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Der grausame Tod des Wladislaw K.: Im Wald erhängt, in Gießen erschossen

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Von: Rüdiger Soßdorf

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Just an dieser Stelle im Wald am Altenberg wurde am 9. April 1942 Wladislaw Kaczmarek an einem mobilen Galgen aufgehängt. © Ruediger Sossdorf

Wladislaw Kaczmarek musste sterben, weil er Ilse K. liebte. Vor 80 Jahren wurde der junge Zwangsarbeiter aus Polen in Gießen hingerichtet.

Biebertal - Es ist ein idyllisches Fleckchen Erde am Hang des Altenbergs, gar nicht weit von Königsberg und dem Hof Moritzburg, nur wenige Schritte oberhalb einer Jagdhütte. Ein Wanderweg führt hier entlang, der Königsberg über den Altenberg mit Großaltenstädten verbindet. Doch der Ort im Landkreis Gießen hat eine grausige Vergangenheit.

80 Jahre ist es jetzt her, da wurde just an dieser Stelle der 21 Jahre junge Zwangsarbeiter Wladislaw Kaczmarek aus Polen öffentlich hingerichtet. Erhängt von Angehörigen der SS und der Gestapo aus Frankfurt. Was dem jungen Mann vorgeworfen wurde: Er habe sich der sogenannten Rassenschande schuldig gemacht. Kaczmarek hatte ein Verhältnis mit einer jungen Frau, Ilse K., die wie er auf dem nahe gelegenen Bauernhof arbeitete. Sie wurde im Sommer 1941, damals gerade 18 Jahre alt, schwanger.

Kreis Gießen: Zwangsarbeit vor Tod rund acht Monate im Gestapo-Knast

Überliefert sind diese Ereignisse dank der Recherchen von Karsten Porezag. Der Historiker aus Wetzlar hat viele Jahre unter anderem zu Zwangsarbeit in Wetzlar und Umgebung geforscht und die Ergebnisse seiner Studien unter anderem in dem 2002 erschienenen Buch »Zwangsarbeit in Wetzlar: Die Ausländer-Einsatz 1939 - 1945. Die Ausländerlager« dokumentiert,

Der Hintergrund der Ermordung des jungen Polen: Nach dem Angriff von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion waren im Februar 1942 die sogenannten Ostarbeiter-Erlasse in Kraft gesetzt worden - besonders strenge Regelungen für die Behandlung von Arbeitskräften, die aus Europas Osten als Arbeiter nach Deutschland verschleppt worden waren. Sie durften ihre Arbeitsplätze nicht verlassen, mussten eine Kennzeichnung »OST« gut sichtbar auf der Kleidung tragen, durften keine Kontakte mit Deutschen unterhalten - und unter Androhung der Todesstrafe war der Geschlechtsverkehr zwischen Arbeitern und Deutschen verboten.

Der Massenmord von Hirzenhain

Die Aufarbeitung der grausamen Verbrechen der NS-Zeit beschäftigt Historiker bis heute intensiv. Ein weiteres entsetzliches Beispiel aus der Region, ist der Massenmord von Hirzenhain, für den vor rund 70 Jahren ein SS-Mann in Gießen verurteilt wurde. 2021 ist über den Fall ein Buch erschienen.

Als die Behörden von dem Verhältnis des jungen Polen und der jungen Frau, die ihr sogenanntes Pflichtjahr ableistete, erfuhren, da wurde Kaczmarek verhaftet, gut acht Monate lang verbrachte er in einem Gefängnis der Geheimen Staatspolizei in Frankfurt - bis er am 9. April 1942 wieder zurück nach Königsberg (heute ein Ortsteil von Biebertal im Kreis Gießen) gebracht wurde.

Kreis Gießen: Junger Mann nach fehlgeschlagener öffentlicher Hinrichtung erschossen

Auf der kleinen Lichtung im Wald war ein mobiler Galgen aufgebaut worden. Berichten zufolge geschah die Hinrichtung in Gegenwart von weiteren Zwangsarbeitern aus den umliegenden Dörfern, um so ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Zudem zugegen: Lokale Mitglieder der NSDAP und »örtliche Amtsinhaber«. Kaczmarek wurde anschließend in einem Sarg nach Gießen in die Anatomie gebracht, wo festgestellt wurde, dass der junge Mann noch lebte. Er soll daraufhin von der Gestapo-Angehörigen mit zwei Genickschüssen getötet worden sein.

Auch das weitere Schicksal von Ilse K. ist überliefert: Sie wurde in Erziehungsheimen untergebracht, brachte einen Jungen zur Welt, der ihr fortgenommen wurde. Später kam sie ins Jugendschutzlager des Konzentrationslagers in Ravensbrück, wo sie bis zum Kriegsende gefangen gehalten wurde. Erst nach dem Krieg soll sie von der Ermordung Kaczmareks erfahren haben.

An die Ereignisse im Wald am Altenberg erinnert seit dem Jahr 2017 eine Gedenktafel. Sie wurde auf Initiative des Heimat- und Kulturvereins Hohenahr angebracht.

Auf der Tafel heißt es: »Hier wurde der 21-jährige polnische Zwangsarbeiter Wladislaw Kaczmarek am 9. April 1942 von Angehörigen der SS und der Gestapo aus Frankfurt an einem mobilen Galgen hingerichtet.« Und weiter: »Ihm wurde ein Verhältnis zur 18-jährigen Ilse K. vorgeworfen, die ebenfalls auf dem nahen Bauernhof arbeitete und schwanger wurde. Das galt als Rassenschande und wurde in diesem Fall mit äußerster Härte bestraft, weil niemand fähig oder bereit war, den Vorgang zu vertuschen.« (Rüdiger Soßdorf)

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