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Durch Fehlbehandlung zum Pflegefall: Statt einer Million Euro Schmerzensgeld erhält Tyler gar nichts

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Von: Lea Seitz

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OLG Frankfurt am Main
Im Oberlandesgericht Frankfurt wurde nun das Urteil, das Tyler eine Million Schmerzensgeld zusprach, aufgehoben. © dpa/ picture alliance/ Arne Dedert

Tyler hat nach einer Fehlbehandlung eine schwere Behinderung. 2021 bekommt er eine Million Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Nun wird das Urteil aufgehoben.

Frankfurt - Für jede Mutter klingt es nach einem einzigen Alptraum: Mit einer Bronchitis bringt Julia Jannaschk ihren sonst gesunden 14 Monate alten Sohn Tyler im Winter 2011 ins Limburger Krankenhaus. Zurück nach Hause nimmt sie ein Kleinkind mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen.

Eine Krankenschwester will Tyler in jenem Winter intravenös ein Medikament verabreichen. Sie sieht zwar Apfelschnitze und Chips vor dem Kind liegen, nimmt aber keine Kaubewegungen wahr. So schildert es die Krankenschwester selbst während eines späteren Strafverfahrens. Sie kontrolliert den Mund nicht und spritzt das Medikament. Tyler erschrickt und verschluckt sich, droht zu ersticken. Als Minuten später das Notfall-Team eintrifft, ist die Sauerstoffzufuhr in Tylers Gehirn schon lange unterbrochen. Seit diesem Zeitpunkt ist der jetzt Zwölfjährige ein Pflegefall.

2021 bekommt Tyler eine Million Euro Schmerzensgeld zugesprochen - die höchste Summe in Deutschland

Eine Million Euro Schmerzensgeld wurde Tyler 2021 vom Landgericht Limburg zugesprochen. Das ist das höchste Schmerzensgeld, das es jemals in Deutschland gab. Die Zivilkammer war nach der Beweisaufnahme davon überzeugt: Die Krankenschwester wusste, dass Tyler kurz zuvor gegessen hatte, als sie das Medikament verabreichte. Auch hätte sie laut Zivilkammer damit rechnen müssen, dass sich Tyler bei der Gabe des Medikaments erschrecken würde und damit warten müssen. Zudem seien die Rettungsmaßnahmen nach dem Verschlucken fehlerhaft und sogar schädlich gewesen.

Doch das Urteil samt Rekord-Schmerzensgeldsumme in Höhe von einer Million Euro wurde nun im April 2023 vom Oberlandesgericht Frankfurt aufgehoben. Die drei Beklagten, also das Limburger St.-Vincenz-Krankenhaus, eine Bereitschaftsärztin und eine Krankenschwester, argumentierten: Die Krankenschwester hätte nicht damit rechnen können, dass ein 14 Monate altes Kind Apfelstücke zu essen bekommt, wie die Rhein-Lahn-Zeitung berichtet. Der Gegenvorwurf: Mutter Julia Jannaschk habe sich grob fahrlässig verhalten.

Oberlandesgericht hebt Schmerzensgeld-Urteil auf: Statt einer Million Euro erhält Tyler gar nichts

Die Krankenschwester habe sich zwar nicht „durchweg fachgerecht“ verhalten, aber nicht in dem Maße, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden könne. Das Urteil des Oberlandesgerichts stützt sich offenbar auf zwei Expertenmeinungen: Diese ließen das Gericht schließen, dass die Krankenschwester für eine intravenöse Antibiotikavergabe ausreichen qualifiziert sei und dass das Risiko, Gegenstände einzuatmen, bei Kleinkindern fast alltäglich sei - solche Fälle aber normalerweise glimpflich abliefen.

„Mir fehlen jegliche Worte“, reagiert Julia Jannaschk auf das Urteil, so die Rhein-Lahn-Zeitung. Eine Revision des Urteils wurde nicht zugelassen. In einer Nichtzulassungsbeschwerde sehen die Anwälte Jannaschks eine Chance, das Urteil noch zu kippen. Julia Jannaschk jedenfalls kämpft weiter: „Einmal gewinnt man und einmal verliert man... Nun steht es 1:1. Es geht in die dritte Runde“, schreibt sie auf der Facebookseite „Wir helfen Tyler“.

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