Das Spiel mit der Angst

Heute prallen Gegensätze aufeinander: Leben und Tod, Licht und Schatten, Kirche und Konsum, religiöse Traditionen und Volksbräuche, Süßes und Saures. Heute ist Halloween. Verzeihung, Reformationstag.
Wenn heute Abend die Sonne untergeht und sich die Dunkelheit über das Land senkt, beginnt der Spuk. Gruselige Fratzen leuchten aus düsteren Hauseingängen, durch die Straßen huschen geisterhafte Gestalten, ziehen von Haus zu Haus. Unangenehm wird es für die Bewohner allerdings nur, wenn sie den ganz und gar weltlichen Wünschen der Umherziehenden nicht nachkommen: Süßes, am Besten in rauen Mengen.
Und genau das ist der Punkt, der viele Menschen an Halloween stört. Sie kritisieren, dass vor allem der Einzelhandel von dem aus den USA importierten Fest profitiert. Dafür spricht vieles. Man musste sich nur in den vergangenen Wochen beim Einkaufen mal umschauen: Extra für Halloween verpackte Süßigkeiten, gruselige Kostüme und Deko-Artikel aller Art für die Party zu Hause lagen in den Regalen.
Und dann gibt es da noch die Kritik der Kirche. Denn Halloween hat außer dem Namen, der sich von »All Hallows’ Eve« - also dem Abend vor Allerheiligen - ableitet, wenig mit der Kirche gemeinsam. Im Gegenteil, viele vergessen, dass am 31. Oktober auch Reformationstag gefeiert wird, der an die Umwälzungen in der Kirche durch Martin Luther erinnert.
Erstaunlicherweise soll Halloween seine Ursprünge im katholisch geprägten Irland haben - zumindest soweit man sie nachverfolgen kann. Die Legende von Jack Oldfield passt perfekt in die Nacht des Monatswechsels vom bunten, lebensfrohen Oktober hin zum düsteren November mit seinen Totengedenktagen. Jack, der wegen seiner entsprechenden Charaktereigenschaften auch geiziger Jack oder trunksüchtiger Jack genannt wurde, handelte gerne mit dem Teufel. Er tauschte am Abend vor Allerheiligen seine Seele gegen einen Drink. Der Teufel verwandelte sich in eine Münze. Statt aber damit das Getränk zu bezahlen, verschloss Jack die Münze in seiner Tasche. So handelte er weitere zehn Jahre auf Erden heraus, bevor ihn der Teufel holen solle.
Genau zehn Jahre später, wieder am Abend des 31. Oktober, kehrte der Teufel zurück. Jack aber wünschte sich als Henkersmahlzeit einen Apfel. Als der Teufel auf einen Baum stieg, um den Apfel zu pflücken, ritzte Jack mit seinem Messer ein Kreuz in die Rinde, sodass der Teufel den Baum nicht mehr verlassen konnte. Erst, als der Teufel versprach, Jacks Seele auf ewig in Ruhe zu lassen, ließ er ihn gehen. Dadurch aber war die Hölle für immer für ihn verschlossen.
Was Jack bei diesem Handel nicht bedacht hatte: Nach seinem Tod ließ man ihn auch im Himmel nicht ein, zu groß waren seine Verfehlungen zu Lebzeiten. So wandelt Jack seitdem durch die Dunkelheit. Der Teufel schenkte ihm aus Mitleid ein Stück glühende Kohle, die Jack in eine ausgehöhlte Rübe steckte und sich die Finsternis so wenigstens etwas erhellt.
Viele Experten sind sich einig: An Halloween versuchen wir, unserer Angst vor dem Tod spielerisch zu begegnen. Das ist eine bewährte Strategie. Schon Kinder spielen in sicheren Situationen mit ihren Ängsten. Sie lassen sich beispielsweise jagen und quietschen vor Vergnügen, wenn sie sich gerade noch in Sicherheit bringen können. Es ist die Lust am Gruseln, die auch einen heilsamen Effekt haben kann.
Die Kirchen haben in den vergangenen Jahren verschiedene Herangehensweisen im Umgang mit Halloween erprobt. Es gibt auf der einen Seite die Kritiker wie die in Marburg geborene Margot Käßmann, frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es gehe dabei nur ums Geld, sagte sie vor einiger Zeit dem Evangelischen Pressedienst. Eine Vereinbarkeit mit dem Reformationstag ist für sie undenkbar. Zu Halloween werde ein Geisterkult aufs Schild gehoben, den Luther nicht befürwortet hätte. »Ganz im Gegenteil: Luther hat immer wieder betont, dass wir keine Angst zu haben brauchen. Insofern ist der heutige Geisterkult auch inhaltlich total kontraproduktiv - falls bei diesem Kult überhaupt Inhalt vorhanden ist«, sagte sie.
Manfred Becker-Huberti, Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar in Rheinland-Pfalz, hält dagegen. Er rät vor allem zu Gelassenheit. »Brauchtum ist lebendig«, stellt er fest. Er kritisiert, dass sich die Kirchen zu sehr auf alte Riten zurückziehen. »Das reicht nicht aus. Die Kirchen müssten das Sterben und den Tod so ansprechen, dass es den Menschen wieder unter die Haut geht.«
Die Frankfurter Pfarrerin Doris Joachim-Storch sieht das ähnlich. Reformation könne ein Fest gegen die Angst sein, schreibt sie auf der Internet-Seite der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (www.ekhn.de). Auch Luther habe sich gelegentlich deftig mit dem Teufel auseinandergesetzt. »Wenn dich der Teufel zu arg zwickt, dann streck ihm einfach den nackten Hintern hin«, zitiert sie. »Nun, hierzulande macht man das nicht so. Wir nehmen halt Kürbisse mit Fratzengesichtern dafür.« Und sie rät: »Lassen Sie den Kindern den Spaß, die Erwachsenen zu erschrecken und von ihnen Süßigkeiten zu erpressen. Es ist ein Spiel, das durchaus positive Aspekte hat.«
Inzwischen machen einige Kirchengemeinden sogar mit. Einige raten dazu, statt der üblichen Süßigkeiten Lutherbonbons an die Kinder zu verteilen. In Einhausen im Kreis Bergstraße lud die Kirchengemeinde im vergangenen Jahr Kinder zu einer gruseligen Bibelstunde ein, bei der unheimliche Geschichten aus der Bibel gelesen wurden. Dieses Jahr wird es beispielsweise in Neu-Anspach gruselig. Die katholische Kirche will mit Kindern eine Halloween-Party feiern, Grusel-Essen inklusive.