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Bäckereien im Raum Gießen unter Druck: „Ans Geldverdienen denkt momentan niemand“

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Von: Christina Jung

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Steigende Energie- und Rohstoffpreise machen den Bäckereien im Kreis Gießen zu schaffen. Ein abgespecktes Angebot und reduzierte Öffnungszeiten sind die Folge.

Gießen - Ein verlockender Duft macht sich im Laden breit. Im Ofen der Bäckerei im Gießener Kreisgebiet reift gerade eine neue Ladung Brötchen heran. In der Theke und den Regalen dahinter finden sich eine Vielzahl an Leckereien. Verschiedene Brotsorten, Croissants und Butterhörnchen, Laugen-, Blätterteig- und Plundergebäck, Kuchen und vieles mehr. Doch die Produktion all dieser Köstlichkeiten ist energieintensiv. Und das ist angesichts explodierender Kosten in diesen Zeiten gleichbedeutend mit teuer.

Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks betreiben rund 70 Prozent der Betriebe ihre Öfen mit Gas. Sie, aber auch jene, die auf Strom und Öl angewiesen sind, müssen große Preissteigerungen hinnehmen. Hinzu kommt, dass verschiedene Rohstoffe teurer geworden sind und der Mindestlohn ab Oktober ein weiteres Mal angepasst werden muss - auf zwölf Euro pro Stunde. Preistreiber, die auf Dauer nicht jeder in der ohnehin seit vielen Jahren in Schwierigkeiten steckenden Bäckerbranche wird auffangen können.

Bäckereien im Kreis Gießen: „Für Mehl müssen wir ab Oktober doppelt so viel zahlen“

Corona sei eine Herausforderung gewesen, aber verglichen mit dem, was seit Jahresbeginn auf ihn und seine Mitbewerber zurolle, leicht zu händeln, sagt Frank Pauly, Chef der Bäckerei Volkmann. Der Familienbetrieb mit Stammsitz in Heuchelheim (Kreis Gießen) zählt 26 Filialen sowie 320 Mitarbeiter und gehört zu den großen Playern auf dem heimischen Markt. Zwar spürt Pauly aktuell weder in der Backstube noch in den Filialen die gestiegenen Energiepreise, da er für Gas und Strom langfristige Lieferverträge abgeschlossen hat. Aber er weiß schon jetzt, dass er ab 2023 mit Mehrkosten rechnen muss.

Dazu kommen höhere Ausgaben bei den Zutaten. »Butter und Eier sind bereits teurer geworden. Für Mehl müssen wir ab Oktober doppelt so viel zahlen, wie bisher«, berichtet Pauly. Beim Zucker rechnet der Unternehmer in den kommenden Wochen sogar mit einer Vervierfachung des Preises. Und niemand weiß, wo die Reise hingeht.

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Teures Backwerk: Angesichts stark gestiegener Energie- und Rohstoffpreise geraten Bäckereien immer stärker unter Druck. Die höheren Kosten auszugleichen, ist nur schwierig möglich. SYMBOL © DPA Deutsche Presseagentur

Kreis Gießen: Bäckermeister hat seine Preise bereits erhöht

Die Folge: Preissteigerungen. Der Bäckermeister hat seine Preise bereits um durchschnittlich acht Prozent erhöht. Eine weitere Anhebung steht spätestens im November an. Ähnlich reagieren die Mitbewerber. Bei der Bäckerei Röhm in Lich etwa hat Firmenchef Andreas Kröck die Preise angehoben. Gleiches gilt für Lukas Fleischer und seinen Vater Erich von der gleichnamigen Bäckerei in Burkhardsfelden.

Aber die Erhöhungen stünden nicht in Relation zu den gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen, sagt Lukas Fleischer. Der Gaspreis habe sich verdreifacht, im Vergleich dazu seien die vorgenommenen Anpassungen »ein Tropfen auf den heißen Stein«. Die kompletten Mehrkosten ließen sich nicht an den Kunden weitergeben, sagt Fleischer. Um das aufzufangen, müsste der Brötchenpreis von 50 auf mindestens 80 Cent steigen. Fleischer: »Das zahlt niemand.« Ebenso Kröck: »Täten wir das, würden die Kunden wegbleiben.« Schon jetzt sei vielerorts eine Kaufzurückhaltung zu beobachten.

Kreis Gießen: Heuchelheimer Bäckermeister erwägt Verzicht auf Weihnachtsgepäck

Also muss an anderer Stelle gespart werden. Überlegungen dazu gibt es im heimischen Bäckerhandwerk zu Hauf. In Lich denkt man darüber nach, den Laden am Kirchenplatz nur noch vormittags zu öffnen, in Burkhardsfelden gibt es samstags zwei Sorten Körnerbrötchen weniger. Und in Heuchelheim zieht Frank Pauly in Erwägung, in diesem Jahr auf das Weihnachtsgebäck zu verzichten. »Wir drehen jeden Stein im Betrieb um und schauen, wo kann man einsparen, wo mehr Umsatz machen«, sagt auch Bernd Braun, Obermeister der Gießener Bäckerinnung.

Ob manch einer angesichts dieser Herausforderungen ans Aufhören denkt? »Das sind Gedanken, die einem kommen«, gibt Martin Künkel zu. Der Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens mit Firmensitz in Langgöns betreibt das Geschäft mit mittlerweile an die 40 Filialen in vierter Generation. Doch er verweist auf seine Verantwortung für Mitarbeiter und Familie - die fünfte Generation steht bereits in den Startlöchern. »Da kann man nicht einfach so zumachen«, sagt er.

Bäckereien im Kreis Gießen: Die Hoffnung auf bessere Zeiten bleibt

Steigende Kosten auf der einen Seite, Umsatzrückgänge auf der anderen - da ist die Angst vor der Pleite allgegenwärtig. Einige befürchten eine Insolvenzwelle, sollte von staatlicher Seite keine Unterstützung kommen. »Wir müssen jetzt erstmal schauen, aber ewig können wir das nicht mitmachen«, sagt Lukas Fleischer. Und Braun: »Wenn die Lunte an zwei Seiten brennt, wird es in der Mitte dünn.« Einige, da ist sich der Obermeister sicher, werden auf der Strecke bleiben. Und zwar jene, die vorher schon am kämpfen waren. Aber: »Auch gute Betriebe sind jetzt unter Druck«, so Braun.

Was bleibt, ist die Hoffnung. Darauf, dass sich die Situation irgendwann wieder entspannt. »Wir werden bluten und hoffen, dass wir lange genug durchhalten, bis sich die Lage wieder normalisiert hat«, sagt Martin Künkel. Augen zu und durch, aber nicht alles schwarz sehen, ist Frank Paulys Philosophie für die Krise. Mal keine Gewinne machen und Investitionen zurückstellen. Aber, so Bernd Braun, »ans Geldverdienen denkt momentan sowieso niemand«. (Chrsitina Jung)

Mit der Bäckerei Siebenkorn schloss in Gießen vor einigen Wochen eine Institution für gesunde Backwaren. Etwa 20 Jahre lang war die Vollkornbäckerei mit Ladengeschäft und Café in der Gießener Fußgängerzone vertreten gewesen.

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