Buhlen um die Gunst der Erstwähler

Welche Themen bewegen Erstwähler am meisten? Eine Diskussionsrunde in Lollar zeigt, dass längst nicht nur der Klimaschutz jungen Menschen unter den Nägeln brennt.
In jener Zukunft, die nun im Wahlkampf wieder in aller Munde ist, werden sie viel mehr Zeit als andere verbringen: Die großen Fragen betreffen Erstwählerinnen und -wähler besonders stark. Doch welche Themen sind aus ihrer Sicht am wichtigsten? Davon konnten sich Politiker am Mittwoch in Lollar einen Eindruck verschaffen.
An der Clemens-Brentano-Europaschule (CBES) haben sich Direktkandidaten und andere Vertreter der im aktuellen Bundestag sitzenden Parteien den Fragen von Oberstufenschülern gestellt.
Eigentlich, berichten die Schülerinnen und Moderatorinnen Isabell Hahn und Luca Marie Bergmann-Franke, sollten die Plätze auf dem Podium bunt gemischt werden, »wir wollten Lagerbildung vermeiden.« Doch Grünen-Direktkandidat Behzad Borhani wollte nicht neben AfD-Mann Uwe Schulz sitzen - und so sind die politischen Fronten bei der Sitzverteilung dann doch einigermaßen klar abgegrenzt.
Ganz links sitzt Martin Schlicksupp, Vize-Fraktionschef der Gießener CDU. Er vertritt Helge Braun, der eine überzeugende Ausrede hat: Die Kabinettsrunde in Berlin hat Priorität vor dem Podium in Lollar. Neben Schlicksupp sitzt Schulz, dann Dennis Pucher (FDP). Am anderen Ende folgen Matthias Riedl, Mitglied des Landesvorstands der Linken, als Vertreter von Ali Al-Dailami, Borhani und SPD-Direktkandidat Felix Döring.
Ab Beginn der Diskussion kann das Publikum live per Handy abstimmen, wen es aktuell wählen würde. Der Zwischenstand wird in Echtzeit im Saal an die Wand geworfen. Parallel startet vorne die Vorstellungsrunde. Als Pucher sich gerade in Stellung gebracht, über Bildungschancen und den »meiner Meinung nach schönsten Wahlkreis dieser Republik« gesprochen hat, schnellt der FDP-Balken in die Höhe. »Der Dennis ist ja schon eine kleine Rampensau«, daher sei er wohl gerade vorn, meint Grünen-Vertreter Borhani. Man kennt und neckt sich. Anderthalb Stunden später wird das Stimmungsbild sich stark verändert darstellen.
Der Politik-Leistungskurs der Stufe 13 hat die Diskussion akribisch vorbereitet. Teils werden die Politiker gebeten, Fragen nur mit »Daumen hoch« oder »Daumen runter« zu beantworten, teils haben sie für ihre Antwort eine Minute Zeit - keine Chance für ausufernde Monologe. Später können auch Fragen aus dem Plenum gestellt werden.
Wer erwartet hatte, dass das Thema Klimaschutz anderen drängenden Fragen die Show stehlen würde, sieht sich eines Besseren belehrt: Von Innerer Sicherheit über faire Löhne, geschlechtergerechte Sprache, elternunabhängige Studienförderung und Grenzen des Förderalismus bis hin zu Afghanistan-Politik und Cannabis-Legalisierung werden die Kandidaten zu vielen Themen gelöchtert.
Ein paar Mal geht ein Raunen durch den Saal, wird es kurz hitzig. Zum Beispiel als die Gäste gefragt werden, mit wem sie am liebsten koalieren würden und Döring antwortet, die Sitzordnung passe insofern ganz gut - »mit einer Ausnahme: Herr Schulz müsste ans andere Ende der Welt.« Bei einigen Antwortrunden könnte man indes annehmen, ein Linksbündnis sei schon geschmiedet. Immerhin: Alle lassen sich ausreden. Und die Oberstufenschüler sind großzügig mit Applaus, verkneifen sich Unmutsbekundungen. Faire Debattenkultur sei wichtig, unterstreichen einige anschließend im Gespräch.
Zwischendurch schaut Schulz auf das Balkendiagramm an der Wand, wo seine AfD gerade mit der CDU gleichzieht - bei vier Prozent. Die FDP ist inzwischen auf ein Prozent abgestürzt, die SPD liegt bei 35. Doch Moderatorin Hahn weist das Plenum darauf hin, dass diese Umfrage natürlich nicht repräsentativ ist, »lasst euch davon nicht beeinflussen.«
Wie ist die Diskussion beim Publikum angekommen? Im Nachgang sagen einige, große Überraschungen seien nicht dabei gewesen. Viele scheinen schon entschieden, wem sie als Erstwähler die Zweitstimme geben wollen. Für die Wahl der Direktkandidaten, so der Tenor, sei der persönliche Eindruck aber wichtig.
Es gibt auch Kritik: Beim Themenblock Digitalisierung schien sich das Podium einig, dass es nun endlich schneller gehen müsse, etwa in Sachen Glasfaserausbau. Das war auch schon vor etlichen Jahren das Mantra, doch getan hat sich zu wenig. »Ich kann es nicht mehr hören, weil immer das Gleiche gesagt wird«, meint eine Schülerin nach der Debatte. Fragt man nach dem Top-Thema, dann fällt der Begriff Klimaschutz meist zuerst - gefolgt von der Feststellung, dass es auch viele andere drängende Aufgaben gebe.
»Die Veranstaltung hat gezeigt, dass junge Menschen interessiert sind«, äußert sich eine Erstwählerin - und bedauert, dass sie ihre Frage zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre nicht mehr stellen konnte. Darin sähe sie eine Möglichkeit, noch mehr Jugendliche für Politik zu interessieren.
Fühlt sie sich als junge Wählerin im Wahlkampf ernst genommen? Sie verweist, wie einige andere, auf Briefe verschiedener Parteien, die sie erhalten hat. »Darin wurden wir geduzt. Für mich kam das so rüber, als wollten die Parteien mal cool sein. Bei mir hat es eher das Gegenteil bewirkt: Ich fand es unprofessionell. Wir wollen gleichberechtigt behandelt werden.«