Dannenröder Forst: Wie weit darf der Protest gegen die A49 gehen?
Wo die Grenzen des Anti-A49-Protests sind und warum die Besetzung im Hambacher Wald ein Wendepunkt war. Fridays for Future-Sprecherin Line Niedeggen im Interview.
- Die Bewegung Fridays for Future unterstützt die Anti-A49-Proteste im Dannenröder Forst.
- FFF-Sprecherin Line Niedeggen hat auch Verständnis für A49-Sympathisanten.
- Aber die Lösung für überfüllte Straßen sieht sie nicht in einer weiteren Autobahn.
Frau Niedeggen, von friedlicher Fahrraddemo über Sachbeschädigungen bis hin zu Angriffen auf Polizisten - das alles haben wir schon beim Protest gegen den Weiterbau der A49 erlebt. Wie weit darf Protest gehen?
Es ist wichtig, dass jeder die Aktionsform findet, mit der er oder sie sich wohlfühlt. Denn jeder Protest ist wichtig und berechtigt. Wir als Fridays for Future wählen den Straßenprotest, aber der ist nur möglich, weil eben auch Menschen Bäume besetzen. Wir beobachten schon seit Jahren, dass immer wieder versucht wird, Einzelfälle herauszusuchen, um die Bewegung zu spalten. Das ist aber nicht möglich, denn wir unterstützen die Besetzung im Wald und die Besetzung vom Wald unterstützt unser Anliegen. Teilweise sind auch viele Menschen von Fridays for Future dort im Wald. Und wir verstehen auch die Frustration von Menschen, deren Protest das System seit Jahren nicht gerecht wird, sondern nur den Kapitalinteressen und Verträgen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Also ist es auch in Ordnung, wenn man mit Steinen nach Polizisten wirft?
Generell ist Gewalt gegen Menschen immer zu verurteilen, aber das gilt in beide Richtungen. Und das wird häufig verdreht.
Proteste auf Autobahnen können für Unbeteiligte gefährlich werden, wenn es zu Auffahrunfällen kommt, wie zuletzt.
Es ist extrem wichtig, solche Fälle nicht zu politisieren. Vor allem, wenn Menschen verletzt wurden, kann es nicht sein, dass es dann für irgendeine politische Richtung ausgelegt wird. Und generell führen mehr Straßen auch nicht zu weniger Unfällen. Wir sind für eine gerechte und sichere Verkehrswende.

Protest gegen A49-Ausbau im Dannenröder Forst: Verkehrswende selbst in die Hand nehmen
Aber prinzipiell ist diese Protestform in Ordnung?
Ich denke, es ist ein wichtiges Zeichen, um zu zeigen: So wie ihr die Verkehrswende betreibt, machen wir nicht mehr mit. Wenn der Straßenprotest nicht mehr gehört wird, ist es verständlich, dass man irgendwann sagt: Okay, wir müssen anders Aufmerksamkeit schaffen oder effektiv dafür sorgen, dass wir die Verkehrswende selber in die Hand nehmen. Und genau das passiert da.
Wenn Staus verursacht werden, reagieren zum Teil auch Ausbau-Kritiker genervt. Ist das die richtige Protestform oder schadet es nicht eher der Solidarisierung?
Ich glaube, was der Solidarisierung schadet, ist zu behaupten, dass dadurch Staus verursacht werden, wenn die meisten Staus durch den täglichen Pendlerverkehr verursacht werden und durch Lkw, die für dort ansässige Konzerne die Straßen nutzen. Die Stau- und Unfallquellen, die wir in Deutschland haben, sind ein Resultat der problematischen Verkehrsstruktur, die auf fossile Industrien ausgelegt ist.
Anti-A49-Protest: Besetzung im Hambacher Forst war Wendepunkt
Sind Autofahrer per se ein Feindbild?
Auf gar keinen Fall. Es wird immer wieder versucht, genau dieses Bild aufzumachen, aber viele von uns haben einen Führerschein und unsere Eltern fahren natürlich auch Auto. Es geht nicht um diesen Konflikt zwischen Einzelpersonen - zum Beispiel zwischen mir und meiner Mutter - sondern darum, dass das Verkehrsministerium seit Jahren eine gerechte Verkehrswende blockiert und von einem Skandal in den nächsten rutscht. Ich kann es komplett nachvollziehen, wenn man keine Lust hat, zwei Stunden ÖPNV zu fahren, wenn man in einer halben Stunde mit dem Auto da sein kann - möglicherweise auch noch günstiger.
Sie waren auch im Hambacher Forst aktiv. Welche Erfahrungen haben Sie mitgenommen?
Viele. Ich glaube, wenn der Hambi eine Sache gezeigt hat, dann auf jeden Fall, dass Aktivismus funktioniert und dass das Herauszögern von Entscheidungen zu einem Umschwung führen kann. Das war ein großer Wendepunkt. Und das zeigt sich jetzt wieder: Im Dannenröder Wald geht die Räumung jetzt schon länger als sie insgesamt im Hambacher Wald angedauert hat. Im Hambacher Wald waren es drei Wochen, im Danni dauert die Rodung jetzt schon über einen Monat und es ist noch kein Ende in Sicht. Es zeigt sich wieder, dass dieser Rechtsstaat, der eigentlich dafür da ist, die Menschen zu schützen, aktuell häufig das System schützt, was den Menschen schadet. Das Gegenspiel zwischen Aktivisten und Polizei ist nur die Zuspitzung dieser grundlegenden Probleme.
Zur Person
Line Niedeggen ist Sprecherin von Fridays for Future zum Protest gegen den Ausbau der A49. Die 23-Jährige wuchs zwischen Köln und Bonn auf und engagiert sich seit mehreren Jahren für den Umweltschutz. Auch bei den Protesten im Hambacher Forst war Niedeggen aktiv. Für ihr Master-Studium in Umweltphysik zog sie im April 2019 nach Heidelberg, wo sie zu einem der bekanntesten Gesichter der Fridays for Future-Bewegung wurde. Niedeggen schreibt aktuell ihre Masterarbeit und ist auch an der Organisation bundesweiter Aktionen beteiligt.
Protest gegen A49-Ausbau im Dannenröder Forst: Bunte Mischung von Protestierenden
Vielen sind Menschen, die Bäume besetzen, suspekt.
Das mag sein, dass man denkt, die Menschen, die Bäume besetzen, sind verrückt, aber sie setzen ihre Handlungen einfach nur konsequent um. Die fragen sich: Was ist die größte Wirksamkeit, die ich mit meinem Tun gerade haben kann und kann ich es mir leisten, jetzt ein paar Tage oder Wochen im Wald zu leben und dort an einer alternativen Idee von Gesellschaft mitzuarbeiten?
Wer protestiert überhaupt? Gibt es eine Art Protesttourismus, der viele Aktivisten aus dem Hambacher Forst jetzt nach Mittelhessen führt?
Es sind viele Studierende und viele jüngere Menschen dort, was man an der Fridays for Future-Beteiligung sieht. Ich habe keine Befragung gemacht, aber ich glaube, es sind viele Menschen dort, die im Hambacher Forst aktiv waren. Dort sind damals 50.000 Menschen aus der ganzen Republik hingefahren und viele davon fahren jetzt auch in den Danni. Aber es sind auch sehr viele Menschen von vor Ort, die das Camp unterstützen. Es ist eine sehr bunte Mischung. Vor allem sonntags, wenn der Waldspaziergang ist. Da sind Familien mit Hunden da, aber daneben auch komplett schwarz angezogene maskierte Aktivisti, die aus größeren Städten wie Berlin, Frankfurt oder Köln kommen. Man lernt sich ganz neu kennen und sieht, wie vielfältig und wichtig diese Ebene des Protestes ist.
Dannenröder Forst: Statt A49-Ausbau besser ÖPNV weiterentwickeln
Anwohner der B62 oder B3 befürworten den Ausbau der A49, weil sie sich dadurch eine Entlastung versprechen. Haben Sie Verständnis für diejenigen, vor deren Türen täglich der Lastverkehr rollt?
Ich glaube, wir haben alle Verständnis dafür, dass es extrem störend ist, wenn man ständig Staus und Autos vor der Nase hat. Das Problem ist aber, dass mehr Straßen nicht weniger Verkehr bedeuten. Vor allem gibt es keine Kalkulationen, wie das läuft, wenn auf der Autobahn Stau ist und die Leute durch die Dörfer fahren.
Wie sollen die Anwohner stattdessen entlastet werden?
Indem es Unternehmen einfacher gemacht wird, ihre Logistik auf die Schiene zu verlegen. Außerdem muss es mehr Raum für ÖPNV geben, auch für die Menschen dort. Da fährt am Tag ein Bus, natürlich fahren dann alle Leute mit dem Auto.
Manchmal hat man das Gefühl, das größte Feindbild für Waldbesetzer und auch Fridays for Future sind die hessischen Grünen. Viele fordern ihren Rücktritt aus der Regierung - auch um den Glaubwürdigkeit der Partei nicht bundesweit zu schaden. Sie auch?
Ich weiß nicht, ob das der Schritt wäre, der den Grünen helfen würde, wenn sie weiter bei ihrer Position bleiben. Wenn der Rücktritt dem Autobahn-Stop hilft, dann ist es eine gute Lösung. Aber wenn nicht, denke ich nicht, dass man sich so aus der Verantwortung ziehen sollte. Es geht ja nicht darum, ein politisches Drama zu erzeugen, sondern darum, den Bau der Autobahn zu verhindern.
Keine Anhaltspunkte für erhöhtes Eskalationslevel im Dannenröder Forst
Was wäre stattdessen der richtige Weg?
Es müssen demokratische Wege gefunden werden, um die Räumung zu stoppen. Es muss in der Möglichkeit einer Regierung sein, ein solches Moratorium auszusprechen. Es gab ja neulich ein Gutachten, dass es rechtlich möglich ist, die Entscheidung noch einmal überprüfen zu lassen.
Das hessische Verkehrsministerium hat das Gutachten als »unzureichend fundiert« zurückgewiesen. Haben Sie wirklich noch die Hoffnung, dass die Arbeiten gestoppt werden?
Solange der Wald besetzt ist, wird nicht gerodet und solange nicht gerodet wird, kann nicht gebaut werden. Und selbst wenn gerodet ist, ist die Autobahn noch nicht gebaut. Der Widerstand wird weitergehen und, wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, wird er auch nicht weniger werden.
Im Herrenwald sind die Proteste meist überwiegend friedlich verlaufen. Wird es im Dannenröder Forst anders werden?
Ich kann mir vorstellen, dass der Widerstand dort größer ist. Es gibt dort mehr und stärkere Strukturen, die viel Arbeit erzeugen und somit die Räumung hinauszögern. Ich sehe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es ein höheres Eskalationslevel gibt.
Anti-A49-Protest: Statt Rodung von Dannenröder Forst „Milliarden in den ÖPNV-Ausbau“ stecken
Sie fordern eine grundlegende Verkehrswende. Was sind die dringlichsten Aspekte?
Das Wichtigste ist, Milliarden in den ÖPNV-Ausbau zu stecken und nicht in Infrastruktur-Projekte wie Autobahnen. Dass man den ÖPNV sozial gerecht gestaltet, so dass es sich alle Menschen leisten können, mit der Bahn zu fahren. Das ist aktuell nicht der Fall. Dass man die Dörfer besser an Städte anbindet. Die Verkehrspolitik muss sich auf eine sozialgerechte öffentliche Nahverkehrsstruktur konzentrieren, statt auf Scheinlösungen wie Wasserstoff- oder Elektroautos. Die können auch ein Teil der Lösung sein, aber man kann sich nicht auf sie verlassen, wenn man eine umfassende Mobilitätswende möchte, die man sich leisten kann.
Das sind große, politische Forderungen. Was kann der Einzelne tun?
Diese Frage wird viel zu oft damit beantwortet, dass man weniger Auto fahren, weniger fliegen und weniger Fleisch essen soll. Klar ist es sinnvoll und wichtig, die Möglichkeiten zu nutzen, die man hat, um weniger Emissionen zu verursachen. Aber es geht darum, diese großen Fragen zu stellen: Wer sind wirklich diejenigen, die die großen Emissionen verursachen? Das sind eben nicht die Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, weil sie es sich sonst nicht leisten können. Notwendig ist der gesamtgesellschaftliche Protest. Es ist wichtig, ihn überall hinzutragen, in die Kantine, nach Hause, in die Familie, auf die Straße, ins Internet - für eine lebendige Demokratie, die die systematischen Probleme erkennt und behandelt, anstatt die individuellen Probleme gegeneinander auszuspielen. (Interview: Lena Karber)