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»Zeigt euren Schülern Empathie!«

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Zugewandt und aufmerksam: Das Verhalten von Lehrkräften hat laut Studie langfristige Auswirkungen. SYMBOL © Red

Siegen - Ein paar lobende Worte für den Schüler, der sich von der Note 5 auf eine 3 im Mathe-Test verbessert hat. Ein offenes Ohr bei privaten Problemen - empathisches Verhalten von Lehrern hat nicht nur akut in der Situation positive Auswirkungen auf Schülerinnen und Schüler. Es gibt Hinweise darauf, dass es Verbindungen zwischen Schulerlebnissen mit Lehrern und langfristigen Auswirkungen auf das mentale Wohlbefinden der ehemaligen Schüler und heutigen Erwachsenen gibt.

Das gilt im Positiven wie im Negativen.

Sexuelle Übergriffe besonders prägend

Verhalten sich Lehrer zum Beispiel bei der Notenvergabe ungerecht, legen ein herabwürdigendes Verhalten an den Tag oder mobben ihre Schüler sogar, dann kann das auch langfristig negative Auswirkungen auf betroffene Menschen haben. Das hat Doktorand Christian Dittmann von der Universität Siegen in seiner Studie herausgefunden. Die Ergebnisse seiner Studie hat er jetzt im Fachmagazin BMC Psychology veröffentlicht, eine Publikation von Springer Nature.

Dittmann ist Sozialpädagoge und kooperierte für seine Studie mit Prof. Dr. Simon Forstmeier, Entwicklungspsychologe an der Uni Siegen. Forstmeier ist Experte für die Psychologie von der Jugend bis ins hohe Alter. Die Studie füllt ein bisher offenes Feld in der Forschungslandschaft. »Es ging bisher immer nur darum, wie Lehrer ihre Schüler akut und aktuell in diesem Moment beeinflussen, aber nie darum, ob Erlebnisse auch später im Leben der Schüler langfristige Auswirkungen haben«, erklärt Dittmann. Das wollte der Doktorand ändern und startete eine Querschnittstudie. Dabei fand er unter anderem heraus: Wer als Schüler sexuelle Übergriffe erlebt hat, hat ein signifikant schlechteres Wohlbefinden im Erwachsenenalter als Schüler, die negative Erlebnisse anderer Art hatten, zum Beispiel Rassismus, Mobbing oder körperliche Gewalt durch Lehrer. Dieses Verhalten habe ebenfalls starke negative, langfristige Auswirkungen auf die Menschen, aber bei Weitem nicht so massiv wie sexuelle Übergriffe. Langfristig wirke sich ein solch grobes Fehlverhalten von Lehrkräften sowohl auf die Depressivität als auch auf das Angst- und Stressniveau signifikant negativ aus.

Genau andersherum sehe es aus, wenn sich Lehrer empathisch verhalten, ein offenes Ohr haben, guten Rat geben, loben, motivieren und individuell fördern. Wer als Schüler solche positiven Erlebnisse mit Lehrern hatte, hat im Erwachsenenalter im Schnitt eine stärkere Resilienz und ein stärkeres Selbstbewusstsein. Besonders interessant dabei: Je positiver die Probanden das Erlebnis mit den Lehrkräften wahrnahmen und beurteilten, desto positiver wirkte es sich auf das heutige mentale Wohlbefinden aus.

Auch Kleinigkeiten können wichtig sein

Repräsentativ ist die Studie nicht. Dittmann betont, dass viele der Probanden Studierende der Uni Siegen waren, 76 Prozent Frauen. Schulabbrecher nahmen kaum teil, obwohl Dittmann vor allem deren Perspektive interessiert hätte. Außerdem betont er, dass es bei einer Querschnittstudie wie dieser immer um subjektive Erlebnisse gehe und diese auch verzerrt in Erinnerung bleiben können.

Trotzdem seien die Ergebnisse seiner Studie wertvoll, gerade weil es bisher keine vergleichbaren Studien gab. Dittmann selbst gibt an der Universität Siegen Kurse für angehende Lehrer und weiß, wie wichtig solche Erkenntnisse für die Lehramtsstudierenden sind. »Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass sich negatives Verhalten von Lehrkräften in der Situation selbst vermutlich negativ auf die Schüler auswirkt. Was wir aber zeigen, ist die mögliche Dauer und Stärke der Auswirkungen«, erklärt er. »Wenn ich als Lehrer einen Schüler anschreie, wird er das nicht unbedingt am nächsten Tag vergessen haben und es eventuell noch deutlich länger mit sich herumtragen.« Für den Siegener Sozialpädagogen ist deshalb wichtig, den Lehramtsstudierenden klarzumachen, wie wichtig auch Kleinigkeiten sein können. »Ich möchte dafür sensibilisieren, welch große Auswirkungen negatives Lehrerverhalten haben kann, wie aber auch Kleinigkeiten im Positiven eine riesige Auswirkung haben können.« Bei übervollen Klassen sei eine individuelle Förderung der Kinder nicht immer möglich, aber allein ein offenes Ohr zu haben und sich empathisch zu verhalten, könne große Unterschiede machen. Diese Grundhaltung vermittelt Dittmann seinen Lehramtsstudierenden. Etwas vereinfacht würde er allen Lehrern manchmal gern zurufen: »Zeigt euren Schülern Empathie!« Für die Zukunft plädiert Dittmann dafür, die Fragestellung in einer Längsschnittstudie genauer zu untersuchen. Dafür müsste man Menschen über Jahre begleiten. red

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