»Es ist unfassbar und hört nicht auf«

Im Dezember 2018 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals von rechtsextremen Morddrohungen unter dem Absender »NSU 2.0« - und davon, dass vorher persönliche Daten der betroffenen Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz von einem Polizeicomputer abgefragt worden waren. Seither ist der Kabarettistin Idil Baydar und der Linken-Politikerin Janine Wissler dasselbe widerfahren. Täter sind bis heute nicht gefasst.
Wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt bestätigte, gibt es noch keine klare Spur zu etwaigen Tätern. Bisher ist nicht einmal ermittelt, welche Polizisten die Daten abgefragt haben. Im Interview sprechen die drei Frauen gemeinsam über ihre Situation.
Die rechtsextremen Drohungen von »NSU 2.0« gegen Sie halten an. Täter wurden nicht gefasst. Haben Sie noch Hoffnung?
Basay-Yildiz: Immer weniger. Ich glaube, es ist einfach zu viel Zeit vergangen. Die Anfangsphase war die wichtigste, als noch das Polizeipräsidium Frankfurt ermittelt hat. Je länger das dauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das aufgeklärt wird.
Werden Sie weiter bedroht?
Wissler: Es dauert an, aber man muss nicht jede Drohmail öffentlich machen.
Hat die Polizei nicht ordentlich gearbeitet?
Basay-Yildiz: Ich habe am 2. August 2018 das erste Drohfax bekommen mit Informationen, die nicht öffentlich waren. Am selben Abend wurde zusätzlich meine Adresse im Internet veröffentlicht. Da stand: »Mein Name ist Seda Basay-Yildiz. Ich bin das größte Schwein im ganzen Land. Ich wohne in der So-und-so-Straße und brauche ganz dringend jede Menge Ärger von deutschen Patrioten.« Vier Monate später habe ich aus der Presse erfahren, dass meine persönlichen Daten kurz vor dem ersten Fax und der Veröffentlichung im Internet von einem Polizeicomputer im 1. Revier in Frankfurt abgefragt worden waren. Ein oder auch mehrere Beamte dieses Reviers sind dafür verantwortlich. Unabhängig davon, ob sie die Drohschreiben verfasst haben, sind sie dafür verantwortlich, dass meine Adresse in Umlauf gekommen ist, dass sich »deutsche Patrioten« um mich kümmern sollten, dass mein Kind bedroht wurde. Das an sich ist schlimm genug. Ich wundere mich, dass ich noch nie zu den suspendierten Beamten befragt wurde, die im Verdacht stehen, diese Daten verbreitet und vielleicht die Schreiben verfasst zu haben.
Sie sind bis heute nicht dazu befragt worden?
Basay-Yildiz: Nein. Ich bin Strafverteidigerin und kenne aus vielen Verfahren, wie das normalerweise ist. Der Betroffene wird immer gefragt, wenn man einen möglichen Täter ermittelt hat. Es wird immer gefragt, ob man den kennt, ob man einen Bezug hatte. Das ist normale Polizeiarbeit. Ich wundere mich, dass das in Frankfurt nicht gemacht wurde. Spätestens als diese Beamten suspendiert wurden, wussten sie, dass gegen sie ermittelt wird, sodass durch meine Befragung keine Ermittlungen gefährdet gewesen wären, auch keine verdeckten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt im September 2018 hätte man mir demnach Fotos dieser Personen vorlegen und mich nach diesen Personen befragen müssen.
Aus Ihrer Sicht ist nicht gründlich ermittelt worden?
Basay-Yildiz: Im Polizeipräsidium Frankfurt auf gar keinen Fall. Die Chat-Gruppe wurde aufgedeckt, aber hinsichtlich des Bedrohungssachverhaltes ist bei mir der Eindruck entstanden, dass nicht alles getan wurde. Ich kann mir das nur so erklären, dass das kleingehalten werden sollte, weil die Verdächtigen Beamte sind. Es war schon falsch, dass die Ermittlungen in Frankfurt geführt wurden. Frankfurter Polizei ermittelt gegen Frankfurter Polizei!
Wie groß ist Ihre Hoffnung, Frau Wissler?
Wissler: Wir waren alle überrascht, wie unzureichend ermittelt worden ist. Die Daten von Idil Baydar und mir sind in Wiesbadener Revieren abgefragt worden. Es gab weder Durchsuchungen, noch wurden Handys sichergestellt. Meine Daten sind im Februar 2020 abgefragt worden, die von Idil im März 2019. Im Juli 2020 waren die Beamten dieser Reviere noch nicht mal alle befragt worden. Da wird es schwierig mit der Aufklärung.
Ihre Daten wurden vor den Bedrohungen von Polizeicomputern abgefragt. Halten Sie es für möglich, dass sich herausfinden lässt, wer das war?
Baydar: Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: Die Polizei wurde erwischt. Es ist für mich kein Fall, bei dem schlampig gearbeitet wurde. Das wurde klar unter den Tisch gekehrt. In meinem Fall hatten sie mehr als ein Jahr Zeit, sich zu kümmern, das haben sie nicht getan. Wer soll gegen die Polizei ermitteln? Die Polizei. Ich sehe keinen Zufall, auch kein Versehen. Ich sehe darin ganz klare Absicht.
Frau Basay-Yildiz, Sie haben vor Kurzem eine Belohnung ausgelobt für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen. Hat sich dadurch etwas bewegt?
Basay-Yildiz: Ich habe eine unglaubliche Solidaritätswelle erfahren. Es gab Menschen, die gesagt haben, sie spenden 5000 Euro, um die Belohnung aufzustocken. Es gab mindestens zehn Personen, die 1000 Euro angeboten haben. Ich habe alle angeschrieben und mitgeteilt, dass ich das leider nicht annehmen kann. Aber der Gedanke dahinter zählt. Das hat mich unglaublich bewegt.
Sie haben aber auch schon ganz anderes erlebt.
Basay-Yildiz: Ja, als das alles losging und auch schon vorher, habe ich auch eine Vielzahl von Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen erhalten. Ich habe das oft auf die leichte Schulter genommen und ignoriert. Mittlerweile denke ich, das ist der falsche Weg. Man muss wirklich jeden einzelnen Fall zur Anzeige bringen, weil es sonst einfach nicht aufhört. Es muss Konsequenzen haben, wenn man jemanden in diesem Land beleidigt oder bedroht. Die Frage ist auch: Sind das nur Worte oder folgen auch Taten? Der Faxschreiber, der mit »NSU 2.0« unterschreibt, den kann man nicht ernst nehmen. Aber was ist mit all den anderen Irrationalen, die draußen rumlaufen und denken, sie müssten an irgendjemandem ein Exempel statuieren? Ich habe eine Familie und ein Kind. Jetzt ist auch noch meine neue Adresse im Umlauf, obwohl sie gesperrt war, und keiner kann mir erklären, wie das passieren konnte. Die Polizei empfiehlt mir, dass ich mein Haus noch sicherer machen soll, aber das kostet Geld. Warum soll ich das bezahlen? Bin ich daran schuld, dass jemand in der Polizei Daten über mich abruft und diese dann veröffentlicht werden? Ich werde dem hessischen Innenminister Peter Beuth die Rechnung schicken. Ich finde, dass das Land das bezahlen muss. Eigentlich hätte er dies von sich aus anbieten müssen.
Wie ist das für eine Politikerin, Frau Wissler? Wird man besser informiert?
Wissler: Das Thema »NSU 2.0« wurde mehrfach im Innenausschuss beraten, aber viele Fragen blieben offen. Ich fühle mich sowohl als Abgeordnete wie auch als Betroffene nicht gut informiert. Ich habe nach der ersten Drohmail mehrfach beim LKA nachgefragt, ob meine Daten auch von einem Polizeicomputer abgefragt worden sind. Ich wurde monatelang vertröstet. Man hat es mir erst zwei Tage, nachdem die Morddrohungen gegen mich durch die Frankfurter Rundschau öffentlich geworden sind, gesagt.
Wie gut fühlen Sie sich heute von der Polizei unterstützt?
Wissler: Ich bekam kürzlich eine Drohmail, nicht von »NSU 2.0«, sondern eine andere, und wollte Anzeige erstatten. Das LKA hat mir gesagt, ich solle eine Online-Anzeige stellen bei der Frankfurter Polizei. Soll ich jetzt in ein Online-Formular der Frankfurter Polizei meine Adresse eingeben, die gerade erst in allen Registern gesperrt wurde, weil sie von einem Polizeicomputer abgerufen wurde? Wo landet meine Adresse, wenn ich sie dort eingebe? Beim 1. Revier, wo Sedas Daten abgerufen wurden? Aber ich muss mich an die Polizei wenden, um Anzeige zu erstatten. Im Konkreten ließ sich das dann lösen, aber es macht das Problem deutlich.
Wie wurden Sie im Landtag informiert?
Wissler: Wir haben fast alles aus der Presse erfahren. Erst wenn wir Berichtsanträge geschrieben und nachgefragt haben, hat der Innenminister zugegeben, was wir sowieso schon wussten. Es kann keine Rede davon sein, dass der Innenminister das Parlament gut informieren würde. Und es geht ja nicht nur um diese Drohserie. Die Gefahr von rechts wächst. Die Morde in Hanau, der Mord an Walter Lübcke, der Mordanschlag in Wächtersbach, rechte Chatgruppen in der hessischen Polizei. Wir haben in Hessen wirklich ein Problem, aber es wird weiter gemauert und das reflexhafte Gerede von »Einzelfällen« und »Einzeltätern« erschwert das Vorgehen gegen die dahinterliegenden Netzwerke.
Ihr Fall, Frau Baydar, ist offenbar lange ganz durch den Rost gefallen, als Sie von Berlin nach Frankfurt gezogen sind. Wäre es besser, wenn eine Bundesbehörde die Ermittlungen an sich ziehen würde?
Basay-Yildiz: Das wurde wohl dem Generalbundesanwalt angetragen, aber der hat das abgelehnt.
Baydar: Damit möchte sich offenbar keiner so richtig befassen.
Wissler: Ich fände das sinnvoll. Es geht um drei Polizeireviere in Hessen und um Reviere in Berlin und Hamburg. Im Frankfurter Revier wissen wir, dass es eine rechte Gruppe gab. Man fragt sich, inwieweit »NSU 2.0« in Zusammenhang steht mit der Brandserie in Berlin. Es gab Mails, die darauf Bezug genommen haben. Es gibt Bezüge zu André M., der in Berlin vor Gericht steht wegen Drohschreiben der »Nationalsozialistischen Offensive«.