»Wir haben gezeigt, dass wir sehr zuverlässig sind«
Kordula Schulz-Asche, Landesvorsitzende der hessischen Grünen, kommt im Beitrag unserer Reihe von Redaktionsgesprächen im Vorfeld der Landtagswahl zu Wort.
Frau Schulz-Asche, die Grünen treten traditionell mit einer Doppelspitze bei der Landtagswahl an. Sie wurden auf Listenplatz eins gewählt, auf den Wahlplakaten wirbt die Partei mit Tarek Al-Wazir. Warum sind Sie selbst nicht mehr im Straßenbild vertreten?
Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, Tarek Al-Wazir in den Vordergrund dieses kurzen Wahlkampfs zu stellen. Er gehört zu den bekanntesten Politikern in Hessen und hat hohe Kompetenz- und Sympathiewerte bei den Wählerinnen und Wählern - daher ist diese Aufstellung aus unserer Sicht richtig. Wir haben nach wie vor quotierte Listen, um Frauen und Männer gleichberechtigt im Parlament vertreten zu haben. Daher kann ich damit leben, dass ich neben dem von den Wählerinnen und Wählern als sehr sympathisch wahrgenommenen Tarek Al-Wazir in der Außendarstellung weniger vertreten bin. Die Erfahrungen im letzten Wahlkampf haben uns gelehrt, mit der Person zu punkten, die am bekanntesten ist. Das ist Tarek Al-Wazir.
Die Grünen haben erklärt, man schließe ausdrücklich keine Option aus, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen würde. Ist Schwarz-Grün dann doch auch mit Roland Koch eine Möglichkeit?
Nein. Wir haben nach dem Wahlergebnis vom letzten Jahr von Anfang an gesagt, dass es die Aufgabe aller Parteien ist, eine regierungsfähige Mehrheit zustande zu bringen. Wir haben gesehen, dass die FDP sich dem verweigert hat. Wir haben uns deshalb auf den Versuch einer Regierungsbildung mit der SPD unter Duldung der Linkspartei eingelassen. Auf der anderen Seite ist in den letzten Tagen sehr deutlich geworden, dass die Annäherungsversuche Roland Kochs in Richtung eines Jamaika-Bündnisses im vergangenen Jahr inhaltlich nicht wirklich fundiert waren. Den Verdacht hatten wir ja immer, aber es hat sich eben jetzt noch einmal gezeigt, dass Roland Koch keine grüne Politik macht. Es erscheint uns nicht vorstellbar, mit Roland Koch einen Koalitionsvertrag auszuhandeln, der klare grüne Linien aufweist. Von daher haben wir gesagt, wir schließen nichts aus, aber Koch ist auch als Personifizierung einer ganz bestimmten politischen Kultur in Hessen für uns und unsere Anhängerschaft ein Riesenproblem.
Wir können nicht erkennen, wie es mit seinem Politikstil möglich sein soll, der Spaltung und dem Auseinanderdriften innerhalb der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Ihre Partei geht auf Distanz zur SPD und ihrem Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel. Wie tief sitzt die Enttäuschung über die gescheiterte Regierungsbildung noch bei den Grünen?
Natürlich sind wir enttäuscht. Wir hatten einen Koalitionsvertrag, der gezeigt hat, dass es in Hessen möglich wäre, eine sehr moderne und zukunftsweisende Politik zu machen, gerade in den Bereichen der Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik. Das ist leider an einer in sich zerstrittenen SPD gescheitert. An diesem Zustand der Zerstrittenheit hat sich bis heute nichts geändert, auch nicht durch den neuen Spitzenkandidaten. Von daher ist die Frage tatsächlich, wie die SPD aus dieser Situation herausfindet. Dabei können wir als Grüne kaum helfen. Ich kann nur hoffen, dass die SPD es schafft, diesen Zustand zu überwinden und wieder zu einer Partei zusammenzuwachsen.
Also kritische Distanz, aber trotzdem gerne eine Koalition, wenn es möglich wäre?
Wenn die Mehrheitsverhältnisse es hergeben natürlich, weil die inhaltlichen Übereinstimmungen und Schnittmengen mit der SPD nach wie vor am größten sind. Das hat der Koalitionsvertrag ja auch gezeigt. Daher kann es gar nicht in unserem Interesse sein, dass die SPD so schwach ist. Denn das ist auch mit einer der Gründe, warum Roland Koch leider wieder so stark ist.
Die Grünen sind aus dem turbulenten Jahr 2008 nach Meinung vieler als Gewinner herausgegangen, da sie viele grüne Inhalte im Koalitionsvertrag untergebracht haben. Es gab aber auch Kritik an der Öffnung der Partei für ein rot-rot-grünes Bündnis. Wie bewerten Sie die Arbeit der Partei im abgelaufenen Jahr?
Wir haben im vergangenen Jahr - und das war nicht einfach - gezeigt, dass wir sehr zuverlässig sind und versuchen, vernünftig mit Politik umzugehen. In den Fachbereichen sind wir sehr kompetent und haben von Anfang an versucht, nicht mit lautem Geschrei und vielen Emotionen die verschiedenen Verhandlungen zu führen. Daher haben wir auch mit der CDU und der FDP Gespräche geführt direkt nach den Wahlen, um die Möglichkeiten auszuloten. Von daher haben wir uns als sehr zuverlässige Kraft erwiesen und auch in Bezug auf die Regierungsbildung mehrere Optionen geprüft. Später haben wir etliche Sicherheitsnetze eingezogen, weil wir gesagt haben, wenn es tatsächlich sowohl bei der Linkspartei wie auch bei der SPD Leute gibt, die dieses Projekt scheitern lassen möchten, dann wollen wir das so früh wie möglich wissen. Dass es dann doch nicht funktioniert hat, hat mit Sicherheit nicht an uns gelegen, sondern an der SPD. Ich bewerte unsere Arbeit daher als sehr gut und glaube, dass die Wählerinnen und Wähler das ähnlich sehen. Das zeigen nicht nur die Umfragen, sondern das merken wir vor allem auch im Wahlkampf auf der Straße. Und deshalb kämpfen wir jetzt für ganz starke Grüne. Egal in welcher Rolle wir im nächsten Landtag vertreten sein werden, möchten wir drittstärkste Kraft werden und auch in der Lage sein, mit einer großen und fachlich kompetenten Fraktion die parlamentarische Arbeit gestalten zu können.
Die Bildungspolitik ist eines Ihrer Kernthemen im Wahlkampf. Was ist für Sie »gerechte Bildung«?
Gerechte Bildung ist für mich, zu versuchen, jedes einzelne Kind so früh wie möglich zu fördern, entsprechend seiner Begabungen, und die Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung zu stellen. Kein Kind soll zurückgelassen werden. In den letzten Jahrzehnten war die Bildungsdebatte in Hessen immer von Ideologien geprägt. Dabei standen nie die Kinder im Vordergrund, sondern immer die Schulsysteme, die gegeneinander ausgespielt wurden. Wir haben mit den PISA-Studien, zuletzt wieder mit den Ergebnissen bei der Lesekompetenz der Grundschüler, immer gezeigt bekommen, dass das hessische System nicht geeignet ist, alle Kinder in ausreichendem Maße mitzunehmen und dass da sehr viel mehr getan werden müsste. Das ist einer unserer Hauptkritikpunkte an der zehnjährigen CDU-Politik. Es ist nicht gelungen, zu einem grundsätzlichen Qualitätswechsel im Bildungssystem zu kommen.
Wir wollen ein Schulsystem, das nicht von oben aufoktroyiert ist, sondern in den Schulgemeinden selber entwickelt wird mit Beteiligung von Lehrern, Eltern und so weit möglich auch Schülern, um damit auf die besonderen Bedürfnisse und Situationen der jeweiligen Schulen einzugehen. Dazu gehört es, so lange wie möglich gemeinsam zu lernen und mit Ganztagsangeboten auch dafür zu sorgen, dass man genug Spielraum hat, um alle Schüler entsprechend ihrer Schwerpunkte und Schwächen in den Schulbetrieb einzubinden und zu fördern.
Die SPD setzt sehr stark auf das Thema erneuerbare Energien und war - nicht zuletzt durch »Energiepapst« Hermann Scheer - mit dem Thema groß in den Schlagzeilen. Haben die Sozialdemokraten die Grünen auf ihrem ureigensten Themenfeld überholt?
Nein. Wir haben im letzten Jahr bei den Landtagswahlen Probleme gehabt, gegen eine bundesweit bekannte Persönlichkeit im Bereich der erneuerbaren Energien wahrgenommen zu werden. Man hat jedoch auch gesehen, dass die Positionen Scheers in der SPD überhaupt keine Verankerung haben. Das sieht man auch daran, dass auf der Landesebene Wein gepredigt und in vielen Kommunen von der SPD Wasser produziert wird. Das heißt beispielsweise, dass für neue Kohlegroßkraftwerke eingetreten wird und mögliche Gebiete für Windräder verhindert werden, wie hier in der Regionalversammlung Mittelhessen geschehen. Das alles ist überhaupt kein verinnerlichter Prozess innerhalb der SPD. Daher bin ich sicher, dass wir als Grüne hier wieder als die Umweltpartei wahrgenommen werden, die sich nicht nur auf Landes-, sondern auch auf kommunaler Ebene wirklich für die Energiewende einsetzt.
Die Landesregierung hat infolge der Finanzkrise ein eigenes Konjunkturprogramm angekündigt. Ist Hessen damit ausreichend gerüstet?
Auch wir haben in der letzten Woche ein Konjunkturprogramm vorgestellt mit Maßnahmen, die wir für richtig halten. Wir müssen in dieser Situation sicherstellen, dass der Staat bestimmte Bereiche stärken kann - das heißt, die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu mindern, aber gleichzeitig natürlich auch Voraussetzungen dafür schaffen, dass das nicht wieder passiert. Es muss gewährleistet werden, dass die Wirtschaft, vor allem die Finanzwirtschaft, so aufgestellt ist, dass sie sehr viel besser mit Krisen und Anfälligkeiten umgehen kann, als das bisher der Fall ist. Unser Interesse ist es überdies, dass vor allem in den Bereichen investiert wird, wo klar ist, dass hier auf Dauer Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Dass ist mit Sicherheit der gesamte Bereich der Bauindustrie, die Frage der energetischen Sanierung, also Energiesparen. Hier kann man unglaublich viel machen - gerade im Bereich der Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und überhaupt einer großen Zahl öffentlicher Gebäude. Viele sind in einem baulichen Zustand, der eher kläglich ist und wo die Notwendigkeit der energetischen Sanierung auf der Hand liegt. Ebenso muss Hessen weg von den Beton-Infrastrukturmaßnahmen, vom Straßenbau hin zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs.
Wir haben ein Programm vorgeschlagen zur Stärkung des Schienenverkehrs etwa in Nordhessen, ein Gebiet, das ja auch touristisch noch stärker erschließbar wäre. Weiterhin treten wir schon seit Jahren für den Ausbau des DSL-Netzes in den ländlichen Gebieten ein, was Investitions- und Strukturimpulse bringt. Das hat jetzt endlich auch die Bundeskanzlerin erkannt.
Der Ausbau des Frankfurter Flughafens ist seit jeher ein Streitthema. Warum lehnen die Grünen die Erweiterung ab?
Der Flughafen Frankfurt liegt mitten in einem Ballungsraum, der sehr stark besiedelt ist und wo die Belastungsgrenzen dessen, was für die dort wohnenden Menschen zumutbar ist, jetzt schon überschritten sind. Wir sind der Auffassung, dass die Lebensqualität dieser Menschen sehr viel stärker Berücksichtigung finden muss als bisher. Wir Grüne sind nicht grundsätzlich gegen den Flughafen, sondern gegen den weiteren Ausbau. Wir setzen uns dafür ein, dass Flüge so stattfinden, dass die Leute nachts auch einmal ihre Ruhe haben und nicht in relativ kurzen Abständen, wie es jetzt wieder geplant ist, geweckt werden. Daher schlagen wir bessere Kooperationen mit Flughäfen in der Region vor - mit den Flughäfen Hahn und Köln-Bonn.
All das sind Möglichkeiten, die in den letzten Jahrzehnten nicht genutzt wurden, weil nur auf die Expansion des Flughafens Frankfurt gesetzt wird. Wir glauben, dass es sehr viel vernünftigere und zukunftsträchtigere Lösungen gibt, den Flughafen Frankfurt in einem Netzwerk verschiedener Flughäfen so zu gestalten, dass auch die Arbeitsplätze gesichert sind und weitere hinzukommen. Bei einer Kooperation dreier Flughäfen können Sie davon ausgehen, dass dadurch mit Sicherheit ein gewisser gestreuter Arbeitsplatzeffekt entstehen würde. Wobei grundsätzlich im Auge behalten werden muss, dass derzeit die Fluggastzahlen in Frankfurt zurückgehen und sich insofern ganz generell die Frage stellt, inwieweit das alles ökonomisch sinnvoll ist, was da geplant ist.