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»Teilweise fehlt Geld für Frühstück«

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Schule ist teuer: In vielen Familien fehlt Geld für Schulranzen, Stifte, Mäppchen. © Red

Frankfurt - Eric Gumlich hat als Sozialarbeiter erlebt, wie Familien sich für die Bildung ihrer Kinder krummlegen müssen. Das wird vor allem zum Schuljahresbeginn deutlich. Der 51-jährige Referent für Kinder und Jugendhilfe beim Paritätischen kämpft für eine Grundsicherung, um Familien aus der Armut zu holen. Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr Gumlich, der Schulanfang ist ja ein tolles Ereignis für Kinder und Eltern, ist aber auch ein ziemlich teurer Spaß. Wie belastend ist der finanzielle Aspekt für Familien?

Die einkommensschwachen Familien waren dadurch schon immer stark gefordert, aber aktuell - angesichts der Inflation und steigender Energiepreise - gilt das umso mehr. In Hessen ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen; aktuell wird es aber auch für Familien eng, die nicht in diese Gruppe fallen.

Ist es mit der einmaligen Investition in den Schulstart denn getan? Oder wo müssen Familien wegen der Schulbildung auch später tief in die Tasche greifen?

Das Material muss ja nicht nur einmal gekauft werden. Ständig braucht es neue Hefte und Stifte, immer wieder mal neue Turnschuhe oder auch einen neuen Ranzen, und dann gibt es ja auch die Ausflüge und Klassenfahrten, die auch eine Menge Geld kosten.

Bei mehreren Kindern muss man da ganz schön was aufbringen.

Auf jeden Fall. Gerade wenn die Kinder schnell wachsen, muss immer wieder Neues angeschafft werden.

In Hessen gilt die Lernmittelfreiheit. Das heißt doch eigentlich, dass die Schulbildung nichts kostet.

Na ja, das gilt ja nur für die Schulbücher. Alles andere müssen die Familien dann selbst kaufen. In vielen Schulen gibt es zudem ein Kopiergeld, weil Lernmaterial eben kopiert und verteilt wird.

Sie waren selbst acht Jahre lang in Rüsselsheim als Schulsozialarbeiter tätig und vorher in Weiterstadt in der offenen Jugendarbeit. Wie haben Sie das erlebt, wenn Familien offenbar Schwierigkeiten haben, genug Geld für die Schule aufzubringen?

Wer da nicht den richtigen Ranzen und die richtigen Schuhe hat, vielleicht etwas von den älteren Geschwistern aufträgt, der kann schon etwas am Rande stehen und vielleicht sogar zum Ziel von Mobbing werden. Ich habe Eltern mit geringem Einkommen erlebt, die versucht haben, ihre Kinder gut auszustatten, aber für ordentliche Winterschuhe hat es dann eben nicht mehr gereicht. Bei vielen gab es auch zum Monatsende hin, wenn das Geld knapp wurde, kein Frühstück mehr. Bei der zunehmenden Zahl von Ganztagsschulen gibt es ja immerhin ein Mittagessen für alle.

Man kann für ein Set Buntstifte oder einen guten Füller 15 Euro ausgeben, aber auch etwas für ein paar wenige Euro kaufen. Macht das einen Unterschied?

Ein guter Füller liegt zumeist besser in der Hand, hilft also beim Schreibenlernen. Gute Stifte malen besser und halten länger, ein stabiler Zirkel macht es einfacher, einen Kreis zu zeichnen. Da macht die Qualität der Ausstattung auch beim Lernen schon einen Unterschied. Deshalb empfehlen einige Schulen auch, vor allem Qualitätsprodukte zu kaufen, was es natürlich teurer macht. Manche Schulen stellen auch Pakete zum Schulstart zusammen, dann müssen die Eltern immerhin nicht rumlaufen und alles zusammensuchen. Das entlastet schon, aber bezahlen müssen sie es natürlich trotzdem.

Wie viel Geld haben Familien in der Sozialhilfe denn für die Bildung ihrer Kinder zur Verfügung?

Es gibt aus dem Teilhabepaket des Bundes 156 Euro pro Schuljahr. Das reicht je nach Modell kaum für den Ranzen und die Schultüte samt Inhalt. Für Sechs- bis 13-Jährige gibt es im Hartz-IV-Regelsatz zusätzlich monatlich 56 Cent für das Bildungswesen, das reicht nicht mal für einen Radiergummi vom Discounter. Mitunter helfen Fördervereine oder Stiftungen, aber das gilt dann nicht für alle, die Hilfe brauchen.

Gerade Schulen mit einer vergleichsweise materiell eher ärmeren Schülerschaft haben meist nicht die finanzstärksten Fördervereine, eher im Gegenteil. Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen?

Das Bündnis Kindergrundsicherung, zu dem auch der Paritätische gehört, schlägt eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung in Höhe von 330 bis 695 Euro monatlich vor, je nach Einkommenssituation der Eltern. Je höher das Einkommen, desto geringer fällt die Kindergrundsicherung aus. Damit kann man Kinder aus der Armut holen. Auch aus der Bildungsarmut. Zu mehr Chancengleichheit und besseren Lernbedingungen trägt auch ein hochwertiges Ganztagsangebot bei.

Interview: Peter Hanack

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