»Stadt ist schuld am Crack-Konsum«

Seit Monaten wird über die offene Drogenszene im Bahnhofsviertel diskutiert. Die Frankfurter Drogenpolitik soll weiterentwickelt werden. Als Vorbild dient Zürich. Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) fordert eine kontrollierte Crack-Abgabe. Was sagt die Wissenschaft dazu? Forscher Bernd Werse spricht im Interview über diesen Vorschlag und die offene Drogenszene im Bahnhofsviertel.
Herr Werse, Crack ist in der offenen Drogenszene in Frankfurt ein Problem. Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) fordert eine kontrollierte Crack-Abgabe. Ist das realistisch?
Das ist schwierig, weil es für Crack kein Substitutionsmittel gibt. Wir haben in einer Studie über den Crack-Konsum festgestellt, dass die Konsumierenden weitgehend übereinstimmend gesagt haben, dass Frankfurt und das Bahnhofsviertel an ihrem Konsum schuld seien. Sobald sie einen Fuß in das Viertel setzen, haben sie den Drang, Crack zu rauchen. In anderen Städten haben sie das nicht.
Es ist also das soziale Umfeld, dass die Kon- sumierenden beeinflusst?
So kann man das auch nicht sagen. Aus der Soziologie kennt man das Thomas-Theorem. Das heißt, wenn ich mir etwas einrede, es sei real, dann wird es auch real. Die Leute bekräftigen sich gegenseitig, indem sie sagen, sobald ich hier bin, muss ich Crack konsumieren. Eine Frau erzählte uns, dass sie in Hamburg in einer Gegend unterwegs war, wo auch viel Crack geraucht wurde. Sie hatte allerdings kein Verlangen danach. Man kann es nicht wirklich erklären. Das Problem ist wohl eher die psychische Abhängigkeit. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, diese Leute anders zu beschäftigen, auch wenn das sehr schwierig ist, dann wären Entzugserscheinungen wahrscheinlich nicht das große Problem.
Um noch einmal auf die Einstiegsfrage zurück- zukommen: Was halten Sie von einer kontrollierten Crack-Abgabe?
Ich sehe das kritisch. Wenn man Heroin oder Methadon konsumiert, bekämpft man die Entzugserscheinungen. Die Abhängigen haben erst mal für eine Weile ihre Ruhe. Bei Crack hingegen können sie mehrere Stunden oder Tage weitermachen. Sie konsumieren teilweise in Minutenabständen. Angenommen, man würde sagen, man stellt den Leuten unbegrenzt Crack zur Verfügung, dann würden sie wahrscheinlich auch in sehr großen Mengen konsumieren. Auf der anderen Seite wäre es - eben wegen der Konsumdynamik - schwierig, eine bestimmte Menge für die Vergabe festzulegen.
Abdolhamid Zokai, ein Substitutionsarzt aus Offenbach, sagt, dass ein Teil seiner Patienten durch den Konsum von Heroin von Crack weggekommen sei. Wäre Methadon ein Substitutionsmittel für CrackKonsumierende?
Das ist wahrscheinlich deswegen schwierig, weil es den Leuten aus der Szene ja schon darauf ankommt, einen Kick zu bekommen. Den bekommen sie von Methadon weitaus weniger. In unserer Studie kam heraus, dass zumindest für eine Minderheit Cannabis hilfreich sein könnte, um abends runterzukommen. Es hilft, dass sie sich beruhigen, und das Verlangen nach Crack wird gedämpft.
Der Magistrat möchte den Frankfurter Weg in der Drogenpolitik nach dem Vorbild des Züricher Modells weiterentwickeln. Ein Ziel davon ist, den offenen Drogenkonsum zu unterbinden.
Das ist unrealistisch. Man kann die Leute nicht einfach wegzaubern. Wir arbeiten an einem Projekt, das sich »Drugs and Urban Security« nennt. Dazu haben wir unter anderem Erhebungen in Nürnberg und München gemacht. Trotz der Repression und Bemühungen, die Szene unsichtbar zu machen, ist sie dennoch sichtbar. Die Probleme dort sind andere, aber sie sind vorhanden. So hat Nürnberg zum Beispiel die höchste Quote an Drogentoten. Die Menschen müssen ja irgendwo hin. Da müsste man schon eher großzügige Angebote machen, wo sich die Leute aufhalten können.
Zum Beispiel?
In Hamburg gibt es ein toleriertes Areal vor einer Drogeneinrichtung. Allerdings führte das zum Problem, dass die Leute auf sich alleingestellt sind, wodurch teilweise Gewalt und Bedrohungen mehr geworden sind.
Was halten Sie denn generell vom Züricher Modell?
Der Tenor ist ja, dass das Modell erfolgreich sei im Sinne von Ordnung herstellen und die Sichtbarkeit bekämpfen. Allerdings hängt das, glaube ich, viel damit zusammen, dass viel Geld und Personal vorhanden ist.
Die Diskussion um den Frankfurter Weg wurde auch neu entfacht, nachdem sich Gewerbetreibende und Gastronomen in einem offenen Brief bei der Stadt beschwerten, dass die Situation seit Corona schlimmer geworden sei.
Die Aggressionspotenzial ist seit Corona sicher gestiegen, aber es ist generell schon seit ein paar Jahren gestiegen. Durch die Corona-Krise sind weitere Probleme hinzugekommen. Man kann aber nicht sagen, dass alles schlimmer wird. Das hat viel mit den Entwicklungen im Viertel zu tun, wie etwa der fortschreitenden Gentrifizierung, durch welche die Räume für die Szene enger geworden sind.
In der Debatte kommen die positiven Effekte durch Corona auf die Drogenszene zu kurz. So wurde der Zugang und die Versorgung zur Substitution erleichtert.
Das trifft auf jeden Fall zu, gerade auch die Ausweitung der »Take Home«-Dosen, also dass die Konsumierenden die Substitutionsmittel mit nach Hause nehmen. Das soll bis zum Ende der Pandemie fortgesetzt werden. Diese Maßnahme wurde tendenziell gut angenommen. Außerdem wurde dadurch die Substitution insgesamt ausgebaut. Das konnten wir auch anhand von Befragungen in Frankfurt feststellen, weil die Tendenz zur Substitution in den letzten Jahren abgenommen hatte.
Wäre das ein sinnvoller Anlass, die Versorgung auch nach Corona zu erleichtern?
Man müsste insgesamt den Zugang noch deutlicher erleichtern, um zu verhindern, dass Konsumierende die Dosen gewinnbringend weiterverkaufen. Einige besorgen sich die Höchstdosis, benutzen davon die Hälfte und den Rest verkaufen sie. Das muss ja nicht sein. Wer gibt denn so viel Geld aus für illegal gehandel-te Substitutionsmittel? Das heißt, es muss immer noch eine signifikante Gruppe geben, für die der Zugang so schwierig ist, dass die tatsächlich dafür Geld ausgeben. Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb man das nicht durch einen noch mal erleichterten Zugang eindämmen sollte.