Kinderärzten fehlen Kapazitäten
Bundesweit häufen sich Berichte über zunehmende Atemwegsinfekte bei Kindern und überlastete Kliniken. Wie ist die Lage in Hessen? Und was raten Kinderärzte beunruhigten Eltern?
Fälle wie dieser schrecken auf: Ein kleines Kind aus dem Raum Frankfurt wird mit einem schweren Atemwegsinfekt von den Eltern zum kinderärztlichen Bereitschaftsdienst gebracht. Es soll sicherheitshalber in ein Krankenhaus - aber in Frankfurt ist nichts frei. Die Eltern werden nach Darmstadt geschickt - aber bis sie dort ankommen, ist das Bett von einem Notfall belegt. Sie werden weiterverwiesen nach Worms, wo das Kind bleiben kann.
Eine solche Odyssee sei selten, aber auch nicht die absolute Ausnahme, wie der Bad Homburger Kinderarzt Ralf Moebus berichtet, der Landesvorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Hessen. Das Kind, betont der Pädiater, war nicht sehr schwer krank. Wäre es in einem kritischen Zustand gewesen, wäre den Eltern die Irrfahrt vermutlich erspart geblieben. Dennoch machen sich aktuell viele Eltern Sorgen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte vergangene Woche bundesweit von einer starken Zunahme von Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) berichtet. Besonders Kinder bis vier Jahre würden immer häufiger deswegen in Krankenhäusern behandelt.
»Praxen und Kliniken am Limit«
Die Engpässe liegen nach Einschätzung von Pädiatern nicht an einer höheren Zahl von Betroffenen, sondern an weniger Kapazitäten in Praxen und Krankenhäusern. »Die Praxen und die Kliniken sind am Limit«, sagte Moebus. »Wir gehen personell am Stock.« Dass es sehr viel mehr Fälle von Kindern mit RSV gibt als in früheren Jahren, kann der Berufsverband zumindest für Hessen nicht bestätigen. »Wir haben keine andere Infekt-Situation als sonst, aber wir können weniger an Versorgung leisten«, sagte Moebus.
Der Ärztliche Direktor von Hessens größtem Krankenhaus bestätigt diesen Befund. »Aktuell ist die Lage auf den pädiatrischen Stationen angespannt«, sagte Prof. Jürgen Graf. »Das gilt sowohl für uns hier am Universitätsklinikum Frankfurt als auch für viele andere Kliniken in der Region, mit denen wir im Austausch sind.« Ursache seien hohe Infektionszahlen, etwa durch RSV oder Influenza, und eine gleichzeitig angespannte Personalsituation. »Zahlreiche Betten auf verschiedenen Stationen können derzeit nicht betrieben werden. Dadurch kann es zu Einschränkungen bei der Versorgung kommen.«
Am Clementine-Kinderhospital in Frankfurt sind derzeit 16 Kinder mit einer durch RS-Viren ausgelösten Bronchiolitis stationär in Behandlung. Dazukommen nach Angaben der Klinik viele ambulante Fälle. »Wir bewegen uns seit rund zwei Wochen an der Grenze unserer Behandlungskapazitäten«, sagte ein Sprecher der Klink. Die Klinken im Rhein-Main-Gebiet versuchen sich gegenseitig zu helfen: Im Falle akuter Engpässe nimmt das Clementine-Kinderhospital Patienten anderer Einrichtungen auf oder verlegt Kinder.
Noch prikärer im ländlichen Raum
Im ambulanten Sektor sei die Versorgungssituation auf dem Land besonders schlimm, sagte Moebus. Auch in ländlichen Kliniken gebe es weniger Personal - unter anderem weil es für Kinderärzte oft weniger attraktiv sei, dort zu arbeiten. Derzeit kämen leider viele Faktoren zusammen, sagte Moebus: Die Influenza-Welle habe früher eingesetzt, dazu kämen die RS-Viren. »Corona spielt zum Glück zurzeit eine vergleichsweise geringe Rolle.«
Das RS-Virus löst meist eine harmlose Atemwegsinfektion aus. Innerhalb des ersten Lebensjahres machen laut RKI normalerweise 50 bis 70 Prozent und bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nahezu 100 Prozent aller Kinder eine Infektion mit RSV durch. Bei kleinen Kindern, die zu einer Risikogruppe gehören, kann eine Infektion aber lebensbedrohlich werden. Dazu zählen Frühgeborene, Kinder mit Herzfehler oder Asthma.
Im schlimmsten Fall brauchen die Kinder einen Platz auf einer Intensivstation. Das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) führt für Hessen zehn Standorte auf. Dort scheint die Lage weniger angespannt zu sein als in anderen Bundesländern: Am Donnerstag zeigte das Divi-Register hier keine größeren Engpässe: In allen Kategorien stand die Ampel auf Grün oder Gelb (»verfügbar«, »begrenzt verfügbar«).
Kinderarzt Moebus rät Eltern, vor allem den Impfschutz ihrer Kinder im Auge zu haben. Sie sollten sich gegen Grippe, Pneumokokken, Corona und andere Erreger impfen lassen. Gegen das RS-Virus gibt es keinen Impfstoff, aber Risikopatienten können vorbeugend Antikörper bekommen. Das ist allerdings sehr teuer.