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Musiknotenmarkt unter Druck

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Der deutsche Musiknotenmarkt hat eine jahrhundertealte Tradition. © DPA Deutsche Presseagentur

Der deutsche Musiknotenmarkt hat eine jahrhundertealte Tradition und weltweites Renommee. Ähnlich wie der weitaus größere Buchmarkt ist er ebenfalls unter den Druck von Internet, Corona, Krieg und Inflation geraten. Der Vizepräsident des fast 200 Jahre alten Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV), Clemens Scheuch, geht beim Notenmarkt für Klassische Musik von einem Umsatzminus von 30 bis 60 Prozent seit 2019 aus.

»Es ist zu befürchten, dass nächstes Jahr einige Verlage schließen müssen«, sagt er.

Scheuch beziffert den Umsatz mit Noten auf gut 93 Millionen Euro im Jahr 2019. Jüngere Branchenzahlen liegen ihm noch nicht vor. Der Buchmarkt erlöste im selben Jahr rund 9,3 Milliarden Euro. Rund 350 Musikverlage gebe es in Deutschland - wenige große, viele kleine. »Nur ein bis zwei Handvoll reißen überhaupt die Zehn-Millionen-Euro-Grenze beim Jahresumsatz«, sagt der DMV-Vizepräsident, der auch den Bärenreiter Verlag in Kassel leitet. Dieser feiert 2023 sein 100-jähriges Bestehen.

Im Land von Bach, Beethoven und Brahms hat die traditionsreiche Branche weltweit ein Alleinstellungsmerkmal. Bärenreiter-Sprecher Johannes Mundry sagt: »Das Musikverlagswesen ist eine deutsche Erfindung.« Außer in England, Frankreich und den USA gebe es nirgendwo mehr viele Musikverlage. Das Auslandsgeschäft sei einfach für die Branche: »Für die »Zauberflöte« können Sie in Sydney die gleichen Noten verwenden.«

Bereits 252 Jahre alt ist der deutsche Marktführer Schott Music in Mainz. Prokuristin Christiane Albiez betont: »Die Pandemie hat das Musikleben bis ins Mark erschüttert.« Konzertverbote »ließen unsere Einnahmen von einem Tag auf den anderen einbrechen«. Viele Monate Kurzarbeit bei Schott hätten die Herausgabe neuer Titel gedämpft.

»Bisher unvorstellbare Preiserhöhungen« infolge des Ukraine-Krieges etwa für Energie, Papier und Verpackungen kommen laut Albiez hinzu. Die hohe Inflation sorge auch für Kaufzurückhaltung bei Musiknoten. Zudem kehre das Publikum für Konzerte und Opern nur langsam zurück. Albiez ergänzt aber mit Blick auf die Entspannung bei Corona: »Irgendwann reicht’s, dann wollen die Menschen wieder inspiriert, unterhalten, von live gespielter Musik begeistert werden.« Schott habe die Pandemie genutzt, um den Online-Shop komplett zu überarbeiten und noch mehr Titel zum Download anzubieten. Rund 30 000 Notenausgaben gebe es hier inzwischen.

Die Zahl der traditionellen Handelspartner, der inhabergeführten Musikalienhandlungen, ist dagegen gewaltig gesunken. Bärenreiter-Sprecher Mundry sagt: »In Frankfurt und Kassel kenne ich gar keine mehr und in Wiesbaden nur noch eine. Viele andere deutschen Großstädte haben auch keine mehr.«

Orchestermusiker und das Tablet

Insgesamt haben die Musikverlage nur langsam auf das Internet reagiert. Dort gibt es auch illegale Notenangebote. Schott-Prokuristin Albiez betont: »Wir gehen gegen Rechtsverstöße vor.« An die Anbieter digitaler Noten weit weg im Ausland ist indes nicht immer leicht heranzukommen. Etliche Noten gibt es aber kostenlos und legal im Netz. Für die Urheberrechte gilt zwar eine 70-jährige Frist. Viele Komponisten sind aber schon länger tot. Das Internetportal imslp.org bietet Hunderttausende Stücke, oft Scans alter Notenausgaben, entweder gratis - oder mit einer kostenpflichtigen Mitgliedschaft. Scheuch sagt: »Für Hobbymusiker sind diese Gratisangebote wunderbar. Aber Profis wollen Ausgaben mit dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, die kaufen eher Noten.« Entweder als Papierausgabe oder als Download, beides oft mit Einführungen. Laut Albiez bevorzugen kleinere Ensembles und Solisten häufig Noten auf dem Tablet, im Jazz und Pop ohnehin. Profi-Orchester dagegen wünschten »meist physische Noten - das ändert sich langsamer, als wir erwartet haben.« Manche Orchestermusiker blättern bei Tablet-Noten mit Fußpedalen - eine Vereinfachung. Scheuch betont aber, dass Papiernoten absturzsicher sind. Das ist bei Konzerten besonders wichtig. DPA

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