige rappt hauptberuflich, immer mit dem Ziel, Gewalt zu ächten. Er produziert diese Musik und ist nebenbei noch Webdesigner.

Schulz’ Vater hatte dem Jugendlichen das Keyboardspielen beigebracht. Musik gehört zu seinem Lebenslauf. Es gab Berührungspunkte mit dem Rap, frühe Techno-Produktionen.

Rapper als Beruf: »Ehrlich, ich wollte das nie werden«, gesteht Schulz. Es war Anfang der 2010er Jahre, BedoBlack, Rap-Vorkämpfer aus Gießen, wetterte im Jugendzentrum Grünberg energisch gegen Gewalt. Zuhörer Schulz war hin- und her gerissen.

Nachahmenswertes Vorbild

»Die Kids haben gejubelt, der helle Wahnsinn«, so Schulz. Er selber hörte Texte die ins Ohr gingen, aber nicht mehr hinaus, sie transportierten eine emotionale Botschaft und wirkten nach. Beats trafen auf das eigene Taktgefühl des Noch-Zweiflers und pulsierten dort harmonisch weiter. Schulz sah in BedoBlack plötzlich das nachahmenswerte Vorbild und näherte sich dem aktiven Rap unaufhaltsam.

Bei BedoBlack konnte er hospitieren. Der nahm ihn mit zu gemeinsamen Schulauftritten. Ihre Botschaft richtete sich gegen Mobbing und Rassismus. Schulz: »Wir wollten die Kids motivieren.« Es ging um die Vermittlung eines Lebens- gefühls, »dass es nicht nur schlechte Dinge gibt«.

Man wollte auch ein Vorsorgeprogramm für schlechte Zeiten vermitteln. Wenn es dicke kommt, »trotzdem an sich selber glauben«, so Schulz.

Erlebnisse der Jugendzeit sind eine Blaupause für seine Texte. Er vermittelt keine abgegriffenen Statements, seine Aussagen sind authentisches Material. »Ich war schwer erziehbar«, gesteht er. Da gab es den Heimaufenthalt und Betreuer, aber, »ich fühlte mich nicht frei, mich denen anzuvertrauen«. Dann suchte er Therapeuten auf, Depressionen raubten den nächtlichen Schlaf. »Die haben zugehört, aber nicht geholfen«, so die nüchterne Erkenntnis.

Was folgte, war jene Selbsttherapie durch Rap. Seine Depressionen habe er im Griff, sagt Schulz. Er verarbeite Probleme textlich. Es entstehen authentische Songs zum Inspirieren. Kommentare etwa auf Instagram bestätigten das. Schulz ist heute im Hauptberuf Rapper und »selbst erstaunt darüber. Ich kann davon leben.«

Nebenbei gestaltet er Webseiten für Firmen. Musiker aus Gießen haben sein Studio wahrgenommen. Das ist im Aufbau.

Sein neues Album »Zahltag« baut er gerade zusammen. Sieben bis acht Songs sind vorgesehen.

Zwischen Januar und März soll es erscheinen. Schulz will seinen Emotionen mal so richtig Luft machen: Es soll ein Aufschrei werden aus »Schmerz, Hass und Liebe. Songs, worin ich sage, wie ich zum Rap gekommen bin.« Ein Buch soll ebenfalls darüber informieren. »Vom Heimkind zum Rapper« könnte es heißen oder, Schulz greift nach den Sternen, »...zum Rapstar«. Das Folgealbum würde jedenfalls den Buchtitel aufnehmen.

Noch ist der Platz zwischen den Buchdeckeln frei. Das Werk soll dann auch über die Ladentheke gehen. Mit dem Album will Schulz so viele Auftritte wie möglich geben. Termine kann er wegen Corona vorerst keine machen, aber er denkt über einen Livestream nach. Die fertige Single von Kid Soul aus diesem Jahr heißt übrigens »An uns gedacht«.

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