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In Nostalgie schwelgen

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Von: Siglinde Wagner

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Kurt Sternberger und Dr. Jörg Siemer (l.) ziehen das Publikum in ihren Bann.
Kurt Sternberger und Dr. Jörg Siemer (l.) ziehen das Publikum in ihren Bann. © Siglinde Wagner

Buseck (siw). Deutsche Schlager, Operettenmelodien und Chansons von 1920 bis zu den Anfängen des Wirtschaftswunders bot am Sonntag das Duo »Kurt und Schmerzlos« aus Wiesbaden im Vorgarten der ehemaligen Synagoge. Zu seinem mittlerweile vierten Sommerkonzert hatte der Freundeskreis »Anger 10« eingeladen. Kurt Sternberger (Bariton und Conférencier) und Dr. Jörg Siemer (Violine) hatten sich zur Verstärkung Jürgen Schmidt (Piano und Akkordeon) mitgebracht. Für die zahlreichen Gäste war es ein Genuss, bei den unvergesslichen alten Melodien einmal so richtig in Nostalgie schwelgen zu können.

Aus der »Dreigroschenoper«

Der erste Konzertteil war dem deutschen Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht (1898-1956) gewidmet. »Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.« Zustimmend lächelnd nickte das Publikum, als dieser Satz aus der »Dreigroschenoper« fiel. Die Ballade vom angenehmen Leben und das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes schlugen in die gleiche Kerbe. Die Dreigroschenoper gilt als ein Spiegel, in dem die Gesellschaft als eine bitterböse Hackordnung erscheint, bissig und sarkastisch. Sie birgt heutzutage nicht mehr die Provokation wie 1928, als sie erstmals auf die Bühne kam. Die Lieder sind längst zu vergnüglichen Schlagern geworden. Die von Sternberger eingestreuten Bemerkungen ließen indes Ernsthaftigkeit nicht gänzlich vermissen.

Mit weniger Moral, dafür mit einer kräftigen Prise Romantik und Ironie kamen die Lieder im zweiten Teil daher. Mit flottem Schmiss und köstlicher Mimik interpretierte Sternberger »Ich hab‹ sie ja nur auf die Schulter geküsst«, »Ausgerechnet Bananen«, »Kein Schwein ruft mich an« und »Oh, Donna Clara«. Einfach herrlich! Schmidt legte am Piano oder Akkordeon das klangliche Fundament. Dr. Siemer (der als Arzt schmerzlos behandeln kann, daher rührt der Name des Duos) führte die Geige mit feinem Strich. Als Solist brillierte er zwischen Sternbergers Zitaten aus Brechts Tagebuch »Der Stückeschreiber« und »An die Nachgeborenen«.

Wiener Schmäh

Zum Auftakt des dritten Konzertteils stand »Csárdás« in einem rein instrumentalen Arrangement von Vittorio Monti für Violine und Piano auf dem Programm. »Erika«, »Fräulein, Pardon«, »Schau mich bitte nicht so an« (die deutsche Fassung von Ralf Siegel aus 1947 von »La vie en rose«) und weitere Evergreens aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgten. Alles Stücke, die Sternberger mit ausgezeichneter Stimme und viel Charme vortrug. Inzwischen war der vorgesehene zeitliche Rahmen längst überschritten. »Wir müssen unser Programm kürzen und noch einmal wiederkommen,« sagte Sternberger. Zustimmender Applaus! Vielleicht zur Einweihung, wenn der Saal der Synagoge saniert ist? Schön wär’s!

Zum Ausklang mit viel Wiener Schmäh: Sag zum Abschied leise Servus. Zugabe: »Die Juliska, die Juliska aus Budapest«.

In zwei kurzen Pausen konnten sich die Gäste mit Kaffee und Kuchen versorgen und Sternberger sein Outfit wechseln. Die Musiker traten ohne Gage auf. Anstelle von Eintritt wurde um Spenden für die Sanierung der Synagoge gebeten. (Foto: siw)

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