Bis zum Schluss unter Dampf

Ein Straßenname, ein Museumswaggon, ein paar Informationstafeln - viel mehr ist nicht geblieben von der Biebertalbahn. Zwischen 1898 und 1952 transportierte die Kleinbahn Millionen Menschen zwischen Bieber und Gießen.
April 1952: Da faucht und zischt und rattert das Zügelchen direkt neben der Landstraße zwischen Rodheim und Heuchelheim, muss am Abendstern die Kanonenbahn (Lollar-Wetzlar) queren und biegt wenig später rechts Richtung Heuchelheim ab. Der weitere Weg führt nach Gießen zum Oßwaldsgarten.
In Heuchelheim erinnert bis heute die Bahnstraße an die Kleinbahn, die einst das Tal der Bieber mit Gießen verbunden hat. Doch sonst ist da nicht mehr viel zu finden. Wo früher der Haltepunkt an der Gießener Straße war, ist bis heute eine kleine Grünanlage. Eine Baumreihe an der Bahnstraße Richtung Brauhausstraße lässt den einstigen Schienenverlauf noch erahnen.
In Rodheim und Bieber sieht es nicht viel anders aus. Letztes bauliches Relikt war der Lokschuppen am Ortseingang von Bieber. Der musste trotz des Protests von heimatgeschichtlich Interessierten Mitte der 1990er Jahre dem Bau von zwei Mehrfamilienhäusern weichen. Die Gemeinde hatte seinerzeit kein Interesse, den Schuppen zu übernehmen.
Allein dem rührigen Heimatverein Rodheim-Bieber von Helmut Failing ist es zu verdanken, dass vor wenigen Jahren auf einem Stück des alten Bahndamms nahe Hof Schmitte ein Personenwaggon aufgestellt und als Erinnerungsstück eingerichtet wurde. Dort findet sich zudem eine Info-Tafel. Weitere Tafeln stehen am Abendstern nahe der Bäckerei Volkmann unweit der Stelle, an der sich die Gleise der Biebertal-Bahn und der Kanonenbahn kreuzten, sowie am ehemaligen Haltepunkt in Heuchelheim an der Ecke Gießener Straße unweit der Bahnstraße.
Am Ostermontag 1952, am 14. April vor 70 Jahren, rollte der letzte fahrplanmäßige Personenzug der Schmalspureisenbahn von Gießen über Heuchelheim-Abendstern und Rodheim nach Bieber. Künftig lief der Personenverkehr per Bus. Der Hintergrund: Die Stadtwerke Gießen hatten zwischen Gießen und Heuchelheim eine O-Bus-Linie eingerichtet. Dadurch verlor die Bieberlies rund 20 Prozent der Fahrgäste.
»Die technisch Entwicklung des 20. Jahrhunderts schritt über die hinweg; sie musste zwangsläufig zum Aschenbrödel werden«, notierte die Gießener Freie Presse an Ostern 1952. Und weiter hieß es: »Das einst so jugendfrische Bieberlieschen ist altersschwach geworden; es konnte mit Gegenwart ebenso wenig fertig werden wie die Menschen, die zur Zeit der Gründung der Bahn in der Blüte ihres Lebens standen.«
Der Anfang vom Ende eines lokalen Stücks Eisenbahngeschichte, das 1898 begonnen hatte mit der Inbetriebnahme der Kleinbahn, die die Menschen schon bald liebevoll »Bieberlies« nannten. Gebaut wurde die Bahn damals übrigens von der »Allgemeinen Deutschen Kleinbahngesellschaft« mit Sitz in Berlin
Bergbau und Bieberlies, das hing stets eng zusammen. Denn von Anfang an diente die Bahn nicht nur dem Personen-, sondern vor allem dem Kalk- und dem Erztransport. Dabei war eigentlich gar in größeren Dimensionen - über die Verbindung Gießen-Bieber hinaus - geplant worden. Es gab Überlegungen, die Schmalspurbahn über Königsberg, Erda und Mudersbach an eine damals geplante Bahnstrecke Niederwalgern-Herborn anzuschließen. Doch das wurde nie realisiert.
Die »Bieberlies« jedenfalls brachte nicht nur Schüler oder Arbeiter aus Rodheim, Vetzberg und Bieber sowie aus Heuchelheim flott nach Gießen und retour. Umgekehrt nutzen auch viele Ausflügler und Naherholung Suchende die Kleinbahn, um komfortabel zum Dünsberg zu gelangen. Letztlich trug die Biebertalbahn zum wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung de der Dörfer an der Bieber bei.
Nach Einstellung der Personenbeförderung an Ostern 1952 fuhr das Bähnchen bis Herbst 1954 noch Stückgut vom Gießener Güterbahnhof über Heuchelheim und Abendstern nach Rodheim und Bieber. Dann endet auch dieses Kapitel. Als erstes verschwanden die Gleise zwischen Gießen und Heuchelheim bis zum Abendstern. Auch das kleine Bahnhofsgebäude in Heuchelheim an der Ecke Gießener Straße/Bahnstraße wurde nicht mehr benötigt. Es wurde abgerissen. Die Gleise wurden ebenfalls entfernt.
Dann blieben der »Bieberlies« noch neun Jahre Güterverkehr zwischen Bieber und dem Bahnhof Abendstern. Ende April 1963 endete aber auch der Transport von Eisenerz und Kalksteinen von Bieber zum Abendstern, wo die Fracht auf Waggons der Bundesbahn umgeladen wurde. Denn mit der Schließung der Eisenerzgrube in Königsberg lohnte sich der Betrieb des Bähnchens nicht mehr.
Bei den älteren Menschen ist die Erinnerung an das kleine Bähnchen derweil noch lebendig. Bis vor wenigen Jahren gab es Tagesausflüge von Gruppen wie etwa Jahrgangsvereinigungen, des Dünsbergvereins oder anderen nach Plettenberg ins Sauerland. Dort nämlich ist eine der Loks der Kleinbahn gelandet und verrichtet ihnen Dienst als Museumsbahn, Es handelt sich um die Lok Nr. 60, die 1923 bei Hentschel & Sohn in Kassel mit der Fabriknummer 19979 gebaut wurde. Hans Rink und Lothar Mickel hatten die Lok nach dem Ende des Fahrbetriebs äußerlich aufarbeiten lassen. Über Jahre stand sie als Blickfang vor dem »Hotel Wettenberg« in Krofdorf-Gleiberg. 1985 wurde der Märkische Museumseisenbahnverein auf die Lok aufmerksam. In Folge ging die Lok als Dauerleihgabe in den Fahrzeugpark des Vereins über.


