Viel Respekt, aber keine Angst

Dem Kampfmittelräumdienst in Hessen geht die Arbeit auch fast 80 Jahre nach Kriegsende nicht aus. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa zehn bis 30 Prozent der im Krieg abgeworfenen Bomben nicht explodiert sind.
Im Schnitt ist es alle zwei Wochen so weit: Dem Kampfmittelräumdienst beim Regierungspräsidium in Darmstadt wird eine Weltkriegsbombe gemeldet, die Maschinerie beginnt zu laufen. Zunächst schaut sich ein Trupp die Bombe genauer an - wie groß und in welchem Zustand ist sie? Das Wichtigste: Wie sieht der Zünder aus? »Das war zum Beispiel letztes Jahr bei dem großen Bombenfund in Frankfurt ein Problem«, erinnert sich Alexander Majunke, seit Juli 2022 der Leiter des für ganz Hessen zuständigen Kampfmittelräumdienstes. Denn die wichtigste Frage konnte zunächst nicht beantwortet werden, da die Bombe mit Dreck verkrustet war.
Das war nicht das Einzige, was den Einsatz damals für Majunke und seine Kollegen ganz besonders gemacht hat. Auch die Auswirkungen waren enorm. So lag die 500 Kilogramm schwere und mit 145 Kilogramm Sprengstoff gefüllte US-Fliegerbombe im dicht besiedelten Innenstadtgebiet, es wurde in einem Radius von einem Kilometer evakuiert, rund 20 000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen. Für den Fall einer kontrollierten Sprengung standen 500 Tonnen Sand und 46 000 Liter Wasser parat. Majunke machte sich im Beisein eines Kollegen an das Entschärfen des Aufschlagzünders. Hätte das nicht geklappt, hätte die Fliegerbombe kontrolliert gesprengt werden müssen.
»Angst hatte ich dabei nicht, aber wie immer Respekt«, erklärt der Bombenexperte. Er hatte schon in seiner Bundeswehrzeit mit Sprengstoff zu tun, dem Metier wollte er treu bleiben und ging zum Kampfmittelräumdienst. Im Jahr 2006 entschärfte er seine erste Bombe. »Das war in einem anderen Bundesland.« Mehr sagt er nicht dazu. Auch bei anderen Themen wird der 45-Jährige schnell zurückhaltend, schließlich sollen keine Interna verraten werden.
Über die ungewöhnlichen Deko-Artikel in seinem Büro redet der in Nordhessen lebende Familienvater jedoch gerne. Rechts am Eingang liegen einige kleinere Bomben, dahinter steht ein knallrotes Schild mit der schwarzen Aufschrift »Explosiv«. Auf dem Regal liegen unter anderem Munition und Granaten, alles ist natürlich ungefährlich.
Doch Majunke beschäftigt sich nicht nur mit dem Entschärfen von Bomben, sondern zum Beispiel auch mit der Auswertung von Luftbildern. Denn es gibt immer mehr Anfragen von Bauherren, die wissen möchten, ob auf ihrem Grundstück gefährliche Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg liegen könnten. Die Suche vor Ort übernehmen die Mitarbeiter von privaten Kampfmittelräumdiensten. »Sie sammeln zum Beispiel Munition ein und informieren die staatlichen Stellen, wenn eine Bombe gefunden wurde«, berichtet der Ausbildungsleiter der Sprengschule der Deutschen Feuerwerker Ausbildungs- und Beratungsgesellschaft im rheinland-pfälzischen Bad Marienberg, Siegfried Illgner.
Wie viele Bomben sich immer noch im hessischen Boden befinden, ist nicht bekannt. Die Zahl der gefundenen Blindgänger hat sich seit Jahren kaum geändert, letztes Jahr waren es 24. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa zehn bis 30 Prozent der im Krieg abgeworfenen Bomben nicht explodiert sind. Dass sie nun schon seit fast acht Jahrzehnten in der Erde liegen, macht die Arbeit der Bombenentschärfer riskanter. Der Sprengstoff ist unter Umständen noch gefährlicher geworden, zudem setzt die Korrosion dem Material zu. Selbstdetonationen sind zwar äußerst selten, aber möglich. So explodierte 2019 nahe Limburg eine Fliegerbombe, die vier Meter tief im Boden lag. Sie riss ein riesiges Loch in den Acker, verletzt wurde niemand.
Auch die Bombenentschärfungen gehen in aller Regel glimpflich aus, selbstverständlich ist das trotzdem nicht. »Im Jahr 1990 sind der damalige Leiter des Kampfmittelräumdienstes und sein Stellvertreter beim Versuch, eine Fliegerbombe zu entschärfen, ums Leben gekommen«, sagt Majunke. Er selbst sei bei den Entschärfungen hochkonzentriert, fühle sich wie in einem Tunnel. »Wie groß die Anspannung war, merke ich erst, wenn alles vorbei ist.«