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Als die Sägen noch kreischten

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Von: Alexander Geck

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Das Sägewerk in Londorf bot einst bis zu 50 Menschen Arbeit. Doch seit gut zwei Jahren stehen die Maschinen still. Ein Großteil des Geländes hat Inhaber Hanfried Wissner längst an einen Investor verkauft. Er blickt zurück auf sein Lebenswerk.

Wenn man die Schreinerei an der Brodbachstraße in Londorf betritt, merkt man sofort, dass hier einst intensiv gearbeitet wurde. Der Duft von geschnittenem Holz füllt nach wie vor den Raum. Auch alle Maschinen sind noch da. Zuletzt benutzt wurden sie allerdings vor einigen Jahren. Dann endete die Ära des Familienunternehmens.

Dass der Zahn der Zeit inzwischen an einigen Gebäuden nagt, ist an einer der Lagerhallen deutlich sichtbar. Sie ist nach einem Sturm in sich zusammengefallen.

Da kein direkter Nachkomme in Sicht war, um das Geschäft weiterzuführen, entschloss sich Hanfried Wissner vor gut zwei Jahren, einen Großteil des Anwesens an einen Investor zu verkaufen. 20 Jahre hatte er das Sägewerk alleine geführt. Aber ihm war mit seinen damals 80 Jahren klar, dass er nicht mehr so agieren konnte wie früher.

Auf dem Gelände mit seinen 26 000 Quadratmeter kennt Wissner aber nach wie vor jeden Winkel. Er hat den in das Fachwerk des älteren Wohnhauses geschnitzten Sinnspruch »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen« regelrecht verinnerlicht. »Die Zimmerei und das Sägewerk sind mein Leben«, blickt er zurück.

Georg Wissner II. hatte 1876 zunächst am Londorfer Marktplatz ein Zimmerergeschäft gegründet. Etwa 30 Jahre später errichtete Heinrich Ludwig Wissner, der Großvater von Hanfried Wissner, das Holzwerk an der Brodbachstraße.

»Typisch für die weitere Firmengeschichte sind die Erweiterungen, die es auf dem Gelände peu à peu gab«, sagt Wissner. So entstand Ende der 30er Jahre auch das Kesselhaus mit dem 36 Meter hohen Ziegelsteinkamin.

Wegen der steigenden Nachfrage wurde das Sägewerk immer wieder modernisiert. Zunächst von Vater Heinrich Peter Wissner und dessen Bruder Otto, nach der Übernahme in den 60er Jahren von Hanfried Wissner und seinem Cousin Günter.

Anfänglich gab es zwei Gatter, die in den 70er Jahren durch ein mordenes Gatter ersetzt wurden. Dabei wurde das gesamte Sägewerk mit Laufbändern und Rollengängen ausgestattet. »Das Holz wurde zu Sparren, Balken und Pfetten gesägt und mit Rollwagen 100 Meter in die Zimmerei weitergefahren. Ab den 60er Jahren wurde es mit Geländegabelstaplern transportiert«, erinnert sich Wissner. Das Rohholz verzimmerte man in der Zimmerei und schlug es dann für Dachkonstruktionen auf. Oder es wurde in besagter Schreinerei weiterverarbeitet: Türen, Treppen und Fenster nach Maß entstanden mit geschickter Hand. Um die 2000 Festmeter Holz wurden im Jahr verarbeitet, bis zu 50 Menschen waren angestellt. Schicht war von 7 bis 17 Uhr - mit Frühstücks- und Mittagspause versteht sich.

Mittelpunkt des Betriebs war lange Zeit das alte Steinhaus, das noch mit Steinen vom örtlichen Steinbruch gebaut worden war. Es diente vornehmlich als Wohnhaus, aber auch als Büro.

Doch nun ist schon seit geraumer Zeit Ruhe auf dem Gelände eingekehrt. Bereits vor zwei Jahren den Besitzer gewechselt hat eine Dampfmaschine, die bis 1986 ihren Dienst versah. Ein Verein hat sie an anderer Stelle inzwischen wieder aufgebaut. Doch die Gebäude stehen alle noch - bis auf besagte eingestürzte Lagerhalle.

Sie werden in noch unbestimmter Zeit Neubauten weichen. Der Investor, die Firma Wagner & Wagner aus Solms, wird zunächst auf 4000 Quadratmetern einen Neubau für die Schottener Reha hochziehen. Geplant sind zudem Einfamilienhäuser im östlichen Teil des Anwesens, angrenzend an die bestehende Bebauung. Und in der Brodbachstraße entstehen wohl Mehrfamilienhäuser, die sich von der Höhe her in das Gelände einfügen.

Doch nicht alles wird verschwinden. Ein Drittel der langgezogenen Halle bleibt bestehen. Wissner wird nämlich nicht nur den vorderen Teil des Anwesens behalten, sondern auch einige Maschinen und Gerätschaften. Schließlich ist ein Enkel gelernter Zimmermann.

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