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Ehemalige Synagoge soll Erinnerungs- und Lernort werden

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Massiver Sanierungsstau: Der Erhalt der Bausubstanz der ehemaligen Synagoge Anger 10 in Großen-Buseck ist dringlich. Abdichtungsarbeiten am Dach sind schon erfolgt.
Massiver Sanierungsstau: Der Erhalt der Bausubstanz der ehemaligen Synagoge Anger 10 in Großen-Buseck ist dringlich. Abdichtungsarbeiten am Dach sind schon erfolgt. © Patrick Dehnhardt

Buseck (vh). Die Vision ist schon da: Im Jahr 2021 soll die ehemalige Synagoge »Anger 10« in Großen-Buseck eine Erinnerungsstätte mit einem Lern- und Begegnungsort sein. So formulierte es Martha Kuhl-Greif, Sprecherin der Arbeitsgruppe, die sich für den Erhalt des Gebäudes einsetzt.

Doch bis dahin ist es noch ein langer, schwieriger Weg. »Anger 10 braucht Freunde«, war daher eine Info-Veranstaltung am Mittwoch im Kulturzentrum überschrieben, an der 50 Interessierte teilnahmen. Moderiert wurde sie von Rüdiger Geis, Redakteur der Gießener Allgemeinen Zeitung.

Zurzeit bringen sich 13 Personen ein. »Die können die Arbeit nicht mehr alleine leisten«, sagt Martha Kuhl-Greif, die Sprecherin der Arbeitsgruppe und stellte die Gründung eines Vereins in Aussicht. Das Gebäude hat die höchste Denkmalschutzstufe und ist als ehemalige Synagoge besonders schutzwürdig. Im Rahmen des Förderprogramms »Einfache Stadterneuerung« war 2011 die Sanierung mit 750 000 Euro ermittelt worden.

Bürgermeister Erhard Reinl informierte, dass die Gemeinde davon 400 000 Euro hätte zahlen müssen. Das sei nicht zu leisten gewesen. Illusorisch, dass die Kommune so viel Geld aufbringen könne, meinte auch Kuhl-Greif. Sie nannte konkrete Bedingungen für eine Vereinsgründung. Die Gemeinde behalte das Haus in ihrem Eigentum und sorge sich um die Grundsicherung und Grundpflege. Bürgermeister Reinl betonte aber, auch die Gemeindevertretung müsse einverstanden sein.

Jetzt wären die Bürger an der Reihe sich einzubringen, und zwar durch Mitgliedschaft in dem künftigen Verein, durch Spenden, über inhaltliche und/oder handwerkliche Beteiligung am Erhalt des Gebäudes.

In diese Kerbe schlug Dr. Ulf Häbel (Foto), der pensionierte Pfarrer aus Freienseen. Am Anfang müsse die Vision stehen. Das Brennen für eine bestimmte Idee müsse von unten kommen, sprich, aus der Bürgerschaft. Humorvoll erläuterte er das Projekt »Dorfschmiede« in Freienseen, dessen Kerngedanke die Tagespflege alter Menschen ist. Das habe auch den hessischen Sozialminister überzeugt, Wiesbaden habe 1,4 Millionen Euro beigesteuert. Insgesamt 2,3 Millionen Euro kostet die »Dorfschmiede«. Bis auf zehn Prozent sei alles finanziert. Häbel machte der Arbeitsgruppe Mut. Fördertöpfe seien vorhanden. Das Geld liege praktisch auf der Straße, bloß benötige man die richtigen Kontakte um es aufzusammeln. Netzwerkarbeit mit Austausch von Informationen und Erfahrungen, nannte Häbel das Gebot der Stunde. Er bot seine Mithilfe an, damit der Verein effektiv an Gelder komme.

Gerade auch deshalb ist die Vereinsgründung nötig. Nachdem die Einfache Stadterneuerung ausgelaufen ist, hat die Gemeinde Buseck kaum eine Möglichkeit Zuschüsse für ein Projekt wie »Anger 10« zu erhalten. Der künftige Verein dagegen schon. Architekt Florian Bayer berichtete über den Bauzustand des Gebäudes, das er im März 2013 und vorigen Sommer inspiziert habe. »Drastischer Verfall der Bausubstanz und massiver Sanierungsstau«, lautet sein Urteil. Das Dach sei undicht, sodass die hölzerne Tragsubstanz darunter leide. Hinzu kommen eine undichte Giebelwand, Schimmelschäden, Efeuwurzeln in Mauerwerksritzen und vor allem die fehlende Heizung, die bei Frost den Verfall beschleunige.

Bayer schlug vor, zunächst die jetzt Bausubstanz abzusichern: Dach sanieren, Giebelwand abdichten, Efeu entfernen, eine temporäre Heizung aufstellen. Unterdessen könne die Gemeinde den Antrag auf Nutzungsänderung stellen. Im nächsten Schritt sei das komplette Sanierungskonzept zu entwickeln. So müssten die mit PVC überdeckten Holzdielen wieder freigelegt werden.

Moderator Geis erkundigte sich nach den Kosten für diese Sofortmaßnahmen. 10 000 bis 20 000 Euro nannte Bayer für eine Dachziegeleindeckung. Eine Gastherme koste rund 10 000 Euro, ein Heizkörper je 1000 Euro. Da reichten die rund 30 000 Euro im Haushalt 2015 doch aus, folgerte Geis. Bürgermeister Reinl teilte mit, das Dach sei bereits saniert, der Giebel abgedichtet, der Efeu entfernt worden.

Ilse Reinholz-Hein ging auf die Geschichte des »Anger 10« und Wanderungsbewegungen im Busecker Tal ein. Seit Jahrhunderten hätten Menschen auf der Suche nach Heimat das Buseckertal gefunden, seien Menschen von hier auf der Suche nach einem besseren Leben in andere Länder ausgewandert, Stichwort »Wirtschaftsflüchtlinge«. Seit dem 16. Jahrhundert lebten hier Juden. Busecker wanderten im 18. Jahrhundert in die deutsche Kolonie an der Wolga aus, im 19. Jahrhundert nach Nordamerika. In der Gemeinde Buseck leben heute Menschen aus 62 Nationen. Der sanierte »Anger 10« soll sich konzeptionell nicht auf zwölf Jahre Nazi-Herrschaft und ihre Folgen beschränken, sondern auch Wanderbewegungen von Menschen auf Suche nach Heimat erforschen.

Projektarbeit für Schulen

Kuhl-Greif wagte einen Blick in die Zukunft, indem sie einen fiktiven Artikel der Gießener Allgemeinen Zeitung des Jahres 2021 vorlas. Demnach wird der Versammlungsraum im Erdgeschoss für kulturelle Veranstaltungen genutzt, eine Teeküche ist vorhanden, es gibt einen Raum für die Dauerausstellung, weitere Räume für das Archiv und Forschungsarbeit von Schülern und Studenten. Thematisch werde das christlich-jüdische Zusammenleben und die Migration im Buseckertal beleuchtet. Insgesamt biete sich ein ergiebiges Arbeitsfeld auch für Ausstellungen, so Kuhl-Greif.

Als ein Rad im künftigen Netzwerk deutete Direktor Matthias Brodkorb von der IGS Busecker Tal die kontinuierliche Mitarbeit der Schule an. Gedenkveranstaltungen, Gestalten von Erinnerungsarbeit, historischer Unterricht, Workshops, Archivarbeit, Erstellen von Unterrichtsmaterial nannte er als Beispiele.

Andreas Brüll, Lehrer und Mitglied der Schulleitung der Theodor-Litt-Schule in Gießen, bot konkrete Handwerksleistungen seiner Schüler an, die seien immer auf der Suche nach realer Projektarbeit. Interessant für den »Anger 10« sind wohl die Schreiner und Bautechniker. Die Schule hatte jüngst im Schlosspark den Pavillon konstruiert und baut demnächst den Rosenlaubengang.

Häbel ging auch auf Anforderungen des Denkmalschutzes ein. Nicht alle Vorschriften seien unsinnig. Man müsse nur geduldig diskutieren. Zuschüsse gebe es aber in der Regel keine. Kreisdezernent Dirk Haas sagte, der Verein könne beim Landkreis Fördermittel beantragen. (Foto: vh)

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