Überraschende Ergebnisse

Wer es sich leisten kann, entflieht dem Fluglärm im Rhein-Main-Gebiet und zieht in eine ruhigere Gegend? Offenbar ist diese Annahme falsch, wie nun eine Studie nahelegt.
Während derzeit hauptsächlich über Probleme bei der Abfertigung am Frankfurter Flughafen diskutiert wird, ist es meist ein anderes Thema, das die Menschen in der Region seit Jahrzehnten umtreibt: Der Fluglärm, der sich mit dem Bau der Landebahn Nordwest noch weiter über die Dächer des Rhein-Main-Gebiets ausgebreitet hat. Nach der unfreiwilligen Ruhe am Himmel durch die Corona-Pandemie stehen in vielen Kommunen in den nächsten Jahren etwa siedlungspolitische Entscheidungen an, die auch von den Auswirkungen des Fluglärms abhängen. Um dafür eine Grundlage zu erhalten, hat das Forum Flughafen und Region (FFR) eine Untersuchung über die Wirkungen des Flughafens auf die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in der Rhein-Main-Region in Auftrag gegeben.
Viele hatten erwartet, dass daraus eindeutige Ergebnisse hervorgehen. Etwa dass sich die Sozialstruktur in besonders fluglärmgeplagten Orten zum negativen entwickelt, weil privilegiertere Schichten aus den besonders lauten Wohnlagen wegziehen. Doch weit gefehlt: Die Untersuchung ergab keine klaren Zusammenhänge zwischen dem Flughafen und der Wirtschafts- und Sozialstruktur der Kommunen in seinem Umfeld.
Dabei blickten die Wissenschaftler weit über die Grenzen Frankfurts hinaus: Das untersuchte Gebiet reicht bis nach Darmstadt, Hanau und Wiesbaden; es erstreckt sich auch auf Regionen in Rheinland-Pfalz weit jenseits der Landeshauptstadt Mainz.
Andere Effekte überlagern Einfluss
»Als kommunale Vertreter trieb uns seit vielen Jahren die Frage an, welche Auswirkungen der Flughafen auf die Sozialstruktur in den Kommunen und auf die Arbeitsplätze hat. Nun wissen wir, der Flughafen ist nicht ursächlich für soziale Entwicklungen«, erklärt Oliver Quilling, Vorstand des Forums Flughafen und Region und Landrat des Kreises Offenbach. Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass am Flughafen übermäßig viele Jobs im Niedriglohnsektor angeboten würden, die durch Transferleistungen des Staates subventioniert würden«, berichtet der CDU-Politiker. Auch bei dieser Frage gebe es so viele »Überlagerungseffekte«, dass nach Quillings Aussage keine Kausalität festgestellt werden konnte.
Das bestätigen auch die Wissenschaftler, die an der Untersuchung, die im Jahr 2016 begann, beteiligt waren: Die ökonomischen Wirkungen seien sehr heterogen, erläutert Marc Ingo Wolter von der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung in Osnabrück. Man könne auch nicht sagen, dass etwa die Beteiligung an Kommunalwahlen mit hoher Fluglärmbetroffenheit steige, ergänzt René Lehweß-Litzmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen. Andere Effekte, wie das Stadt-Land-Gefälle, überlagerten den Einfluss des Flughafens.
Die Erkenntnisse bestätigten sich sogar in einer Stadt wie Kelsterbach, die den höchsten Bevölkerungsanteil aller Kommunen hat, der direkt am Flughafen arbeitet (17 Prozent). Insgesamt sei sogar die Hälfte der Einwohner bei Arbeitgebern beschäftigt, die direkt oder indirekt in Zusammenhang mit dem Flughafen stünden, betont Kelsterbachs Bürgermeister Manfred Ockel (SPD).
Zusammenfassend erklärt Wolter, der Flughafen habe sich zwar als wichtiger Wirtschaftsfaktor erwiesen, der sowohl die Zahl als auch die Art der Arbeitsplätze beeinflusse. »Allerdings wirkt der Flughafen sehr unterschiedlich in der Region«, resümiert der Wissenschaftler. Untersucht wurden zum Beispiel Faktoren wie Arbeitslosenquoten und Migrationshintergrund. Sie würden aber überlagert von »regionalen und großstädtischen Einflüssen«, betont Wolter.
Die aktuelle Untersuchung wurde vom Land Hessen finanziert und hat laut Oliver Quilling 1,8 Millionen Euro gekostet. Die Ergebnisse sind detailliert nachzulesen auf www.sozialmonitoring.de.