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Schwarz-Grün setzt auf Harmonie

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Gemeinsam unterwegs: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, l.), und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) sehen ihre Zusammenarbeit bei der 100-Tage-Bilanz der schwarz-grünen Koalition durchweg positiv. © DPA Deutsche Presseagentur

Seit Ende Mai führt CDU-Ministerpräsident Rhein die schwarz-grüne Koalition in Hessen an. Gemeinsam mit seinem Vize Al-Wazir (Grüne) berichtet er von Vertrauen und Respekt innerhalb des Bündnisses. Doch zur 100-Tage-Bilanz gibt es auch starke Kritik am neuen Mann an der Regierungsspitze.

Die Busfahrt zur Bilanz der ersten 100 Tage seiner Amtszeit als hessischer Ministerpräsident am gestrigen Montag bestreitet Boris Rhein (CDU) demonstrativ gemeinsam mit seinem Stellvertreter und grünen Koalitionspartner Tarek Al-Wazir. Beide sind des Lobes voll über die gute Zusammenarbeit und gegenseitige Wertschätzung. »Die schwarz-grüne Koalition arbeitet auch unter neuer Führung vertrauens- und respektvoll zusammen«, betonen sie und preisen die 100-Tage-Bilanz der Regierung in Wiesbaden in den höchsten Tönen. Dabei ist längst klar: Beim Landtagwahlkampf im kommenden Jahr stehen sich Rhein und Al-Wazir als Konkurrenten gegenüber. Der 50-jährige CDU-Mann will Ministerpräsident bleiben, der ein Jahr ältere Grüne will es werden.

Rhein: Bündnis bis 2024 gewählt

Dass jetzt zwei Klimaschutzprojekte in Südhessen das Ziel der Rundfahrt werden, ist kein Zufall. Schon in der Regierungserklärung nach der Wahl zum Nachfolger seines mit 70 Jahren abgetretenen Parteifreunds Volker Bouffier am 31. Mai fischte Rhein unverhohlen in den Jagdgründen des grünen Koalitionspartners. Er machte den Klimaschutz überraschend deutlich zum eigenen Anliegen und betonte, wenn man die Folgen des Klimawandels begrenzen wolle, »dann müssen wir jetzt handeln«. Kein Wunder, dass der neue Regierungschef 100 Tage später zusammen mit Al-Wazir eine Katastrophenschutzübung zur Bekämpfung von Waldbränden im südhessischen Egelsbach und anschließend ein Werk zur Aufbereitung von Brauchwasser aus dem Rhein in Biebesheim besucht.

Rhein setze die Entfremdung der CDU von konservativer Politik weiter fort, »bis sie von den Grünen nicht mehr zu unterscheiden ist«, unkt der hessische AfD-Fraktionschef Robert Lambrou. Davon kann aus Sicht von Rhein und Al-Wazir keine Rede sein. CDU und Grüne blieben unterschiedliche Parteien mit durchaus auch unterschiedlichen Standpunkten. Doch wie acht Jahre lang unter Bouffier setzten sie sich auch unter Rhein zusammen, »nicht um gegenseitig auf den Tisch zu hauen, sondern nach Lösungen zu suchen«, drückt es Al-Wazir aus. Die Wähler wollten keinen Dauerwahlkampf, schon gar nicht in Krisenzeiten wie dieser, betonen beide. »Wir sind als Koalition bis 18. Januar 2024 gewählt und bis dahin werden wir unsere Arbeit tun«, versichert Rhein.

Opposition nennt Koalition mausgrau

Dessen 100-Tage-Bilanz sieht die Opposition im Hessischen Landtag indes äußerst kritisch. Keiner wisse, wofür der neue Regierungschef stehe. »105 Tage ohne Profil - Schwarz-Grün bleibt auch mit Boris Rhein mausgrau«, urteilt SPD-Fraktionschef Günter Rudolph. Der Wechsel in der Staatskanzlei habe keinen Aufbruch für Hessen ausgelöst. Mit Blick auf die vielen Besuche des neuen Ministerpräsidenten vor Ort folgerte Elisabeth Kula von den Linken gar: »Es reicht nicht, den Grußonkel bei beliebten hessischen Volksfesten zu geben.« Und der designierte FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas forderte Rhein auf, aus dem »Wohlfühl-Modus herauszukommen« und »endlich zu handeln«.

Rhein und Al-Wazir sehen das ganz anders. Trotz Sommerpause sei die schwarz-grüne Koalition »mit Schwung und Dynamik« die großen Herausforderungen wie Ukraine-Krieg, Gaskrise, steigende Preise und monatelang Trockenheit angegangen. Sie verweisen auf das neue Klimaschutzgesetz, den Gasgipfel mit Wirtschaft und Verbänden, dem bald auch ein »Sozialgipfel« folgen soll, die Reform der Beamtenbesoldung, mehr Stellen für die Justiz, das neue Schulfach »Digitale Welt« an vorerst 23 ausgewählten Schulen und die Integration der ukrainischen Flüchtlinge. Und zusammen mit Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) wollen Rhein und Al-Wazir schon in der kommenden Woche auch den Doppelhaushalt des Landes für 2023 und 2024 vorlegen.

Der reicht also deutlich über die Landtagswahl im Herbst kommenden Jahres hinaus. Mit der persönlichen Konkurrenz im Wahlkampf würden sie »professionell« umgehen, versichern Rhein und Al-Wazir. Eine Beschädigung ihrer guten Zusammenarbeit erwarten sie nach eigenen Angaben nicht. Und haben offenbar auch schon die Zeit nach der Wahl im Blick. Wenn der Wähler entschieden habe, werde wieder sondiert, wer mit wem am meisten umsetzen könne. Da erscheinen weder die dann dritte Neuauflage von Schwarz-Grün noch Grün-Schwarz wie in Baden-Württemberg ausgeschlossen.

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