Ab welchem Alter ist Schluss?

Das Land Hessen prüft, die Altersgrenze für Feuerwehrleute von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Kreisbrandinspektor Mario Binsch sieht das kritisch, er erwartet dadurch keinen nennenswerten Effekt auf die Zahl der Einsatzkräfte.
Es gibt Feuerwehrleute, die sind irgendwann als junger Mensch in die Einsatzabteilung eingetreten. Trotz teils belastender Einsätze haben sie ihr Ehrenamt nie aufgegeben. Sie sind mit großer Leidenschaft dabei. Ottmar Mannke aus Annerod war so einer. Mehr als 45 Jahre war Manke in der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Noch am Abend vor dem Erreichen der Altersgrenze wollte er die Feuerwehrübung besuchen, was nur daran scheiterte, weil ihn seine Kameraden just an diesem Tag festlich verabschiedeten.
Die Regel besagt: Mit Vollendung des 65. Lebensjahres ist mit dem aktiven Feuerwehrdienst Schluss. Bereits fünf Jahre zuvor gibt es eine erste Grenze: Wer nach dem 60. Geburtstag aktiv sein will, muss sich regelmäßig das »Okay« vom Arzt abholen. Gleichzeitig aber arbeiten immer mehr Menschen bis sie 67 sind.
Das Land Hessen war bereits vor einigen Jahren darauf eingegangen. Mitglieder der Alters- und Ehrenabteilung dürfen bis zum 70. Geburtstag Aufgaben abseits des Einsatzdienstes übernehmen, etwa die Mithilfe bei der Jugendarbeit, der Brandschutzerziehung, die Übernahme von Ausbildungspatenschaften oder auch Fahrzeug- und Gebäudepflege. Dafür müssen der Magistrat und die Leiter der jeweiligen Feuerwehr zustimmen.
Nun prüft das Land Hessen auch eine Anhebung der Altersgrenze für den aktiven Dienst von 65 auf 67 Jahre. Ein Pilotprojekt der Sportklinik Frankfurt habe ergeben, dass es keine medizinischen Bedenken gebe. »Menschen jenseits des Alters von 60 Jahren sind heute im Allgemeinen sehr viel fitter und aktiver als im abgelaufenen Jahrhundert«, erklärte das Ministerium der Nachrichtenagentur dpa. In Hessen könnten von der Regeländerung rund 2300 Männer und Frauen profitieren.
Man könnte nun meinen, die örtlichen Verantwortlichen sind hellauf begeistert, immerhin können sie nicht überall aus dem Vollen schöpfen. Doch Kreisbrandinspektor Mario Binsch dämpft die Erwartungen, dass sich durch die Altersanhebung die Zahl der Einsatzkräfte deutlich erhöhen würde. Feuerwehrleute wie Mannke aus Annerod seien selten: Laut Jahresstatistik 2021 gibt es im Landkreis gerade einmal acht Feuerwehrleute im Alter von 64 Jahren, älter als 60 sind 63 Einsatzkräfte. Bei 2532 Feuerwehrleuten »entspricht das zwei Prozent«, sagt Binsch. »Bei 83 Ortsteilfeuerwehren (ohne die Stadt Gießen) bedeutet dies statistisch, dass noch nicht einmal in jeder Ortsteilwehr eine Einsatzkraft im Alter von über 60 Jahren aktiv am Einsatzgeschehen teilnimmt.«
In Grünberg (9 Einsatzkräfte), Hungen (8) und Langgöns, Laubach und Lich (je 7) gehen besonders viele Menschen jenseits der 60 noch dem Hobby Feuerwehr nach, in Allendorf, Heuchelheim oder Pohlheim gibt es hingegen keine Aktiven in dieser Altersklasse.
Binsch gibt zudem zu Bedenken, dass eines der größten Probleme der Feuerwehren die Tagesalarmbereitschaft ist. Da es im gesamten Landkreis keine Berufsfeuerwehr gibt, sondern die Feuerwehrleute einen Arbeits-, Studienplatz oder Schulunterricht haben, stehen nicht alle rund um die Uhr für Einsätze zur Verfügung. In Zeiten von pandemiebedingtem Home Office hatte sich die Lage leicht entspannt.
Jedoch braucht es, um einen Wohnungsbrand samt vermisster Menschen zu bekämpfen, zwingend Atemschutzgeräteträger. In der Altersklasse von 18 bis 59 Jahren sind dafür nicht alle Feuerwehrleute ausgebildet, andere haben die erforderlichen Wiederholungsübungen oder Ärztechecks schleifen lassen und gelten daher als nicht einsatztauglich. Ab 60 Jahren darf man nicht mehr in den Atemschutzeinsatz, sodass bei einer solchen Gemengelage auch kein positiver Effekt zu erwarten ist.
»Eine Anhebung der Altersgrenze hat somit keinen nennenswerten Einfluss auf die Problemstellung der Tagesalarmsicherheit«, sagt Binsch. »Im Gegenzug steigen die Herzinfarktgefahr und das Unfallrisiko im Alter deutlich an.« Die 21 hessischen Kreisbrandinspektoren, der Landesfeuerwehrverband und auch die Arbeitsgemeinschaft der Berufsfeuerwehren haben sich laut Binsch gegen die Altersanhebung ausgesprochen.
Große Probleme und Handlungsbedarf sieht Binsch dagegen am anderen Ende der Altersspanne: Seit Jahren würden immer weniger Jugendliche den Weg in die Einsatzabteilungen finden. Es brauche dringend Konzepte, um diesen Trend aufzuhalten.