Die SPD setzt auf »echte Themen«
Bei eisigen Temperaturen und Schneetreiben ist er gut gelaunt auf Wahlkampftour im Norden Wiesbadens unterwegs - zu Fuß. Obwohl er von einem halben Dutzend Fernsehteams und zahlreichen Fotografen begleitet wird, zieht Thorsten Schäfer-Gümbel kaum Blicke der Passanten auf sich. Nur einige bleiben kurz stehen, scheinen sich verwundert zu fragen, wem das Medieninteresse an diesem verschneiten Morgen wohl gelten mag, und setzen ihren Weg nach einer kurzen Verweildauer unbeeindruckt fort.
Der SPD-Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl setzt während seines Aktionstags »Für gute Arbeit auch in schlechten Zeiten« in Wiesbaden und Frankfurt eher auf leise Töne. In einer Einrichtung für Jugendberufshilfe und in einem Altenheim verschafft er sich ein Bild über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, nimmt sich kurz Zeit für Gespräche mit Jugendlichen, einer 95 Jahre alten Dame sowie mit einem »echten Genossen«, der seit mehr als 40 Jahren Mitglied bei den Sozialdemokraten ist und stolz sein Parteibuch präsentiert. Der Kontakt zum Bürger ist im Wahlkampf schließlich wichtiger denn je, und das weiß Schäfer-Gümbel.
Weiter geht es mit dem Bus nach Frankfurt. Doch auch dort erregt das Wahlkampfteam fast kein Aufsehen. Unterwegs ist der Newcomer nämlich in einem gewöhnlichen Reisebus, niemand würde erwarten, dass der Herausforder von Roland Koch darin sitzt. Im Gegensatz zu Koch und dessen CDU setze die SPD auf »echte Themen« wie Bildungs- und Energiepolitik, betont Schäfer-Gümbel. »Koch beschäftigt sich in diesen Tagen nur mit seiner persönlichen politischen Karriere und mit Koalitionsfragen, allen anderen Debatten geht er aus dem Weg.
« Damit habe er den Lager-wahlkampf eröffnet. »Doch darauf lasse ich mich nicht ein«, betont Schäfer-Gümbel. Und um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen, schiebt er nochmals hinterher: »Lass ich mich nicht ein!« Ohnehin sei der Wahlkampf viel zu kurz für Hütchenspiele und Personalentscheidungen. Zur Zukunft von Parteichefin Andrea Ypsilanti geht ihm an diesem Tag kein Wort über die Lippen. »Dazu sage ich nichts.«
Trotz denkbar schlechter Umfrageergebnisse für die hessische SPD - den jeweils aktuellen Zahlen schenkt Schäfer-Gümbel nach eigener Aussage übrigens nur wenig Aufmerksamkeit - lautet sein erklärtes Wahlziel, Schwarz-Gelb in Hessen zu verhindern. Wenn dies erfolgreich sei, werde die Sozialdemokratie wieder Regierungsoptionen bekommen. Mit Blick auf den Wahlsonntag zeigt sich Schäfer-Gümbel optimistisch: »Die Hühner werden am Ende gewogen, nicht mittendrin.«
Ypsilantis Nachfolger weiß, dass die Zeit knapp wird. In den 55 Tagen, in denen er Wahlkampf für die Hessen-SPD betreibe, sei sein Bekanntheitsgrad zwar enorm gestiegen, »aber leider ist er noch nicht groß genug«. Gewachsen ist seit dem 7. November auch sein Selbstvertrauen und die Selbstverständlichkeit, mit der er spontan Interviews vor laufender Kamera gibt. An diesem Tag tauchen immer wieder Reporter auf, die mal ein Statement zum angekündigten Rückzug Norbert Schmitts, mal zum Konjunkturpaket abgreifen wollen.
Um ihren Spitzenkandidaten bei einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht bekannt zu machen, setzt die SPD auch auf das Internet. Mit Videobotschaften und einer mit vielen persönlichen Informationen gespickten Homepage wollen die Sozialdemokraten wenigstens den Online-Wahlkampf gewinnen. Das erklärt Oliver Zeisberger von der dafür zuständigen Agentur, während Schäfer-Gümbel mit Betriebsräten von Transnet plaudert - streng geheim hinter verschlossenen Türen. Später verrät er, dass der öffentliche Personennahverkehr in Hessen eine wesenliche Rolle bei dem Treffen gespielt habe. Verkehrspolitik sei ein wichtiges Thema, das unter der CDU-geführten Regierung in den vergangenen Jahren so gut wie nicht diskutiert worden sei.
Unter einer Regierung mit sozialdemokratischer Beteiligung werde sich dies ändern, verspricht Schäfer-Gümbel.
Die Hessen-SPD setzt im kürzesten Wahlkampf aller Zeiten auch auf Unterstützung aus der Bundespartei. Trotz der widrigen Wetterverhältnisse und mit reichlich Verspätung leistet Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee Schützenhilfe bei einer Veranstaltung in Frankfurt, die im Zeichen der Internationalen Bauausstellung steht. Der prominente Gast aus Berlin stiehlt dem Neuling aus der »mittelhessischen Provinz« jedoch schnell die Show. Die gut 120 interessierten Bürger haben regen Diskussionsbedarf - allerdings weniger mit Schäfer-Gümbel als mit Tiefensee. Doch der Minister besinnt sich schnell, warum er eigentlich in Hessen ist, und verabschiedet sich mit dem eindringlichen Appell: »Ihr müsst den Thorsten an die Spitze wählen!«
Susanne Riess