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Querdenker-Welt im Lahn-Dill-Kreis

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Ein Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Politik in Hamburg unter dem Motto »Gegen Ausgrenzung, Spaltung und Zwang« trägt eine Kopfbedeckung mit einem stilisierten Virus darauf. Im Lahn-Dill-Kreis wollen Querdenker nun ein autarkes Wohn- und Arbeitsprojekt planen. FOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Eine Genossenschaft plant offenbar ein Wohn- und Arbeitsprojekt auf einem früheren Bundeswehr- Gelände. In Waldsolms schrillen die Alarmglocken.

Von der eigenen Gedanken- in die eigene Lebenswelt: Querdenker haben offenbar im Lahn-Dill-Kreis eine Genossenschaft gegründet, sie wollen hier auf einem früheren Bundeswehr-Areal ein Wohn- und Arbeitsprojekt starten, sich selbst versorgen und unabhängig von der Außenwelt machen. Motto: »Gemeinsam gesund leben und wirtschaften«. Hinter dem Projekt steht der Hüttenberger Heiko Schuster. Er hatte die Demos der Impfgegner in Wetzlar organisiert, bei denen zu Spitzenzeiten mehr als 2000 Menschen auf die Straßen gingen. In einem Interview mit einem Querdenker-Kanal hat Schuster das Vorhaben erklärt: Ziel sei ein gemeinsamer Lebensraum und die Unabhängigkeit von der Außenwelt. »Wir wollen Leuten, die einen Schritt weiter sind, die so sind wie wir, einen Lebensraum erschaffen, aber auch einen Wirtschaftsraum.«

Ziel: Keine externen Mieter mehr

In den ersten fünf Jahren soll das Gelände belebt werden, auf den Freiflächen sollen kleine Häuser entstehen, in einer Ecke eventuell Tiny-Häuser. In den nächsten fünf Jahren soll der Umbau der Gebäude folgen. Was Schuster vorschwebt: ein eigener Hofladen, Käserei, Bäckerei, Sauna, Fitnessstudio und Gemeinschaftsräume. Beim Thema Selbstversorgung plant er den »Schulterschluss mit Landwirten«. Und weiter: »Im Idealfall sind wir nach zehn Jahren an dem Punkt angekommen, wo das gesamte Gelände genossenschaftlich bewirtschaftet wird und keine externen Mieter mehr da sind.« Geld solle auf dem Grundstück keine Rolle spielen, das sei nur auf der anderen Zaunseite noch wichtig.

In dem Video berichtet eine Mitstreiterin, Gudrun Maidl aus Ulrichstein im Vogelsbergkreis, das Motiv für das Vorhaben: »Unsere Gründe waren die letzten zwei Jahre, als wir eigentlich weggesperrt und eingesperrt waren«, behauptet sie. Maidl ist aktiv für die »Freiheitsboten«, eine Initiative von Bodo Schiffmann, einem Querdenker-Arzt und laut Wikipedia »Führungsfigur der deutschen Corona-Leugner-Szene.«

Das passende Objekt für die Genossenschaft laut Heiko Schuster: ein 40 000 Quadratmeter großes Grundstück (entspricht etwa der Größe von acht Fußballfeldern), früher von der Bundeswehr genutzt, mit einem Dutzend Gebäuden darauf, die aktuell als Lager vermietet seien. »Diese Fläche gilt es, mit Leben zu füllen«, sagt Schuster in dem Video. Wo? »Im wunderschönen Lahn-Dill-Kreis, mitten in Hessen.« Er verrät auch noch: »Wir haben eine Bahnanbindung nach Frankfurt.« Das Gelände sei umzäunt, Schuster sagt: »Wenn es in der Welt ganz komisch wird, dann machen wir das Tor zu und auf unserer Seite des Zauns ist dann die gute Seite.«

Ein solches Grundstück gibt es im Waldsolmser Ortsteil Brandoberndorf. 3,7 Hektar groß, umzäunt, rund ein Dutzend Gebäude, dort war von Mitte der 1950er-Jahre bis 1996 ein Sanitätsdepot der Bundeswehr. Der Ort hat mit der Taunusbahn einen Anschluss nach Frankfurt. Nach Informationen dieser Zeitung gehört das Gelände einer Privatperson, die es verkaufen will, es gibt mehrere Interessenten. Es gibt auch einen Namen für eine eigene Internetwährung auf dem Gelände der Querdenker: »Brandyrubel«, sagt Schuster. Dieser Name spricht für den Bezug zu Brandoberndorf.

In der Waldsolmser Gemeindepolitik steht das Gelände aktuell auf der Tagesordnung: Weil nebenan ein Bikepark entsteht, ist eine Veränderungssperre beantragt. Das heißt: Die Gemeinde könnte dann auf dieser Fläche des früheren Sanitätsdepots weitere Baugenehmigungen verhindern. Waldsolms’ Bürgermeister Bernd Heine (SPD) berichtet auf Anfrage, dass sich bislang noch niemand im Rathaus gemeldet und Kontakt aufgenommen habe, um eventuelle Vorhaben auf dem Gelände in Brandoberndorf abzusprechen. Er fügt hinzu: »Gleichwohl schrillen bei uns die Alarmglocken.«

Finanzieren soll den Kauf eine Genossenschaft. Knapp hundert Leute hätten sich bereits für das Thema interessiert und Ortsbegehungen gemacht. Als Schuster mit dem Querdenker-Kanal sprach, war noch von der Gründung einer Genossenschaft die Rede. Offenbar ist sie inzwischen vollzogen. Das ARD-Fernsehmagazin »Report Mainz« berichtete nun von einem Treffen in der »Kunstmühle« in Hüttenberg. Dort hätten Teilnehmer die Gründung bestätigt. Beim Amtsgericht Wetzlar ist die Genossenschaft bislang noch nicht im Register eingetragen. Der Kanal preist das rund 40-minütige Video über das Genossenschaftsprojekt so an: »Unzufrieden damit, wie sich die Gesellschaft entwickelt und immer mehr die Freiheit der Menschen beschränkt, beschlossen Gudrun und Heiko einfach, ihren eigenen Lebensraum nach ihren Vorstellungen zu schaffen.« Der Kanal bietet auf seiner Internetseite nicht nur Videos, sondern auch einen Shop, dort gibt es unter anderem: physikalischen Schutz vor Elektrosmog, Sternenlotos, kolloidale Metalle, Vitalstoffe, russische Messtechnik und Baum-Essenzen.

Schuster ist Angestellter in der Kreisverwaltung Gießen, arbeitet dort in der Bauabteilung. Er wird also vom Staat bezahlt. Offensichtlich ist dies in der Querdenkerszene nicht förderlich, denn Schuster berichtet der Öffentlichkeit lieber, dass er Handwerksmeister sei, auch in dem Video. Er ist auch Kreisvorsitzender der Partei »Die Basis«. Er ist auch der Organisator der Impfgegner-Demos in Wetzlar gewesen und mobilisierte Teilnehmer in Telegram-Gruppen. Unter den Mitgliedern befanden sich Querdenker, Verschwörungsgläubige, Evangelikale, Esoteriker, auch Reichsbürger, aber vor allem Menschen mit völlig unterschiedlichen persönlichen Motiven. Was viele einte, war die Ablehnung der Corona-Impfungen. Der große gemeinsame Nenner war jedoch der Widerstand gegen eine Impfpflicht. Schuster schrieb im Telegram-Kanal »Bürgeraustausch Wetzlar« auch: »Die korrupten Politiker in unserem Land müssen entsorgt werden. Die Politik steht doch schon mit dem Ar... an der Wand. Es sind die letzten verzweifelten Zuckungen. Wir müssen noch ein bisschen standhalten, dann werden wir triumphierend zusehen können, wie das Kartenhaus der Plandemie zusammenbricht und die Ratten aus den Löchern gejagt werden. … Herzliche Grüße, Heiko.«

Hinweise beim Verfassungsschutz

In Herborn mobilisierte Thomas Espey zu den Corona-Demos. Auch er thematisierte zuletzt die Gründung einer Genossenschaft. Anfang April sagte er auf dem Herborner Marktplatz: »Ich möchte, dass wir neue Wege gehen. Mir schwebt eine Genossenschaft vor; dass wir gemeinsam einkaufen und uns mit günstigen Lebensmitteln versorgen können.«

Das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz teilte gegenüber »Report Mainz« mit, es seien vereinzelt Hinweise auf Vorhaben bekannt, in denen Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen autarke Lebens- und Versorgungsgemeinschaften gründen wollten. Diese Ankündigungen seien aber nicht umgesetzt worden.

Die Behörde ziehe in ihrer Stellungnahme Parallelen zu Teilen des rechtsextremistischen Spektrums sowie der Szene der sogenannten Reichsbürger, berichtet das ARD-Magazin. Und sie sehe in extremistischen Aussteiger-Projekten eine Gefahr, »weil diese mit der ideologischen Abschottung des involvierten Personenkreises einhergehen und somit individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse befördern könne«.

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