»Ohne Layla geht gar nichts«

Nadine Reuter ist auf ihren Assistenzhund angewiesen. Er gibt ihr Sicherheit, vor allem dann, wenn es um körperlichen Kontakt geht. Doch kein Arzt will die Pudeldame mit in die Praxis lassen. Seit Monaten versucht Nadine Reuter vergeblich, einen Termin zu bekommen.
Den Blindenführhund kennt man, dass er seinen Menschen überall hin begleitet, ist normal. Doch es gibt Menschen mit nicht sichtbarer Schwerbehinderung, für die ihr speziell ausgebildeter Assistenzhund lebensnotwendig ist. So wie für Nadine Reuter aus Ehringshausen. Sie ist auf ihre kleine Pudeldame »Layla« angewiesen, um im Alltag zurechtzukommen; die hat sogar einen Dienstausweis.
Also alles gut? Nein, sagt Nadine Reuter. »Den Zugang zu Lebensmittelgeschäften konnte ich durch Aufklärung erreichen, bei Arztpraxen, in meinem Fall eine dringende Untersuchung im gynäkologischen Bereich, leider nicht. Ich werde abgelehnt - aufgrund des Hundes.«
Die Behinderung sieht man der 47-Jährigen nicht an: Dissoziative Identitätsstörung (DIS) und komplexe posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), erklärt sie und erzählt. Im Februar ist sie von Linsengericht nach Ehringshausen gezogen. Der Liebe wegen. Es war ein Fehler. »Nun bin ich hier ganz allein.« Unterstützt wird sie von einer Alltagsbegleiterin. Und gemeinsam versuchen die beiden Frauen seit Juni, für Reuter einen wichtigen Gynäkologen-Termin im Umkreis von 30 Kilometern von Ehringshausen zu vereinbaren. Vergeblich. Reuter: »Mein Assistenzhund muss bei dieser Untersuchung dabei sein. Wir bekommen nur Absagen, keine Erklärung für die Ablehnung, es wird kein Kennenlerngespräch vorgeschlagen, es kommt kein Telefonat mit einem Arzt zustande.«
Es werde nicht hinterfragt, welche Einschränkungen sie hat und wie der Hintergrund ihrer Erkrankung ist. Die DIS und komplexe PTBS sind die Folge jahrelangen sexuellen Missbrauchs. Ab dem dritten Lebensjahr bis zur Pubertät habe sich ihr Erzeuger (Vater nennt sie ihn nicht) an ihr vergangen. Danach folgte bis zum 23. Lebensjahr psychischer Missbrauch durch ihn. Erst mit 38 Jahren hatte sie ihn angezeigt, da waren die Taten schon verjährt.
Was blieb, sind Nadine Reuters 23 Persönlichkeitsanteile. 23 Momente des Missbrauchs, in denen sich das kindliche Gehirn »abgespaltet« hat, um sie zu überstehen. Jedesmal wurde quasi eine Festplatte gelöscht und eine neue begonnen. Doch die alten Erinnerungen blieben, Ängste, die in Stresssituationen, bei denen es um Berührung geht, die Oberhand gewinnen können. »Schwierig für mich sind Situationen wie Arztbesuche, da diese körperlich werden und sogenannte Switche auslösen können. Dazu ist mein Assistenzhund nötig, der diese verhindern kann.« Die achtjährige »Layla« wittert das Adrenalin, spürt den Herzschlag und versucht, es abzuwenden, indem sie Frauchen ableckt und so erdet, ihr signalisiert »Ich bin hier« und sie im Notfall wieder »zurückholen« kann.
Sechs Frauenarztpraxen von Herborn bis Gießen haben sie abgelehnt, wegen des Hundes. Aber: »Meine Hündin würde eine Untersuchung möglich machen und nicht stören. Sie muss ja immer in meiner Nähe sein, vor allem während der Behandlung.« Außerdem, schiebt ihre Alltagsbegleiterin nach, gebe es eine Duldungspflicht für Assistenzhunde.
Reuter: »Ich wünsche mir so sehr, dass die Menschen aufgeklärt werden, dass es nicht nur Blindenführhunde gibt, sondern auch andere Service-Hunde, die etwa Epilepsie-Anfälle kommen spüren oder solche für Diabetiker, eben mit Haltern, denen man die Erkrankung nicht ansieht. Es soll mehr Menschen geben, die nicht merkwürdig schauen oder mich beschimpfen, wenn ich mit meinem Hund einkaufen gehe oder zum Arzt.« Ein Rollstuhlfahrer werde auch nicht komisch angeschaut oder es werde von ihm verlangt, dass er den Rollstuhl für den Arztbesuch zu Hause lässt. »Meine Assistenzhündin ist im übertragenen Sinne mein Rollstuhl.«
Die Kenndecke zeigt an, dass hier ein Assistenzhund im Dienst ist, nicht angesprochen, gestreichelt oder anders abgelenkt werden soll. Denn in »Uniform« schaltet »Layla« auf Arbeitsmodus um, konzentriert sich ganz auf Frauchen, ist so intensiv bei der Sache, dass sie nach Dienst müde in ihr Körbchen sinkt. Für Nadine Reuter ist klar: »Ohne Layla geht gar nichts«, sie habe ihr wieder zu mehr Selbstständigkeit und Lebensfreude verholfen. Geholfen hat seit 2012 eine Therapie. Sie bewirkt Stabilität und dass sie die Persönlichkeitsanteile akzeptiert.
Früher, im Job bei der Bundesbehörde Deutscher Wetterdienst, habe sie alles »weggedrückt«. Ihr wurde in der Therapie nun gezeigt, wie sie eine Tagesstruktur schafft, lernte, sich Zeit für die anderen Anteile zu nehmen, sodass in der Öffentlichkeit nur die wahre Nadine zum Zug kommt. Damit alles im Lot bleibt, braucht es eben jenes kleine Wesen, 28 Zentimeter hoch, drei Kilo leicht, das für seinen Menschen Großes leistet, jeden Tag.