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Verfassungsschutz stellt Strafanzeige

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Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz fordert schon lange die Öffnung der Akten. © DPA Deutsche Presseagentur

Wiesbaden - Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen hat nach der Veröffentlichung von geheimen NSU-Berichten Strafanzeige gestellt. Die Strafanzeige sei wegen der unrechtmäßigen Weitergabe von als Verschlusssachen eingestuften Dokumenten gegen Unbekannt gestellt worden, teilte die Behörde gestern in Wiesbaden mit. Das hessische Landeskriminalamt befasse sich nun mit den Ermittlungen.

Die Plattform »Frag den Staat« und das »ZDF Magazin Royale« von Jan Böhmermann hatten die Dokumente veröffentlicht und ins Internet gestellt. Die Strafanzeige des LfV richtet sich nur gegen die unrechtmäßige Weitergabe der Dokumente und nicht gegen die Veröffentlichung.

Als »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) waren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt über Jahre mordend durch Deutschland gezogen. Die Opfer der Rechtsterroristen waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt hatten sich 2011 getötet, um ihrer Festnahme zu entgehen. Zschäpe wurde als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Landesamt für Verfassungsschutz teilte mit, dass die nun veröffentlichten Dokumente zwei Untersuchungsausschüssen des Landtags vollständig vorgelegen haben. Auch die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz hätten jederzeit die Möglichkeit, die Aktenprüfungsberichte einzusehen. Die Dokumente seien zudem dem Bundeskriminalamt, der Generalbundesanwaltschaft sowie dem hessischen Landeskriminalamt zur Verfügung gestellt worden.

Die betroffenen Aktenprüfungsberichte 2013 und 2014 und ihre Inhalte sollten nicht vertuscht werden, betonte die Behörde. Die Einstufung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen als Verschlusssachen folge normierten Vorgaben, um die Vertraulichkeit der Informationen zu wahren. Dabei gehe es etwa um den Quellenschutz. Eine Weitergabe von Verschlusssachen an unbefugte Dritte stelle eine Straftat dar.

Basay-Yildiz sieht Komplettversagen

Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen habe in den vergangenen Jahren einen umfassenden Neuausrichtungsprozess durchlaufen, versicherte die Behörde. Angaben der veröffentlichten Aktenprüfungsberichte über Defizite in der Arbeitsweise des LfV gerade in den 1990er Jahren seien bereits in den Untersuchungsausschüssen des hessischen Landtags umfassend thematisiert und auch im Abschlussbericht berücksichtigt worden.

Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sprach im Zusammenhang mit den NSU-Unterlagen dagegen von einem »Komplettversagen« des hessischen Verfassungsschutzes. »Man ist Hinweisen nicht nachgegangen, man hat nichts getan«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Für sie sei es ein Schock gewesen zu sehen, dass es entgegen der öffentlichen Behauptungen dabei nicht etwa um Quellenschutz gegangen sei. In einer Vielzahl der gesammelten Informationen sei es um Waffen- sowie Sprengstofferwerb und -besitz von Rechtsextremisten gegangen. Daraufhin habe es aber offenbar keine weiteren Ermittlungen gegeben.

Basay Yildiz hatte im Münchner NSU-Verfahren die Familie von Enver Simsek vertreten. Der am 9. September 2000 ermordete Blumenhändler war das erste Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU. Bereits in dem Prozess hatten Basay-Yildiz und andere Nebenklagevertreter kritisiert, dass Ermittler und Gericht Spuren zum Unterstützernetz des NSU-Trios und möglichen Mittätern nicht nachgegangen seien. Schon lange forderte sie, die Akten des Verfassungsschutzes dazu zu öffnen.

Die hessische Linksfraktion forderte für mehr Opfergerechtigkeit die Einrichtung eines bundesweiten Archivs zur Terrorzelle NSU. »Es ist dringend notwendig, die noch vorliegenden Akten der Geheimdienste, die zur Aufklärung des NSU-Komplexes beitragen können, als Dokumente der Zeitgeschichte der Öffentlichkeit in einem Archiv zugänglich zu machen, um die seit mehr als zehn Jahren zugesagte transparente und umfassende Aufklärung zu ermöglichen«, erklärte der Innenexperte Torsten Felstehausen. dpa

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