Abgang mit Ansage

Hans-Peter Stock, der Sozialdezernent des Landkreises Gießen, hört zum Jahresende auf. Für eine zweite Amtszeit von sechs Jahren steht der Freie Wähler nicht mehr zur Verfügung. Wer seine Nachfolge antreten könnte, das ist noch offen. »Wir wollen jemanden, der unseren Landkreis sehr gut von innen und von außen kennt«, sagt FW-Fraktionschef Kurt Hillgärtner.
Schaut Hans-Peter Stock aus dem Fenster seines Büros auf den großen Hof am Rivers- platz, dann sieht er etliche Zelte stehen. »Wenn wir keine Krise hätten, dann könne man glauben, dass hier am Wochenende eine Kirmes gefeiert werden soll«, scherzt der Kreisbeigeordnete mit Blick auf das Arrangement.
Die Zelte dienen der Betreuung und Hilfe für die ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine. Bald 100 sind es derzeit jeden Tag, die in der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung registriert werden. Deren Versorgung über den Fachdienst Migration - also Sozialleistungen wie laufender Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft - fällt in Stocks Zuständigkeit als Dezernent in Diensten des Kreises. Bis Jahresende jedenfalls. Denn zum 31. Dezember endet Stocks Amtszeit. Und er wird in keine zweite gehen. Nach sechs Jahren als Kreisbeigeordneter ist für ihn Schluss. Der dann 58-Jährige tritt nicht für weitere sechs Jahre an.
Das heißt: Die Freien Wähler, Partner in der Mehrheitskoalition mit CDU und Grünen im Kreistag, begeben sich in diesem Jahr auf die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin. Denn gemäß Koalitions-Arithmetik erheben sie Anspruch auf hauptamtliche personelle Vertretung im Kreisausschuss. Erst im vergangenen Jahr war dies (unter Protest der SPD-Opposition) so geregelt worden, dass jede Regierungsfraktion hauptamtlich neben der SPD-Landrätin vertreten ist.
Bereits im vergangenen Spätherbst sei seine Entscheidung gefallen, sagt Stock. Zu Gründen möchte er sich im Detail nicht äußern und sagt dazu nur: »Das gibt es in jedem Job, dass man sich fragt, ob es das Richtige ist, was man gerade macht.« Er habe seinen geplanten Rückzug jedoch umgehend in der Fraktion der Freien Wähler kommuniziert: »Das gehört sich so, frühzeitig für Klarheit zu sorgen«, sagt er. »Herumeiern geht bei so etwas nicht.« Auch im hauptamtlichen Kreisausschuss ist Stocks persönliche Planung mittlerweile bekannt, ebenso in Teilen der Koalition.
Er jedenfalls wolle da in seinem Fall schon jetzt »für klare Patente« sorgen, sagt Stock. Eben damit sich die Freien Wähler nach einem Nachfolger umtun können. Wer also wird seine Position neben den drei anderen Hauptamtlichen, Landrätin Anita Schneider (SPD), dem Ersten Kreisbeigeordneten Christopher Lipp (CDU) und dem Kreisbeigeordneten Christian Zuckermann (Grüne), besetzen? Von Überlegungen, die im vergangenen Sommer geschaffene zusätzliche Hauptamtlichen-Stelle mit Stocks Ausscheiden wieder wegfallen zu lassen, ist aus der Koalition jedenfalls derzeit nichts zu vernehmen.
Stocks angekündigter Rückzug kommt für den einen oder anderen gleichwohl überraschend. Der Freie Wähler hatte zwar im Sommer 2020 Kompetenzen eingebüßt, als Landrätin Schneider wenige Monate nach Beginn der Pandemie einen guten Teil des Krisenmanagements an sich zog und ihren Sozial- und Gesundheitsdezernenten in seinen Aufgaben beschnitt. Als Ausgleich erhielt Stock die Bauaufsicht zugeordnet. Seinerzeit soll der Freie-Wähler-Mann wegen der daraus resultierenden Dissonanzen bereits auf gepackten Umzugskisten gesessen haben, denn die Außenwirkung irritierte und kratzte an Stocks Reputation.
Doch er blieb und ist vor gar nicht allzu langer Zeit noch einmal zu neuer Stärke aufgelaufen. Zu Jahresbeginn hat er von Schneider die Kämmerei übernommen. Dies war zwischen der Landrätin und der neuen CDU/FW/Grünen-Koalition bei der Beratung zur Neuverteilung der Aufgaben angesichts der geänderten Mehrheiten und Kräfteverhältnisse so ausgehandelt worden. »Ein Steckenpferd von mir«, bekennt der frühere Bürgermeister von Schöffengrund ob dieser neuen, zusätzlichen Aufgaben hoch motiviert. Für ihn ist dabei klar: »Wer bis zum Schluss Geld haben will, der muss auch bis zum Schluss arbeiten!«
Um seine berufliche Zukunft über 2022 hinaus ist ihm nicht bang: Stock wird weiter als Dozent an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Wiesbaden sowie beim Hessischen Verwaltungsschulverband in Gießen unterrichten und sich freiberuflich in der Beratung im sozialen Bereich engagieren.
»Ich will noch zehn Jahre arbeiten. Daheim auf der Couch zu liegen, das ist meine Sache nicht«, bekennt der 57-Jährige. Er verweist auf zahlreiche Ehrenämter: Fraktionsvorsitzender der Bürger für Braunfels, einem Bündnis von FW und FDP in der Braunfelser Stadtverordnetenversammlung, Vorsitz des Reit- und Fahrvereins Schöffengrund, Vorstandsarbeit im Haus- und Grundbesitzerverein in Wetzlar, Aufsichtsrat im Wetzlarer Hospizverein Haus Emmaus und so weiter.
Wer Stocks Nachfolger werden könnte, dazu gibt es bislang nur Vermutungen: Als ein potenzieller Kandidat wird Frank Ide gehandelt. Der langjährige Grünberger Bürgermeister hat zwar vor wenigen Monaten sein Amt an einen CDU-Mann verloren, ist aber ein auf kommunaler Ebene erfahrener Mann. Und er hat jetzt möglicherweise Zeit.
Kurt Hillgärtner, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Kreis Gießen, will sich an derlei Spekulationen nicht beteiligen. Die Freien Wähler haben eine kleine Findungskommission gebildet und führen bereits Gespräche mit mehreren möglichen Kandidaten. »Wir wollen jemanden, der unseren Landkreis sehr gut von innen und von außen kennt«, sagt Hillgärtner.
Der weitere Fahrplan für die Personalie: In der nächsten Sitzung des Kreistags Anfang Mai soll ein Wahlvorbereitungsausschuss gebildet werden, der eine Stellenausschreibung und eine Wahl vorbereitet. Irgendwann im kommenden Herbst soll dann vom Kreistag gewählt werden.
Stock selbst hält sich mit Ratschlägen zurück. Die Suche nach einem Nachfolger sei Sache der Freien Wähler, nicht die seine. »Da bin ich raus. Wenn ich um meine Meinung gefragt werde, dann werde ich die abgeben. Wenn nicht, dann ist es ebenso gut.« F: ARCHIV