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Sondermüll unter Tage

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Kleidung der Mitarbeiter hängt in der Waschkaue der Untertage-Deponie Herfa-Neurode. Die Deponie von K+S Mineral- und Agriculture AG am Standort Heringen ist nach eigenen Angaben die größte und älteste für gefährliche Abfälle. © DPA Deutsche Presseagentur

In Herfa-Neurode an der hessisch-thüringischen Grenze lagern Hunderte Meter unter der Erdoberfläche 3,5 Millionen Tonnen Sondermüll. Seit 50 Jahren werden die gefährlichen Abfälle im Schacht Herfa-Neurode verwahrt.

In nur gut einer Minute saust der Seilbahnkorb rund 650 Meter in die Tiefe. Auf der zweiten Sohle der Grube Hattorf-Wintershall des Kalibergwerks Werra angekommen, schlägt einem warme und trockene Luft entgegen. Optimale Bedingungen, denn in einem Teil der Grube lagert der Kasseler Kali-Produzent K+S seit 50 Jahren gefährlichen Sondermüll ein. Die Untertagedeponie Herfa-Neurode im osthessischen Heringen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) gilt als weltweit größte und älteste ihrer Art. »Die Abfälle sind in der Welt und müssen irgendwohin. Hier können sie im Prinzip bis in alle Ewigkeit verwahrt werden«, sagt ArndSchneider, Leiter der Abfallbeseitigung am Standort Hattorf. Möglich machten das die besonderen geologischen Eigenschaften in dem Salzbergwerk. Die Kammern, in denen die Abfälle eingelagert werden, sind beim Abbau des Kalisalzes entstanden. Laut Schneider sind sie umgeben von 300 Meter mächtigem gasdichten Salzgestein. »Darüber liegt eine 100 Meter dicke wasserdichte Tonschicht.« Das garantiere eine absolute Trockenheit der Lagerstätte. »Die Abfälle werden auch in Jahrtausenden nicht mit Wasser in Berührung kommen«, betont er. Sie könnten in der Deponie langzeitsicher von der Biosphäre abgeschottet werden. Zudem würden sie langfristig im Salz fest eingeschlossen. »In 100 000 Jahren ist der Abfall komplett eingehüllt.«

Natürliche und künstliche Barrieren

Zu den natürlichen Barrieren kommen künstliche. Die Abfälle werden in reißfesten Kunststoffsäcken, sogenannten Big Bags, sowie in Fässern und Containern aus Stahlblech verpackt. »Die Metallbehälter rosten hier unten nicht, weil die Luftfeuchtigkeit mit 25 bis 35 Prozent sehr gering ist«, erläutert Schneider. Alle vier Jahre müsse die langfristige Sicherheit der Deponie für einen Zeitraum von 100 000 Jahren gegenüber der Aufsichtsbehörde, in diesem Fall dem Regierungspräsidium Kassel, nachgewiesen werden. Die Deponie mit einer Fläche von etwa 18 Quadratkilometern - das entspricht etwa 2000 Fußballfeldern - ist der höchsten Deponie-Klasse IV zugeordnet. Es gibt keine Grenzwerte, dennoch darf nicht alles dort verwahrt werden. »Wir lagern keine radioaktiven, flüssigen und infektiösen Abfälle ein. Ausgeschlossen sind auch biologisch abbaubare, geruchsbelästigende oder ausgasende Stoffe«, erklärt Martin Brown, Geschäftsführer der für den Vertrieb verantwortlichen Firma Reks - ein Gemeinschaftsunternehmen von K+S und dem Entsorgungsunternehmen Remex. Gleiches gelte für Abfälle, die explosiv oder leicht entzündlich sind.

Seit der Inbetriebnahme der Deponie 1972 wurden laut Schneider 3,5 Millionen Tonnen 600 verschiedener Abfall-arten eingelagert, darunter arsen-, cyanid- und quecksilberhaltige Abfälle, Filterstäube, Bauschutt und kontaminierte Böden. 60 Prozent der Abfälle stammen Brown zufolge aus Deutschland, 40 Prozent aus dem europäischen Ausland.

20 Tonnen

Ladung am Tag

Bevor sie unter Tage eingelagert werden, muss geprüft werden, ob tatsächlich drin ist, was vom Kunden angekündigt worden ist, und ob sich keine Gase oder Flüssigkeiten gebildet haben. Dazu werden Proben entnommen und im standorteigenen Labor analysiert. Durchschnittlich 15 bis 20 Lkw mit maximal 20 Tonnen Ladung am Tag werden abgewickelt. In den vergangenen Jahren seien jährlich 60 000 bis 70 000 Tonnen angenommen worden, sagt Brown. Unter Tage werden die Abfälle nach Stoffgruppen in separaten Bereichen eingelagert. Ist eine Kammer voll, wird sie mit einer Backsteinmauer verschlossen. »Wenn die Deponierung endet, wird das Deponiefeld mit Sicherheitsdämmen aus Salzgestein und Beton vom Rest der Grube abgeschottet und alle Schächte werden dauerhaft verschlossen«, erklärt Schneider. Ein wirtschaftlicher Betrieb der Deponie ist ihm zufolge an den aktiven Kaliabbau in der Grube Hattorf-Wintershall gekoppelt, der aus heutiger Sicht noch bis etwa 2060 anhalte.

Über der Deponie - nur wenige Kilometer von der hessisch-thüringischen Landesgrenze entfernt - liegt die 7100 Einwohner zählende Kleinstadt Heringen. Deren Bürgermeister Daniel Iliev sieht die Deponie »pragmatisch«, wie er sagt. »Der Wohlstandsmüll unserer Gesellschaft muss ja irgendwohin«, meint der SPD-Politiker. Da sei es egal, ob er unter Buxtehude, Hamburg oder Heringen eingelagert werde. Zudem vertraue er der deutschen Ingenieurskunst. In Heringen sei die Deponie eigentlich nie ein größeres Thema gewesen. »Man hat sich auch einfach damit arrangiert.« Das sieht Klaus Reinhardt von der Bürgerinitiative »Für ein lebenswertes Werratal« anders. Der rund 100 Mitglieder zählenden Initiative bereitet die Sondermülldeponie große Sorge. »Mit dem Arsen, das da unten liegt, können sie die ganze Welt vergiften«, sagt Reinhardt. Die Lagerstätte berge ein »allgemeines Gefahrenpotenzial«. Er befürchtet, dass bei einem Schwelbrand 2016 durchaus Dämpfe ausgetreten sein könnten. »Ein oder zwei Tage später kann man da aber nichts mehr messen.« Es sei niemand da, der das kontrolliere. »Aber wir leben nun mal in einem Kali-Gebiet. Da hängen auch viele Arbeitsplätze dran.« Das Regierungspräsidium Kassel hingegen hält die Deponie für sicher. Sie liege nicht in einem erdbebengefährdeten Bereich. Größere Gebirgsschläge hätten auch keine Auswirkung auf das Grubengebäude außerhalb der Gebirgsschlagfelder.

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