The Cast rocken das Rosengärtchen

Wetzlar - »Vergesst alles, was ihr über klassische Musik wisst!« - und ab geht die Post. Nach diesem flapsigen Begrüßungssatz übernimmt am Dienstagabend die Truppe The Cast die Freiluftbühne im Rosengärtchen und lässt keinen Zweifel daran, dass man mit Oper und Operette die Hütte rocken kann - auch wenn die »gute Stube« der Wetzlarer Festspiele gar kein Dach hat.
Alexandra, Anne, Carrieanne, Guillermo, Till und Pianist Yu Chen am Flügel machen keine halben Sachen. Nicht bei der Perfektion, und nicht bei der Performance. Die junge, international besetzte Opernband mit Klassik-Spitzenausbildung präsentiert seriösen Operngesang abseits steifer Klischees als höchst unterhaltsamen Spaß, mit Tempo und mitreißender Show. Nicht umsonst heißt ihr Programm »The Cast - Rockstars der Oper«. Und damit sind solche Schwergewichte wie Mozart, Verdi oder Puccini gemeint. Deren Werke interpretiert die Opernband so, wie sie ihrer Meinung nach gedacht sind: Als spannende, lustige, sinnliche und aufregende Geschichten aus dem prallen Leben.
Was Oper und Operette unterscheidet? »Bei beidem geht es um Liebe. Und um Sex. Aber in der Oper stirbt mindestens einer, bevor es dazu kommt«, erklärt Bariton Till (»Kein hoher Ton, kein tiefer Ton: Bariton.«). Und dann legen sie los, in coolem Outfit, solo, im Duett, gemeinsam. Sie singen, schauspielern, tanzen und hüpfen, flehen und schmachten, wenn nicht gerade einer von der Bühne springt oder während seines Vortrags ein paar Liegestütze macht.
Dazwischen erzählen sie Geschichten aus ihrer Karriere. Carrieanne mit den blauen Haaren gibt Schoten aus der Musikhochschule zum Besten und singt aus »Cleopatra«, Tenor Guillermo brilliert mit einem »Song« aus Puccinis »La Bohème« und erinnert daran, dass die Liebe nur mit sehr viel Idealismus funktionieren kann. Alexandra aus St. Petersburg wollte als Kind nichts sagen, aber immer singen. Gut, dass sie dabeigeblieben ist: »Heute arbeite ich mit Menschen aus aller Welt, weil wir die gemeinsame Sprache der Musik sprechen - wir bedürfen alle so sehr der Liebe. Nur sie kann die Welt erleuchten.« Als sie ihr Lied an den Mond singt, ist es mucksmäuschenstill. Nur die Vögel haben nicht kapiert, dass sie jetzt Pause haben könnten. Anne (»Die Lustige«) will keine Geschichten erzählen, »die nicht nur lang, sondern auch weilig sind.« Tut sie auch nicht. Verdi würde sich über ihre Arie (»Rache! Es geht um Rache!«) aus dem »Troubadour« freuen. Und über ihr Schauspieltalent.
Ein Quartett aus »Rigoletto« wird kurzerhand zum Quintett, Papagenos Arie aus der »Zauberflöte« - »Bei Männern, welche Liebe fühlen« - wird allen unerfüllt Liebenden gewidmet - »aber auch den anderen«. Das neapolitanische Volkslied »Funiculì - Funiculà« trällert das Publikum vergnügt mit, bis Franz Lehárs »Lustige Witwe« die Zugabe liefert: »Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen: Hab mich lieb!« Geigen gab’s keine, und Lippen schweigen schon lang nicht mehr: Das Publikum klatscht, pfeift, johlt, kreischt. So soll es sein. Annette Spiller