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Stroh als Baustoff ist zurück

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Günstig, nachhaltig und energetisch hochwertig: Christoph Harney, Architekt, sitzt in einem Neubauprojekt eines Mehrfamilienhauses der Genossenschaft »Kassel im Wandel«. Die Genossenschaft setzt auf den ökologischen Baustoff Stroh. © DPA Deutsche Presseagentur

Den Strohballenbau gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Doch lange Zeit war er wenig populär. Dabei sind Strohballen als Dämmstoff günstig, nachhaltig und energetisch hochwertig.

Für Christoph Harney ist Stroh einer der Baustoffe der Zukunft schlechthin. »Es ist ein Abfallprodukt des Getreideanbaus, wächst sehr schnell im Vergleich zu anderen nachhaltigen Baustoffen und steht in großen Mengen zur Verfügung«, erklärt der Architekt. 20 Millionen Tonnen Stroh würden in Deutschland jährlich geerntet. »Etwa 20 Prozent davon und somit vier Millionen Tonnen werden nicht benötigt und bleiben einfach übrig.« Einen Teil davon verbaut Harney derzeit in ein Mehrfamilienhaus in Kassel.

Die Wände des Staffelgeschosses des Gebäudes sind mit Strohballen gedämmt. 250 Stück sind in das Gefach gepresst worden. Die Außenwände werden mit Kalk verputzt, die Innenwände mit Lehm. Integriert wird auch eine Wandheizung. Sorgen wegen Feuchte oder Schädlingsbefall kann Harney zerstreuen. »Wenn es fachgerecht verbaut ist, verrottet das Stroh nicht und wird nicht von Nagetieren und Ungeziefer befallen«, erläutert er. Auch habe es sehr gute Brandschutzeigenschaften.

Die fertigen Montagesysteme aus Holz und Stroh hat ein Betrieb aus dem sächsischen Taucha geliefert. Eine Firma aus Göttingen hat das Baustroh unter anderem auf Feuchtigkeit und Pressung geprüft und zertifiziert. »Das Stroh ist unbehandelt, wir haben hier sogar Bioqualität«, betont Harney.

Besonders fürs Klima sei der Strohballenbau gut: »Das Stroh speichert Kohlenstoffdioxid beim Wachstum und für die Lebensdauer des Hauses«, erklärt Harney. Bei der Herstellung der Ballen fielen im Vergleich zu anderen Wärmedämmstoffen nur minimale CO2-Emissionen an. Zudem hätten Strohballenhäuser einen sehr guten Dämmwert. »Die Ballen sind ein guter Wärmespeicher und helfen zusätzlich Heizkosten zu sparen«, erklärt Harney.

»Wenn wir wirklich in wenigen Jahren klimaneutral sein wollen, müssen wir auf nachwachsende Baustoffe setzen«, sagt Holger Zimmer von der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen. Strohballen seien dabei eine wichtige Komponente. Bei der Herstellung eines Strohballenhauses werde so viel Energie gespart, dass davon ein Haus 70 Jahre lang beheizt werden könne. Zudem sieht Keller Einsparpotenzial bei den Bauherren, weil man beim Strohballenbau mit ein bisschen Wissen und Anleitung auch einiges in Eigenleistung machen und so Geld sparen könne. Sein Fazit: »Die Bauweise ist zu Unrecht völlig unterbewertet.«

Der Architekt führt das vor allem auf ein zu geringes Bewusstsein für ökologische Baustoffe zurück. »Wir sind über Jahre viel zu sehr an synthetische industrielle Baustoffe herangeführt worden.« Man könne ein Haus genauso gut mit Stroh bauen, »aber der Baubereich ist konservativ«. Dabei brauche es dringend ein Umdenken. »Um Ressourcen zu schonen und uns von importierten Materialien unabhängig zu machen, müssen wir auf nachwachsende Rohstoffe setzen«, erklärt Zimmer.

»Stroh ist ein wichtiger Bestandteil der Bauwende«, meint auch Adina Lange vom Fachverband Strohballenbau Deutschland. In Deutschland gebe es aktuell schätzungsweise mehr als 1000 Strohhäuser. Jährlich kämen etwa 50 hinzu. »Der Strohballenbau nimmt weiter an Fahrt auf«, sagt die Bautechnikerin und Zimmerin. »Es braucht mehr Aufklärung über die unwiderruflichen Vorteile des Strohballenbaus und mehr Weiterbildung«, sagt Holger Zimmer. Der Architekt ist zuversichtlich, dass Stroh als Baustoff an Popularität gewinnen wird. »Zum einen wird nachhaltiges Bauen gesetzlich künftig stärker gefördert. Zum anderen wird sich spätestens bei der nächsten Abrechnung jeder Gedanken machen, wie er Energiekosten sparen kann.«

Die Architekten Susanne Körner und Tilman Schäberle aus Bad König im Odenwaldkreis sind Pioniere des Strohballenbaus in Hessen. 2005 errichteten sie in Darmstadt das erste Bürogebäude aus Strohballen im Bundesland. 2008 folgte das erste Wohnhaus in Bad König, das sie selbst bewohnen. Etwa 750 gepresste Strohballen aus der Region wurden für die komplette Wärmedämmung des 260 Quadratmeter großen Hauses eingesetzt. Mehr als zehn Jahre später ist Körner noch immer begeistert. »Strohballen sind der nachhaltigste Dämmstoff. Sie sind klimaneutral, lokal verfügbar, bieten im Sommer einen guten Wärmeschutz und im Winter gute Dämmwerte für die Außenwand«, erklärt sie. Zudem könne Stroh anders als konventionelle Dämmstoffe wie etwa Styropor nach dem Rückbau unproblematisch auf dem Kompost entsorgt werden.

Auch in Kassel haben die Strohballen überzeugt, berichtet Christoph Harney. Durchschnittlich benötige man zehn Tonnen Stroh für die Dämmung einer Wohneinheit. »Bei vier Millionen Tonnen Stroh, die als Nebenprodukt übrig sind, macht das 400 000 Wohneinheiten«, rechnet er vor.

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