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Mit dem Sonderzug nach Nürnberg

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Von: Jonas Wissner

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Im Bistro-Wagen des Sonderzugs Richtung Nürnberg wird eifrig über die mögliche Lumdatalbahn-Reaktivierung diskutiert.	FOTO: JWR
Im Bistro-Wagen des Sonderzugs Richtung Nürnberg wird eifrig über die mögliche Lumdatalbahn-Reaktivierung diskutiert. FOTO: JWR © Jonas Wissner

Rund 190 Zugfans sind am Samstag beim »Bahn-Erlebnistag« von Lollar nach Nürnberg gefahren. Der Verein Lumdatalbahn warb damit für die Reaktivierung.

Verwundert blicken einige Pendler mit müden Augen am Samstagmorgen zum Lollarer Bahnhofseingang hinüber, während sie zum Gleis gehen. Rund 190 Papiertüten stehen auf Tischen, werden allmählich bestückt mit Laugenstangen, Äpfeln, Wurst, Käse, Sektfläschchen und mehr.

Die Pakete sind keine Aufmunterung für Berufspendler, sondern Verpflegung für Bahnfans: Anlässlich seines zehnten Geburtstags bietet der Verein Lumdatalbahn (LB) den fünften »Bahn-Erlebnistag« an, diesmal nach Nürnberg mit optionalem Besuch im Bahnmuseum. In der Morgendämmerung fährt unter gespannten Blicken der historische Sonderzug ein, den Trans-Europ-Express stellt das DB-Museum in Koblenz. Meist sind die Züge für längere Zeit ausgebucht, doch seit Corona ist es die erste Fahrt dieser Art. Ein Experiment unter schwierigen Vorzeichen.

Über Monate hat der Verein auf diesen Tag hingearbeitet. »Das ist eine Hausnummer, da kommst du schon an deine Grenzen«, sagt Kerstin Lotz (LB-Verein). Jeder Fahrgast muss eine Corona-Gesundheitserklärung abgeben, die Platzkarten sind über den ganzen Zug verteilt. Das reguläre Ticket kostet 65 Euro. Ohne Sponsoren, vor allem eine Detmolder Brauerei, könnte der Verein die Fahrt kaum anbieten.

Wozu der ganze Aufwand? »Wir wollen den Leuten zeigen, wie angenehm Zugfahren ist«, sagt Kerstin Lotz. Gerade in den Wirren der Corona-Zeit will der Verein im Gespräch bleiben, damit der Traum von der Lumdatalbahn nicht aufs Abstellgleis gerät.

Gegen 7 Uhr rollt der Zug los. Die Gäste machen es sich bequem, auch Margit Mietz aus Climbach, die mit ihrem Mann und den jungen Enkeln fährt. Sie freut sich auf einen spannenden Tag in Nürnberg, um 17 Uhr geht es dann zurück.

Wie viele hier ist sie früher selbst noch auf der Lumdatalbahn-Strecke gependelt, steht der Reaktivierung »sehr positiv gegenüber«. Aber von Climbach müsse man erst einmal nach Allendorf kommen, gibt Mietz zu bedenken. Und mancher frage sich, ob die Lumdatalbahn auch ausreichend genutzt würde.

Die Zugfahrt ist ein Erlebnis, bei der die Strecke irgendwie auch das Ziel ist. So wie bei der Lumdatalbahn. Durch den historischen Zug weht ein Hauch von Kaffeefahrt, doch hier wird nicht für überteuerte Produkte, sondern für eine Idee, ein Infrastrukturprojekt geworben.

Daneben ist der Ausflug auch eine Art Netzwerktreffen und Info-Börse. Um 7.45 Uhr steht im Bistro-Wagen eine Diskussion zur LB-Reaktivierung an. Vertreter des Vereins, des Deutschen Bahnkunden-Verbands und von »Pro Bahn« sind unter anderem dabei. Außerdem diskutieren die Bürgermeister Florian Langecker (Rabenau) und Thomas Benz aus Allendorf (Lumda) mit. Auch die Bürgermeister aus Staufenberg und Lollar waren laut Verein eingeladen, fahren aber nicht mit. Der für Landrätin Anita Schneider reservierte Platz bleibt leer. Sie habe wegen einer Terminkollision kurzfristig abgesagt, heißt es im Zug.

»Ich habe das Gefühl, immer mehr sind uns zugetan«, sagt Manfred Lotz (LB-Verein). Aber ein bisschen ärgerlich sei es schon, dass nun andere Reaktivierungen die Lumdatalbahn überholen würden. Drei Jahre nach Vorstellung der Nutzen-Kosten-Analyse habe sich »noch nicht allzu viel bewegt«, sagt HR-Reporter Klaus Pradella als Moderator. Wer sich spruchreife Neuigkeiten erhofft hat, wird am Samstag enttäuscht. Auch die Bürgermeister müssen passen. »Ich habe keinen neuen Sachstand, bin auch enttäuscht über die Landesregierung«, sagt Langecker. »Ich bin gespannt, wie lange man uns die Wurst noch hinhalten will.« Benz sieht das ähnlich: »Wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen.«

Etwas Hoffnung gibt es dann doch: Laut Pradella rechnet die Landrätin mit einem Ergebnis des jüngsten Gutachtens in den nächsten zwei Wochen. Aber es zeichnet sich ab, dass der ursprüngliche Kostenrahmen von rund elf Millionen Euro kaum zu halten sein dürfte.

Die Diskussion verdeutlicht die komplizierte Lage: Man wartet auf grüne Signale von Land und Bund. Auch geht es darum, wer die Bahnstrecke nach der möglichen Reaktivierung betreiben sollte. Viele Akteure spielen mit, und es scheint, als warte dabei einer auf den anderen. Im Bistro-Wagen würden sich einige wünschen, dass das Land offensiver vorangeht. »Zu viele Köche verderben irgendwo auch den Brei«, findet Thomas Kraft von »Pro Bahn«.

Zur Sprache kommt auch die Furcht, die Lumdatal-Dörfer könnten ohne Zuganbindung weiter abgehängt werden. Von einer drohenden »Entvölkerung« ist die Rede, dem befürchteten Wegfall von Arbeitsplätzen - und der Hoffnung, dass eine kürzere Fahrzeit Richtung Gießen mehr Lebensqualität brächte. Man müsse jetzt Druck machen. Für einen Moment scheint es, als würden die Verfechter der Lumdatalbahn den Sonderzug am liebsten direkt Richtung Wiesbaden umleiten, um dort auf die Barrikaden zu gehen.

Schließlich wird die Idee geäußert, man könne die Lumdatalbahn fürs Erste als touristischen Zug auf die Strecke setzen, um einen ersten Schritt zu machen. Doch die Vereinsspitze hält davon wenig. Sie will die Reaktivierung als ÖPNV-Strecke, nicht für Sonderfahrten. Für Museumszüge bleiben ja genügend andere Strecken. Zum Beispiel Richtung Nürnberg.

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