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Pflege im Heim deutlich teurer

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Steigende Zuzahlungen machen vielen Pflegebedürftigen im Heim schon seit Jahren zu schaffen. Und die Belastungen verschärfen sich nicht nur wegen der hohen Inflation. Kommt bald eine stärkere Kostenbremse?

Die Pflege im Heim wird teurer und teurer. Selbst zu zahlende Anteile für Pflegebedürftige und ihre Familien sind trotz neuer Entlastungszuschläge deutlich gestiegen, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen ergab. Im Schnitt waren es in Hessen zum Stichtag 1. Januar 2335 Euro im ersten Jahr im Heim. Das sind trotz neuer Entlastungszuschläge 257 Euro mehr als noch ein Jahr zuvor. Bundesweit lag der Betrag zu Jahresbeginn durchschnittlich bei 2411 Euro pro Monat - 278 Euro mehr als Anfang 2022.

Die Entlastungszuschläge steigen mit längerem Heimaufenthalt und dämpfen die Kostenzuwächse dann jeweils stärker. Auch mit dem höchsten Zuschlag, den es ab dem vierten Jahr im Heim gibt, stieg die Zuzahlung in Hessen auf nun 1608 Euro pro Monat, im Bundesdurchschnitt waren es 1671 Euro pro Monat. Das waren 103 Euro beziehungsweise 130 Euro mehr als zum 1. Januar 2022. Ohne Zuschläge wären es im Schnitt für pflegebedürftige Heimbewohner in Hessen inzwischen 2391 Euro Eigenbeteiligung, 269 Euro mehr als zum 1. Januar 2022.

In den Summen ist zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege und Betreuung enthalten. Denn die Pflegeversicherung trägt - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner kommen noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und für Investitionen in den Einrichtungen hinzu.

Steigender Entlastungszuschlag

Seit Anfang 2022 gibt es neben den Zahlungen der Pflegekasse einen Entlastungszuschlag, der mit der Pflegedauer steigt. Der Eigenanteil nur für die reine Pflege sinkt so im ersten Jahr im Heim um fünf Prozent, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 70 Prozent.

Überhaupt Zuschläge bekommen bundesweit insgesamt knapp 700 000 Pflegebedürftige, wie das Bundesgesundheitsministerium für den Schnitt der ersten drei Quartale 2022 mitteilte. Davon erhielten 41,8 Prozent den höchsten Zuschlag ab dem vierten Jahr im Heim - und 25,4 Prozent den niedrigsten, da sie noch im ersten Heimjahr waren.

Für die Analyse wurden den Angaben zufolge Vergütungsvereinbarungen der Pflegekassen mit den Heimen in allen Bundesländern ausgewertet. Die Daten beziehen sich auf Bewohner mit den Pflegegraden 2 bis 5.

Hintergrund sind vielfach höhere Personalkosten. Denn seit 1. September 2022 müssen alle Einrichtungen Pflegekräfte nach Tarifverträgen oder ähnlich bezahlen, um mit den Pflegekassen abrechnen zu können. Die gesetzliche Vorgabe hatte noch die alte schwarz-rote Bundesregierung auf den Weg gebracht - auch um dringend gesuchte Pflegekräfte im Beruf zu halten und zu gewinnen.

Daneben macht sich die hohe Inflation mit teureren Lebensmitteln in den Heimen bemerkbar. Die Zuzahlungen für Unterkunft und Verpflegung gingen binnen Jahresfrist von 801 auf nun 857 Euro hoch. Insgesamt gibt es bei den selbst zu zahlenden Anteilen weiter große regionale Unterschiede. Am teuersten waren Heimplätze - ohne Zuschüsse - laut Auswertung zum 1. Januar in Baden-Württemberg mit 2845 Euro im Monat. Am wenigsten kosteten sie in Sachsen-Anhalt mit im Schnitt 1868 Euro.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz monierte, die Bundesregierung und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schauten der Kostenexplosion tatenlos zu. »Den bislang leeren Versprechungen der Ampel-Koalition müssen endlich Taten folgen«, sagte Vorstand Eugen Brysch. »Jeder Betroffene braucht ab sofort 300 Euro monatlich mehr.« Zudem sei unverzüglich ein Inflationsausgleich einzuführen. Generell sollten Pflegebedürftige künftig einen festen Eigenanteil zahlen. »Den Rest muss die Pflegeversicherung übernehmen. Das schafft Planbarkeit und Generationsgerechtigkeit für die Menschen.«

Der Linken-Fachpolitiker Ates Gürpinar sagte, es werde deutlich, dass die prozentualen Zuschläge zu den Eigenanteilen nicht entlasteten, da sie die Systematik rasant steigender Preise nicht durchbrechen. »Zur finanziellen Belastung kommt vor allem auch eine emotionale Belastung hinzu.« Statt einer Reform wieder nur mit einzelnen Stellschrauben brauche es eine »Pflegerevolution«, damit alle pflegebedingten Kosten von der Pflegeversicherung übernommen werden könnten.

Lauterbach hat bereits ein großes Pflegegesetz für 2023 angekündigt. Im Blick steht auch die Dynamisierung vieler Leistungen, hieß es aus dem Ministerium. Derzeit fresse die Inflation die Pflegesätze quasi auf. Klar ist: Es wird noch teurer. Schon die Entlastungszuschläge kosteten die Pflegekassen im vergangenen Jahr 3,4 Milliarden Euro, wie der Ersatzkassenverband erläuterte. In diesem Jahr dürften es »deutlich über vier Milliarden Euro« sein.

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