Völkische Bewegung in Hessen
Wiesbaden - Sie wollen als Selbstversorger auf dem Land leben, suchen eine vermeintlich natürliche Gesellschaftsordnung und orientieren sich an rechter Esoterik: Auch in Hessen sind sogenannte völkische Siedler aktiv, Mitglieder einer Art rechter Aussteiger-Szene. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) weiß aktuell von mehreren Personen aus Hessen, die Kontakte zur völkischen »Anastasia-Bewegung« haben.
Zudem kennt der Inlandsgeheimdienst drei »Familienlandsitzprojekte«, die sich auf die aus Russland stammende Bewegung beziehen.
Die Ideen der »Anastasia-Bewegung« basieren auf einer Romanreihe des russischen Unternehmers Wladimir Megre. Die seit 1996 erschienenen Bücher, die auch auf Deutsch erhältlich sind, berichten von angeblichen Begegnungen Megres mit der mystischen Figur Anastasia, die von einem »Urvolk« aus Sibirien abstammen soll. In den esoterischen Büchern wird geschildert, wie ein angeblich ursprüngliches ländliches Leben im Einklang mit der Natur aussehen soll. Dabei liefert Anastasia Anleitungen für eine patriarchale Geschlechterordnung, das Leben auf dem Land und die Kindererziehung. Die Bewegung hat neben einer ausgeprägten Ablehnung der technischen Moderne auch antisemitische Anteile.
In Russland und Belarus, aber auch in Österreich und Deutschland sind mittlerweile rechte Landkommunen entstanden, die sich an der Anastasia-Buchreihe orientieren. Laut einem Bericht der antifaschistischen Zeitschrift »Lotta« sollen in den vergangenen Jahren mehrere Vernetzungstref-fen der Szene in Hessen stattgefunden haben, unter anderem das erste »Anastasia-Festival« im Oktober 2014 im Werra-Meißner-Kreis. Wladimir Megre selbst, auch darauf weist die »Lotta« hin, hielt im Jahr 2018 einen Vortrag auf der Frankfurter Buchmesse.
Gefahr der Radikalisierung
Aktuell existieren nach Informationen der »Frankfurter Rundschau« mindestens zwei ländliche Wohnprojekte, die sich auf die Anastasia-Bewegung beziehen. In Jesberg, Schwalm-Eder-Kreis, gibt es ein Gartenprojekt, dessen Betreiber das Ziel formulieren, »ein Stück Muttererde wieder in einen Lebensraum zu verwandeln«. Über ihre Internetseite haben sie zumindest zeitweise »Inspirations-Seminare« angeboten. Bereits im Anmeldeformular werden Interessenten danach gefragt, ob sie bereits mit der Anastasia-Buchreihe vertraut seien.
In Nentershausen, Landkreis Hersfeld-Rotenburg, befindet sich ein ländliches Wohnprojekt, dessen Betreiber gut in der Anastasia-Szene vernetzt ist. Über einen Online-Shop vertreibt er nicht nur Honig und Zedernuss-Öl - der zweite Band der Anastasia-Reihe heißt »Die klingenden Zedern Russlands« -, sondern auch die Anastasia-Bücher.
In der Antwort des Innenministerium auf eine Parlamentsanfrage der SPD-Fraktion heißt es, abgesehen von den genannten »Familienlandsitzprojekten« seien derzeit keine größeren völkischen Siedlungsprojekte bekannt. Es gebe aber eine Handvoll Immobilien, die der rechten Szene »als Anlauf-, Rückzugs-, Veranstaltungs-, Schulungs- sowie Vernetzungsörtlichkeiten dienen«. Das LfV sehe in »extremistischen ›Aussteiger-Projekten‹« grundsätzlich eine Gefahr, da ideologisch abgeschottete soziale Räume »individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse befördern können«. H. Voigts