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Ali Naveed darf bleiben

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Von: Jonas Wissner

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Durch die Erteilung der Beschäftigungsduldung hat Ali Naveed nun eine Perspektive - und ist noch immer überglücklich. © Jonas Wissner

Sein Fall hat viele Menschen bewegt: Ali Naveed, seit acht Jahren in Deutschland und als Mitarbeiter in einem Lollarer Pflegeheim hochgeschätzt, drohte die Abschiebung nach Pakistan. Nun hat das Regierungspräsidium eingelenkt - vielleicht auch wegen der breiten Unterstützung für Naveed.

Im Vergleich zum Treffen vor rund drei Monaten ist Ali Naveed kaum wiederzuerkennen. Damals wirkte er angespannt, in sich gekehrt, verzweifelt. Nun sitzt der junge Mann wieder in einem Ruheraum im Lollarer Pflegeheim »Haus am grünen Weg«, strahlt über das ganze Gesicht, kommt ins Plaudern. »Es geht richtig gut«, sagt er und hebt den Daumen, »es ist okay, jetzt bin ich ruhig - kein Stress.«

Der Stimmungsumschwung hat einen Grund und ist allzu verständlich: Naveed, der aus Pakistan stammt, seit 2014 in Deutschland lebt und 2018 begonnen hat, in dem Lollarer Pflegeheim zu arbeiten, war bis vor Kurzem von der Abschiebung bedroht. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, ebenso die Berufung gegen diese Entscheidung. Auch eine Petition an den Landtag sowie an die Härtefallkommission des Innenministeriums in Wiesbaden waren nicht erfolgreich.

Ende November ist seine Duldung ausgelaufen. Bis Anfang Dezember gaben die Behörden ihm dann Zeit, freiwillig auszureisen. Das Regierungspräsidium (RP) Gießen hatte Naveed, wie sein Anwalt Jan Plischke erläutert, schon auf einen Abschiebeflug gebucht. Als letzter Ausweg blieb das Kirchenasyl in Gießen. Im Januar stieg Naveed wieder als Wohnbereichshelfer in Lollar ein, wo er schmerzlich vermisst worden war.

Zwischenzeitlich lief ein erneuter Härtefallantrag, begleitet von öffentlichem Druck. Nicht nur die Gießener Allgemeine berichtete über diesen Fall, in dem ein gut integrierter, am Arbeitsplatz hochgeschätzter junger Mann trotz des Pflegenotstands das Land verlassen sollte - und zwar kurz bevor er nach 18 Monaten in Vollzeitbeschäftigung die Beschäftigungsduldung erreicht hätte.

Doch seit einigen Tagen ist Naveed wieder guter Dinge: Bei einem Termin bei der Ausländerbehörde sei ihm mitgeteilt worden, dass seine Duldung aufgehoben, dafür eine Beschäftigungsduldung erteilt wird, berichtet Naveed begeistert und zeigt ein Foto von dem Dokument, das für ihn so viel bedeutet. »Dann war der erste Weg mit dem Bus an die Arbeit«, er wollte Heimleiterin Masorca Schmitt und seine Kollegen direkt informieren. »Ein herzliches Dankeschön an meine Chefin«, sagt er, »und die Omas und Opas hier freuen sich auch.«

Die Hintergründe der für Naveed so wichtigen Nachricht offenbart Anwalt Plischke: Schon recht bald nach dem Ende des Kirchenasyls und der Annahme des Härtefallantrags habe sich das RP bei ihm gemeldet und mitgeteilt, dass man der Erteilung der Beschäftigungsduldung zustimme. Damit ende auch das Härtefallverfahren, »da rechtliche Lösungen einer Härtefallregelung immer vorgehen«.

Wie geht es für seinen Mandanten nun weiter? Rechtlich gibt es laut Plischke zwei Möglichkeiten: Entweder Naveed bleibt 30 Monate in der Beschäftigungsduldung, setzt die Beschäftigung fort und erhält dann eine Aufenthaltserlaubnis. Oder die Aufenthaltserlaubnis wird auf Basis von Naveeds achtjährigem Aufenthalt in Deutschland beantragt. »Rechtlich umstritten könnte dann einzig sein, ob der Aufenthalt ununterbrochen war oder nicht, da es ja im Kirchenasyl keine Duldung gab«, so Plischke weiter. »Da 30 Monate noch eine lange Zeit sind und Herr Naveed dieses Jahr acht Jahre in der Bundesrepublik sein wird«, werde es wohl auf die zweite Option hinauslaufen. Dabei müsse man schauen, ob die Ausländerbehörde aus der Unterbrechung ein Problem mache oder nicht. »Wenn nicht, dann wird Herr Naveed noch in diesem Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können.«

Noch gilt es also, weitere Schritte zu gehen, doch der Lollarer Wohnbereichshelfer ist nun erst einmal in Sicherheit, die Abschiebung abgewendet und eine Perspektive da. Dafür haben nicht nur Naveed und sein Anwalt, sondern auch Freunde und Kollegen gekämpft: Sie hatten eine Unterstützungsaktion gestartet, um dem - nun hinfällig gewordenen - Härtefallantrag Nachdruck zu verleihen. Die Resonanz war überwältigend, wie Einrichtungsleiterin Schmitt betont: »Allein am ersten Tag kamen 114 E-Mails.« Junge Leute hätten sich gemeldet, aber auch Pflegebedürftige, Menschen aus Lollar und darüber hinaus. Man habe alle Zuschriften ausgedruckt und gesammelt. Viele hätten zwischendurch nachgefragt, ob es etwas Neues gibt.

Welchen Einfluss die breite Unterstützung hatte, sei schwer zu sagen, meint Plischke. »Vermutlich war es ein Mix aus allen Aktionen, der hier zum Umdenken führte, und natürlich die Annahme durch die Härtefallkommission. Da erscheint die Beschäftigungsduldung der ›elegante‹ Ausweg des RP zu sein, um aus der Schusslinie zu kommen«, so der Anwalt.

Zwischenzeitlich war die Duldung bis Mitte April verlängert worden. »Ich hatte Hoffnung, dass es klappt«, sagt Naveed, noch immer breit lächelnd. Er wurde nicht enttäuscht. Nun, erzählt er, sei er sehr dankbar, und viele freuten sich mit ihm: seine Familie in Pakistan, mit der er via Handy Kontakt hält; die Allendorfer Familie, bei der er wohnt - und natürlich die Menschen im »Haus am grünen Weg«. Auf dem Weg durch die Flure der Einrichtung lächeln Bewohner ihm entgegen. »Der Ali ist unser Mädchen für alles«, bekundet ein älterer Herr.

»Er liebt diesen Job«, sagt Schmitt über Naveed, »er ist ein sehr fleißiger und authentischer Altenpfleger, ist mit Herzblut in die Aufgabe reingewachsen«, auch wenn er mangels Ausbildung formal »nur« Wohnbereichshelfer ist. »Endlich kann man zeigen, dass es funktioniert, sich für einen Mensch einzusetzen.«

Ali Naveed will jetzt vielleicht seinen Pkw-Führerschein machen, aber weiter an seinem Arbeitsplatz bleiben. Sein Leben wird er nicht umkrempeln. Doch er kann es endlich ohne die Furcht vor der Abschiebung bestreiten.

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