1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

Atemschutzgeräteträger gesucht

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Patrick Dehnhardt

Kommentare

Aufgrund von Homeschooling und Homeoffice standen in Pandemiezeiten mehr freiwillige Feuerwehrleute tagsüber für Einsätze zur Verfügung. Dennoch gibt es ein Problem: Es fehlt an Atemschutzgeräteträgern, ohne die bei den meisten Brandeinsätzen nichts geht.

Die Jahresstatistik 2021, die Kreisbrandinspektor Mario Binsch am Freitag bei der Kreisverbandsversammlung der Feuerwehren in Burkhardsfelden vorlegt hat, ist eindeutig: Nur ein Drittel der 87 Ortsteilfeuerwehren im Landkreis kann an Werktagen zu Bürozeiten die Vorgaben der Hilfsfrist eigenständig erfüllen. Diese sehen vor, dass innerhalb von zehn Minuten sechs Einsatzkräfte, davon vier Atemschutzgeräteträger, am Einsatzort eintreffen.

Ein Knackpunkt sind dabei die Atemschutzgeräteträger, die bei fast allen Arten von Bränden gebraucht werden. In vielen Wehren ist die Gemengelage aber diese: Irgendwann hat die Hälfte der Feuerwehrleute den Atemschutzlehrgang besucht. Um einsatztauglich zu sein, muss der Feuerwehrmann oder die Feuerwehrfrau jedoch regelmäßig zum ärztlichen Check und jeweils einmal im Jahr auf der Übungsstrecke bei der Berufsfeuerwehr Gießen antreten, an der Pflichtunterweisung teilnehmen und einen Brandeinsatz oder eine Übung mit angeschlossenem Atemschutzgerät absolvieren. Sobald einer dieser Punkte fehlt, gilt derjenige nicht mehr als tauglich für den Atemschutzeinsatz.

Ansonsten, auch das ist einen Erkenntnis die Binsch am Freitag vortrug, hatten die beiden vergangenen Pandemiejahre für die hiesigen Wehren durchaus Vorteile. Durch Homeschooling und Homeoffice standen tagsüber mehr Einsatzkräfte bereits. Dies ist insofern von Bedeutung, da sich rund 63 Prozent der Feuerwehreinsätze in der Zeit von 6 bis 18 Uhr ereigneten.

Im vergangenen Jahr rückten die Feuerwehren im Landkreis zu 1206 Brandeinsätzen - vom Wohnhausbrand bis zur kokelnden Thujahecke - aus. Bei 1367 Einsätzen wurde technische Hilfe geleistet. Dazu zählen beispielsweise Verkehrsunfälle, aber auch das Hochwasser im Seegebiet Inheiden/Trais-Horloff.

Ohne Quereinsteiger geht nichts

Die Zahl der Einsätze lag damit wieder leicht über dem Jahr 2020, hat aber noch nicht wieder das Niveau aus den Jahren vor der Pandemie erreicht. Zum Vergleich: 2019 verzeichneten die Wehren insgesamt 3823 Einsätze, inklusive der Brandsicherheitdienste bei Veranstaltungen, Festen und Hochzeiten. Davon gab es coronabedingt im vergangenen Jahr nur 128.

Differenziert zu betrachten ist die Situation im Nachwuchsbereich, Auch das wurde am Freitag deutlich. In den Gruppen der Sechs- bis Zehnjährigen waren im vergangenen Jahr 819 Kinder angemeldet. Das sind über 200 Kinder mehr als noch vor zehn Jahren. Und mehr als ein Drittel davon sind Mädchen.

Ebenfalls bei den Jugendlichen zeigt sich, dass Feuerwehr längst nicht mehr nur ein Hobby für Jungs ist. Auch hier beträgt der Anteil der Mädchen gut ein Drittel. Seit 2012 sind die Mitgliederzahlen in den Jugendfeuerwehren allerdings um 13 Prozent gesunken. Besorgt ist Binsch vor allem darüber, dass es immer weniger 18- und 19-Jährige gibt, die sich für die Feuerwehr interessieren. Diese seien als Atemschutzgeräteträger wichtig, da sie körperlich noch fit sind, sagte Binsch.

Und noch eines wurde anhand der Statistik deutlich: War man vor 15 Jahren als Quereinsteiger bei der Freiwilligen Feuerwehr noch ein Exot, ist dies mittlerweile eher der Regelfall geworden. Von den 215 Einsatzkräften, die 2021 neu dazugekommen sind, stammen nur 59 aus den Jugendfeuerwehren. Das Durchschnittsalter der Feuerwehrleute im Landkreis hat sich seit 2009 von 33,5 auf aktuell 36,2 Jahre erhöht.

Im Grußwort des Vertreters des Landesverbands, Friedrich Schmidt, spielte die Pandemie eine Rolle. Er kritisierte, dass die Landesfeuerwehrschule in Kassel viel zu lange für freiwillige Feuerwehrleute gesperrt gewesen sei. »Das muss geklärt werden«, forderte er. Mit Blick auf das Unwetter im Ahrtal und die danach geführte Diskussion über Sirenen sagte Schmidt: »Die Sirene ist wichtig, aber es braucht ein Warnkonzept: Sirene, App, Lautsprecherdurchsage. Wer Schallschutzfenster hat, hört die Sirene nämlich nicht.«

Dr. Thomas Stumpf, Vertreter des Regierungspräsidiums Gießen, griff die Kritik an der Landesfeuerwehrschule sowie der fehlenden Priorisierung der Feuerwehrleute bei Impfungen auf: »Die Erkenntnis, dass es nicht gut gelaufen ist, ist ein Schritt zur Verbesserung.« Er betonte, dass das Land Hessen »etwas für den Brandschutz in der Fläche tut«. 2021 seien 90 Prozent der Förderanträge für Fahrzeuge und Feuerwehrhausumbauten bewilligt worden.

Auch interessant

Kommentare