Pilotprojekt im Landkreis Gießen: »Tiere bremsen nicht«

Mit einem neuen Verkehrs-schild will die Polizei in Mittelhessen der hohen Zahl von Wildunfällen entgegenwirken. Dazu geht im Landkreis Gießen nun ein Pilotprojekt an den Start.
Kreis Gießen - Im Schnitt kommt es alle 90 Minuten auf mittelhessischen Straßen zu einem Zusammenstoß zwischen motorisierten Fahrzeugen und Wildtieren. Ein Viertel aller Unfälle geht auf Wildunfälle zurück. Dabei könnten die meisten solcher Zusammenstöße durch eine reduzierte Fahrgeschwindigkeit vermieden werden, sagen Polizei und Jagdverbände. Mit einem Pilotprojekt wollen deshalb das Polizeipräsidium Mittelhessen, Hessen Mobil sowie der Landkreis Gießen und die Stadt Haiger Fahrzeugführer auf die Gefahr durch Wildunfällen hinweisen.
Verschiedenste Versuche, Wildtiere von den Fahrbahnen fernzuhalten, erwiesen sich in der Vergangenheit als wenig erfolgreich. »Egal was wir versucht haben, Reflektoren, Duftzäune oder Schall, nichts davon hat sich als wirklich praktikabel erwiesen«, sagt der Projektleiter Polizeioberkommissar Thomas Baumgart, am Donnerstag bei der Vorstellung des Pilotprojekts auf dem Gelände der hessischen Bereitschaftspolizei in Lich. »Das einzige, was Wirkung gezeigt hat, sind Wildzäune an den Autobahnen. Aber jede Land- und Kreisstraße mit Zäunen auszustatten, kann man personell und finanziell nicht stemmen.«
Im gesamten Zuständigkeitsgebiet des Polizeipräsidiums Mittelhessen kam es in den vergangenen fünf Jahren zu 28 046 Wildunfällen. Bei diesen wurden 282 Menschen verletzt, zwei Personen verunglückten tödlich. Insgesamt entstand bei den Wildunfällen ein Sachschaden von 133,5 Millionen Euro. Alleine im Landkreis Gießen kam es in diesem Zeitraum zu 5792 Wildunfälle mit 58 Verletzten und einem Sachschaden von 27,7 Millionen Euro. Die getöteten Tiere sind in dieser Statistik nicht enthalten.
Darum machte sich in den vergangenen Monaten eine Arbeitsgruppe - bestehend aus Polizei, Hessen Mobil, Kommunen und Jägern - daran, eine Lösung zu finden, berichtet Baumgart weiter. Das Ergebnis: Ein neues Verkehrsschild. »Es wurde versucht, mit dem Wild zu reden, das hat nicht funktioniert. Tiere bremsen nicht. Also müssen jetzt die Autofahrer ran.«
Das neue Verkehrsschild, ein 1,20 mal 1,60 Meter großes Warnschild, enthält auf neongelber Grundfarbe das bekannte Verkehrszeichen 142, das vor der Gefahr von Wildwechseln warnt. Dazu soll ein kurzer Text auf die örtliche Problematik hinweisen. Durch die stark reflektierende Grundfarbe ist das Schild schon aus weiter Entfernung und auch in der Dunkelheit zu sehen. Das Gros der Unfälle ereignet sich im Dunklen, vor allem im Herbst und im Winter.
Im Zuge des Pilotprojekts wurden zwei Teststrecken im Landkreis mit den neuen Schildern ausgestattet: Seit Anfang dieser Woche stehen diese an der L 3354 zwischen Bettenhausen und Bellersheim und der L 3127 zwischen Beltershain und Geilshausen.
Die L 3127 ist der Hotspot im Landkreis Gießen für Wildunfälle. 54-mal kam es innerhalb der letzten drei Jahre zu Zusammenstößen zwischen Wildtieren und Straßenverkehr. Die L 3354 ist dagegen eine atypische Unfallstelle: »Im Gegensatz zur Grünberger Gemarkung führt die Straße hier nicht durch einen Wald, sondern zwischen zwei Waldstücken hindurch«, berichtet Baumgart. Trotzdem stieg die Zahl der Unfälle über die vergangenen drei Jahre an.
Eine dritte Teststrecke mit einem etwas anderem Konzept findet sich im Lahn-Dill-Kreis. Auf der L 3044 zwischen den Haigerer Stadtteilen Langenaubach und Flammersbach wurde bereits am 10. November ein LED-Display aufgestellt, dass auf drohenden Wildwechsel hinweist.
Für sechs Monate bleiben die Warnschilder auf den Teststrecken, anschließend sollen sie auch an andere Stellen »umziehen«. Damit einher geht eine konstante Messung der Geschwindigkeiten auf den jeweiligen Strecken. So soll überprüft werden, ob das Projekt sein vorrangiges Ziel erreicht. »Wir wollen erreichen, dass auf den unfallgefährdeten Strecken langsamer gefahren wird«, erklärt Polizeioberrat Gerhard Keller, Leiter der Direktion Verkehrssicherheit im Polizeipräsidium Mittelhessen. »Wir wollen Nadelstiche setzen und so dem Gewöhnungseffekt vorbeugen.«
Denn gerade diese Gewöhnung ist der Grund dafür, dass die normalen Wildwechselschilder nicht mehr ausreichen, wie Baumgart erklärt: »Die nehmen die meistem Autofahrer gar nicht mehr wahr, weil sie so häufig zu sehen sind. Dabei wissen die meisten Fahrer nicht, wie oft es zu Wildunfällen kommt.«