Ukrainern Brücken bauen

Wie lässt sich das Leben nach der Flucht aus der Ukraine gestalten? Für viele der Betroffenen gehört dazu auch die rasche Aufnahme einer Arbeit. In der hessischen Wirtschaft stehen ihnen die Türen weit offen.
Schutz vor den russischen Bombardements und eine sichere Unterkunft - für die Geflüchteten aus der Ukraine ist das erst einmal das Wichtigste. Doch manche der Menschen möchten auch rasch eine Arbeit in Hessen finden, auch um nach den oft traumatischen Kriegserfahrungen etwas Normalität zurückzugewinnen. Unternehmen strecken deshalb bereits die Fühler aus und bieten Jobs für ukrainische Geflüchtete - von Physiotherapiepraxen bis zum Software-Unternehmen, von der Großbäckerei bis zur Unternehmensberatung.
Unterstützung bekommen die Firmen von hessischen Industrie- und Handelskammern. Manche von ihnen knüpfen Netzwerke, um beim unbürokratischen Zugang zum regionalen Arbeitsmarkt zu helfen, wie ein Sprecher des Hessischen Industrie- und Handelskammertages (HIHK) sagte. Der Wirtschaft gehe es darum, den Ankömmlingen hier Brücken zu bauen. »Wir hören, dass viele der Menschen Interesse an einer Arbeit haben.« Zwar komme es auf die individuelle Situation der Geflüchteten an, und manche Menschen benötigten Zeit, um Kriegs- und Fluchterlebnisse zu verarbeiten. »Wer aber etwas machen möchte, dem steht die Wirtschaft offen«, sagte der HIHK-Sprecher.
Die IHK Lahn-Dill etwa hat eine Liste mit Unternehmen erstellt, die Geflüchtete integrieren wollen. Dazugehört beispielsweise die Elkamet Kunststofftechnik GmbH, ein Fahrzeug-Zulieferer aus Biedenkopf. Das Unternehmen hat in einem Wohngebäude für Auszubildende und Studierende auf dem Werksgelände bereits mehrere aus der Ukraine geflüchtete Frauen und Kinder aufgenommen, eine weitere Unterkunft ist in Vorbereitung. Auch Jobs wolle man zur Verfügung stellen, sagte eine Unternehmenssprecherin. Wer eine Ausbildung oder Arbeit bei Elkamet beginne, könne über das Unternehmen auch an einem Sprachkurs teilnehmen und Unterstützung in der Berufsschule erhalten.
Schon einen Schritt weiter ist das Grillrestaurant Kneshecke aus Dipperz in der Rhön. Dessen Chef Michael Glas und einer seiner Nachbarn haben eine aus der Ukraine geflüchtete Familie mit vier Kindern sowie drei Frauen samt Hunden in zwei Ferienbungalows untergebracht. Der Kontakt ergab sich über den Fuldaer Verein der Köche, der an der rumänisch-ukrainischen Grenze Flüchtlinge bekocht. Den 38 Jahre alten Familienvater Vitaly will Glas künftig auch als Koch in seinem Restaurant anstellen. Glas hält es für wichtig, den Menschen rasch Jobchancen zu bieten, nachdem sei hier angekommen sind. Die Ukrainer wollten nicht langfristig in einer hilfsbedürftigen Rolle sein, sondern wieder im Leben stehen und möglichst den eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Der Branchenverband DEHOGA Hessen hat bereits angekündigt, Jobangebote und die entsprechende Nachfrage zu bündeln.
Das ist auch der Ansatz des Portals Job Aid Ukraine: Ins Leben gerufen wurde das Portal vom Unternehmer und Gesellschafter des in Bocholt in Nordrhein-Westfalen ansässigen Fahrradhändlers Rose Bikes, Marcus Diekmann, sowie einigen Mitstreitern. Sie wollen Unternehmen und Geflüchtete aus der Ukraine zusammenbringen. Mehr als 15 000 Jobs seien innerhalb der ersten dreieinhalb Wochen in das Portal eingestellt worden, darunter sind auch viele in Hessen. Pro Tag zählt das Portal rund 900 000 Besucher, rund 1500 Vorstellungsgespräche seien bereits vermittelt worden, sagte Diekmann. Nach seiner Einschätzung ist das Qualifikationsniveau der Ukrainer vergleichbar mit dem in Deutschland. Niemand sollte deshalb auf die Idee kommen, die Geflüchteten hier als Billigarbeitskräfte einsetzen zu wollen. Auch bei der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit laufen Vorbereitungen. So seien bundesweit eine Dolmetscher-Hotline sowie eine Beratungs-Hotline mit ukrainisch- und russischsprachigen Mitarbeitern eingerichtet worden.