»Mir ist erst mal die Luft weggeblieben«

Dreieich - Auch einige Tage danach ist für Sven Bertog immer noch schwer zu begreifen, was ihm in der Silvesternacht widerfahren ist. Der Sprendlinger ist einer von zwei Feuerwehrleuten, die von einem betrunkenen 19-Jährigen in Dreieich mit Reizgas attackiert wurden. Beide mussten nach dem Angriff im Krankenhaus ambulant behandelt werden.
Ein Pflaster an der Stirn ist das sichtbare Zeichen nach einer Nacht, die Sven Bertog niemals vergessen wird. »Für mich ist das immer noch unerklärlich«, sagt der 39-Jährige, der seit 27 Jahren Mitglied der Feuerwehr Dreieich ist und seinen Dienst ehrenamtlich verrichtet. Der verheiratete Familienvater kommt mit einem kleinen Einsatzfahrzeug gegen 1.45 Uhr aus Offenthal, wo es einen Brand zu löschen gab, und will zurück in die Feuerwache. Schon auf dem Weg nach Offenthal werden Fahrzeuge der Einsatzkräfte mit Raketen beschossen und mit Flaschen beworfen. Auf dem Rückweg erlebt der stellvertretende Wehrführer der Sprendlinger Feuerwehr eine Situation, die ihm noch eine Weile zu schaffen machen wird. Er wird - allein im Fahrzeug - zu einer Vollbremsung gezwungen, weil ein junger Mann vors Auto springt. Bertog beugt sich auf die Beifahrerseite, kurbelt die Scheibe runter und fragt, ob er helfen kann. Daraufhin sprüht ihm der Täter Reizgas ins Gesicht. Der ist nicht allein, sondern gehört zu einer Gruppe von fünf oder sechs Leuten.
Schock für Familie
»Mir ist erst mal die Luft weggeblieben, ich konnte kaum sprechen und fast nichts sehen«, schildert das Opfer. Dennoch gelingt es Bertog, mit dem Auto weiterzufahren, denn er will aus der Gefahrenzone. Auch schafft es der Feuerwehrmann, einen Notruf abzusetzen. Kurz darauf sind Kollegen, Polizei und Rettungssanitäter vor Ort, die Erste Hilfe leisten. Beim Anblick der herannahenden Einsatzkräfte ergreift der Täter die Flucht und attackiert dabei einen weiteren Feuerwehrmann mit Reizgas. Im Rahmen der Fahndung schnappt die Polizei den Flüchtigen und nimmt ihn vorübergehend fest. Mehrere Zeugen identifizieren den 19-Jährigen, der 1,6 Promille Alkohol im Blut gehabt haben soll. Ihn erwartet jetzt ein Verfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung.
Ein Schock ist das Ereignis auch für seine Familie. »Meine Tochter hat den ganzen Morgen geweint, als sie es erfahren hat«, sagt der Sprendlinger. An seiner Motivation, als Feuerwehrmann für andere da zu sein und im besten Fall Leben zu retten, werde sich jedoch nichts ändern. »Wir machen unsere Arbeit aus Überzeugung«, ergänzt Stadtbrandinspektor Markus Tillmann. Er ist seit mehr als 40 Jahren im Geschäft, »aber das ist eine neue Stufe der Eskalation«. Fahrzeuge seien mit Absicht beschossen, Menschen mutwillig verletzt worden. Aber: »Das ist eine absolute Minderheit, 99,999 Prozent der Bevölkerung wertschätzen unsere Arbeit«, sagt Tillmann. Der Feuerwehrchef hält nichts von einem Böllerverbot, weil es auch die träfe, die sich an die Vorgaben hielten. Frank Mahn