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Atomwaffen-Zeit aufarbeiten

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Von: Kays Al-Khanak

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Neues vom Nato-Lager in Alten-Buseck: mit einem Bürgermeister, der diesen Teil der Geschichte aufarbeiten will und einem ehemaliger Kommandanten, der Einblick ins Waffenarsenal gibt.

Gab es im Nato-Lager zwischen Alten-Buseck und Daubringen nukleare Sprengköpfe? Dieser Frage war die Gießener Allgemeine in dem Bericht »Wo die Atomwaffen lagerten« nachgegangen. Wir schauten uns auf dem Gelände um. Wir sprachen mit Peter Gefeller, heute Staufenbergs Bürgermeister und damals Wachsoldat in dem Lager. Und wir trafen uns mit Mitgliedern der Friedensbewegung aus Buseck, Lollar und Staufenberg. Sie alle waren sich sicher: Ja, zwischen Daubringen und Alten-Buseck waren Atomwaffen gelagert. Nur offiziell bestätigt hätte es ihnen gegenüber niemand. Auch eine Anfrage dieser Zeitung bei der Bundeswehr blieb im Ungefähren.

Das will Busecks Bürgermeister Dirk Haas gerne ändern. »Wir beschäftigen uns mit Burgen und Spinnrädern, aber nicht mit der jüngeren Geschichte«, sagt er. Es werde vergessen oder ignoriert, dass »wir lange auf einem Pulverfass saßen«, sagt er und spricht von einer »Vogel-Strauß-Taktik«. Denn wenn die Truppen des Warschauer Paktes an der Grenze zur DDR durchbrochen und dort nicht aufgehalten worden wären, hätten sie in der Mitte Deutschlands notfalls mit atomaren Waffen gestoppt werden sollen. Das jedenfalls sahen die Pläne der NATO vor.

»Es hat sich kaum jemand einen Kopf gemacht, welch vernichtendes Potenzial hier gelagert wurde«, sagt Haas. Denn wäre es zum Fall der Fälle gekommen, hätten die Menschen zwischen Rhein und Rhön wenig Überlebenschancen gehabt, betont er. Das Gießener Land sei dabei ein besonderer Baustein gewesen – siehe die Militärlager in Fernwald oder Gießen. »Es muss kein Museum sein« »Ich sehe als Bürgermeister eine Verpflichtung, bei der Aufarbeitung etwas zu tun«, sagt Haas. Er könne sich zum Beispiel vorstellen, zusammen mit Fachleuten aus Mittelhessen wie von der Denkmalpflege etwas anzustoßen. »Es muss kein Museum eröffnet werden«, sagt der Busecker Bürgermeister, »aber wir sollten dokumentieren, was hier passiert ist.« In Mittelhessen gebe es so etwas noch nicht.

Ein Ansprechpartner könnte zum Beispiel Dr. Lothar Liebsch sein. Der Gießener hat in seinem Leben einige Wendungen hinter sich gebracht. Von 1964 bis 1994 war er bei der Bundeswehr, zuletzt Oberstleutnant und für ein Atomwaffenlager zuständig.

Nach seinem Ausscheiden aus der Armee studierte er Politik- sowie Sozialwissenschaften und engagiert sich in der Anti-Atomwaffen-Bewegung. Der 72-Jährige hat in diesem Zusammenhang ein Online-Lexikon aufgebaut (

www.atomwaffena-z.info

). Dort nennt er unter anderem die Standorte der Sondermunitionslager auf deutschem Boden und die Art der dort aufbewahrten atomaren Sprengköpfe. »Ein amerikanischer Offizier hat mir bestätigt, dass es in der Bundesrepublik keine Scheinlager gab«, sagt Liebsch. Das heißt: In ihren Lagern hatten die Amerikaner Atomsprengköpfe und die dazugehörigen Waffensysteme stationiert.

Welche das waren, hat Liebsch als Reaktion auf den Artikel »Wo die Atomwaffen lagerten« in einem Leserbrief genannt: von 1960 bis 1971 die Rakete »Honest John« mit einer Sprengkraft von zwei bis 40 Kilotonnen, von 1972 bis 1989 für die Haubitze 155 mm mit einer Sprengkraft von 0,72 Kilotonnen und für die Haubitze 203 mm mit einer Sprengkraft von 0,7 bis 1,1 Kilotonnen. Eine Kilotonne entspricht 1000 Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs. Zum Vergleich: Die über Hiroshima abgeworfene Bombe besaß eine Sprengkraft von 13,4 Kilotonnen.

Ich sehe als Bürgermeister eine Verpflichtung, bei der Aufarbeitung etwas zu tun

Bürgermeister Dirk Haas

Laut Liebsch war die gesamte atomare Munition für die fünfte Panzerdivision mit Sitz in Dietz gedacht. Bewacht worden sei das Atomwaffenlager von speziell ausgebildeten Soldaten des Raketenartellerie-Bataillons 52 in Gießen. Nur bei einer Frage muss Liebsch passen: Wie viele atomare Gefechtsköpfe in Alten-Buseck gelagert wurden. Strenge Regeln im Lager Auch über den Alltag auf der Militäranlage weiß Liebsch als ehemaliger Lagerkommandant Bescheid. Alle Wehrpflichtigen, die dort zum Schutz des inneren Bereiches des Lagers eingesetzt wurden, seien sicherheitsüberprüft worden. Im Lager habe es strenge Regeln gegeben – zum Beispiel ein absolutes Rauchverbot. Daran hätten sich aber nicht immer alle Soldaten gehalten, erzählt Liebsch. Bei Nebel seien zusätzliche Wachen alarmiert worden; später hätten elektronische Sensoren das Gelände überwacht. Durch Wildtiere wie Rehe, Hasen und Füchse seien immer wieder Fehlalarme ausgelöst worden. Deutsche Militärfahrzeuge wären aber nicht zum Transport der Atomsprengköpfe genutzt worden, sagt er. Ab den 1970er Jahren seien dazu Hubschrauber der US-Armee genutzt worden.

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