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»Mit der Pflege überfordert«

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Kassel - Es war eine Aussage, die unter die Haut ging: Wohl aus Überforderung hat ein 71-Jähriger aus dem Werra-Meißner-Kreis seine schwer kranke pflegebedürftige Ehefrau getötet. Zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Kassel gab der Mann zu, die damals 76-Jährige im August 2021 in der gemeinsamen Wohnung mit einem Kissen erstickt zu haben. Danach habe er den gemeinsamen Hund getötet und versucht, sich selbst das Leben zu nehmen.

Der Rentner muss sich wegen Totschlags vor dem Landgericht Kassel verantworten. Seine bettlägerige Ehefrau litt unter anderem an Diabetes und Demenz. Sie war wenige Tage vor der Tat als Pflegefall aus der Klinik in die Wohnung zurückgekehrt. Das Paar habe sich einst versprochen, den Partner zu Hause zu pflegen und nicht in ein Pflegeheim zu geben, schilderte der Angeklagte. »Dieses Versprechen konnte ich einhalten.«

Die Situation sei aber schlimmer gewesen als erwartet. Seine Frau habe unter anderem die Nahrungsaufnahme verweigert, ihm Essen aus der Hand geschlagen und Tabletten wieder ausgespuckt. Sie habe ihn beschimpft, ihre Windeln zerrissen, Kathederbeutel und Bettzeug weggeschmissen, schilderte der Mann. Schlaf sei nur stundenweise möglich gewesen. Das alles habe ihm aber nichts ausgemacht, betonte der einstige Busfahrer. »Das habe ich aus Liebe gemacht.« Unerträglich sei allerdings gewesen, dass seine Frau Tag und Nacht gesagt habe, sie wolle zu ihrer Mutter und der gemeinsame Hund komme mit. »Da ist mir irgendwie die Sicherung durchgeknallt.« Am Abend der Tat habe sie wieder damit angefangen. Da habe er ihr ein Kissen auf das Gesicht gedrückt und sie erstickt. Anschließend habe er den Hund mit einer Plastiktüte erstickt und ihn zu seiner Frau ins Bett gelegt. »Er war ihr Ein und Alles.« Er habe seine tote Frau noch einmal in den Arm genommen und sie geküsst, so der Angeklagte. »Ich habe zu ihr gesagt: ›Mäuschen, jetzt bist du bei deiner Mama.‹« Dann habe er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Das Messer sei aber zu stumpf gewesen. Er habe sich daher vier oder sechs Ampullen Insulin seiner Frau gespritzt. Das alles sei spontan passiert.

Eine Mitarbeiterin eines Pflegedienstes konnte den Mann nicht erreichen und verständigte die Polizei. Die Beamten fanden die leblose Frau und den Mann, der gerettet werden konnte. Bereits in der Klinik habe er die Tat gestanden, berichteten zwei Kriminalpolizisten. »Ich weiß nicht, was ich machen soll ohne sie«, sagte der 71-Jährige gestern unter Tränen. Seine Frau und er seien seit 50 Jahren ein Paar gewesen. Ein Urteil könnte am 9. Mai fallen. dpa

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