Klimaprotest mit Klebstoff
Erneut stoppen Klima-Aktivisten der Gruppe »Letzte Generation« vorübergehend den Verkehr an mehreren Stellen in und um Frankfurt. Der Widerstand ist für sie ein notwendiger Schritt, um Gehör zu finden - und die Main- metropole der passende Ort des Protests.
Dicht an der Hand des Aktivisten rollt ein Lastwagen vorbei. Ob ihm das Angst mache? Viel mehr Angst habe er, wenn er daran denke, was drohe, wenn nicht endlich effektive Maßnahmen gegen die Klimakrise ergriffen würden, sagt der junge Mann. Wie ein weiterer Aktivist der Gruppe »Letzte Generation« hat er seine Handfläche am Mittwochmorgen auf eine Autobahnabfahrt am Verkehrsknotenpunkt Kaiserlei geklebt.
Die Polizei ist mit mehr als 30 Beamten vor Ort, auch, um den Verkehr umzuleiten. Die meisten Autofahrer warten diszipliniert. Doch einem Mann in einem Lieferwagen platzt der Kragen: »Geht was arbeiten!«, ruft er erbost in Richtung der Aktivisten. Er habe 36 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt, stellt einer von ihnen daraufhin klar. »Nächste Woche gehe ich wieder arbeiten.« Er ist eigens aus Lübeck angereist. Für ihn geht es um die Zukunft des Planeten und der Menschheit.
Die Gruppe fordert den Stopp des Ausbaus und der Finanzierung fossiler Infrastrukturprojekte. Dafür geht sie in verschiedenen Städten auf die Straße. Der Kreis der Aktivistinnen und Aktivisten sei komplett unterschiedlich und total divers. »Wir haben Mütter und Väter, wir haben Studierende und Senioren«, sagt die Sprecherin der »Letzten Generation«. Da sei beispielsweise der 72-Jährige, der für seine acht Enkel mitmache.
Die Demonstrationen und Petitionen in den vergangenen Jahren hätten »uns leider nicht dahin geführt, wo wir heute stehen müssten«. Der jetzige Widerstand bedeute zwar »in gewissem Maß eine Grenzüberschreitung«. Aber: »Er kann auch dazu führen, dass uns die Bundesregierung nicht mehr ignorieren kann.« Warum wurde Frankfurt zuletzt zu einem Hauptort der Proteste? »Frankfurt ist das Herz von diesem fossilen Wahnsinn«, sagt die Sprecherin. »Mithilfe der Banken und der schützenden Hand des Staates fließt das Geld in die fossilen Projekte, und dieses Geld muss jetzt gestoppt werden.«
Unterdessen versucht die Polizei die Aktion am Kaiserlei möglichst schnell zu beenden. Mit großen Spritzen bringen die Beamten Lösungsmittel unter die festgeklebten Hände und lösen mit Holzspateln vorsichtig Finger für Finger vom Teer. Die zwei Männer und die Frau würden ins Präsidium gebracht, sagt ein Sprecher. Dort entscheide ein Richter, ob sie zur Verhinderung von Taten in Gewahrsam bleiben. Denn die Aktivisten haben angekündigt, weitermachen zu wollen.
An zwei anderen Stellen blockiert die »Letzte Generation« an diesem Morgen den Berufsverkehr in und um Frankfurt, Aktionen gab es schon an vier Tagen vergangener Woche - auch mit einer ölartigen Flüssigkeit auf der Fahrbahn, was mehrere Radfahrer zu Fall brachte. Fast 200 Menschen waren festgenommen worden, die Polizei ermittelt unter anderem wegen Nötigung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Körperverletzung und Sachbeschädigung. 30 Personen mussten über Ostern in Gewahrsam bleiben.
Ziviler Ungehorsam werde von denen, die ihn ausübten, als eine Verpflichtung empfunden, sagt Sozialwissenschaftler und Krisenforscher Stefan Kroll vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt. »Weil sie der Meinung sind: Wenn sie diesen an dem Punkt nicht ausüben, wäre das für unsere Gesellschaft und für unser politisches Gemeinwesen viel schädlicher.«
Eine Aktivistengruppe wie die »Letzte Generation« vollführt aus Sicht des Experten aber auch eine Gratwanderung, um eine breite ökologische Bewegung zu mobilisieren. »Es kommt darauf an, wie sie in der Gesamtgesellschaft wahrgenommen wird.« Ob sozusagen das Nerv-Potenzial überwiege oder eben doch das Bewusstsein dafür weiter gefördert werde, dass es eine Klimakrise gebe und Handlungsbedarf bestehe.