Kelten - oder doch Germanen?

Frankfurt - Die neue Ausstellung des Archäologischen Museums Frankfurt beginnt mit einem großen Fragezeichen. Das hat es sogar in den Titel geschafft, »Kelten in Hessen?« Warum aber überhaupt diese Frage, die scheinbar Selbstverständliches in Zweifel zieht - hierzulande gibt es doch Hinterlassenschaften dieses geheimnisvollen Volks in rauen Mengen, allein das Archäologische Museum besitzt Depots voller Funde, die teils sogar im Frankfurter Stadtgebiet gemacht wurden.
Ganz in der Nähe liegt das sogenannte Heidetränk-Oppidum, eine keltische Großstadt bei Oberursel samt touristischem »Keltenweg«, und der spektakuläre, vor einigen Jahren entdeckte »Keltenfürst vom Glauberg« lockt auch überregional viele Besucher in die Wetterau.
Und dennoch steht das Fragezeichen nicht grundlos am Anfang der Ausstellung, wie Museumsdirektor und Kurator Wolfgang David erklärt. »Es ist sehr, sehr kompliziert«, sagt er. »Kelten in Hessen, das muss man als ethnografischen Ordnungsbegriff sehen.« Offenbar war auch in der Wissenschaft der Wunsch groß, klare Grenzen zu ziehen.
Dürftige schriftliche Überlieferungen
Man mag heute das 19. Jahrhundert, in dem diese keltischen Kulturen archäologisch wiederentdeckt wurden, beneiden wegen all seiner Selbstverständlichkeiten, ja, seiner Selbstgerechtigkeit. Damals war die Sache klar: Die Deutschen lebten, wie beim antiken Schriftsteller Tacitus beschrieben, im Land der Germanen, die Franzosen im ehemaligen Siedlungsgebiet der Gallier und die Schweizer dort, wo vor mehr als 2000 Jahren das antike Volk der Helvetier siedelte - das schweizerische Autokennzeichen CH beschwört heute noch die Confoederatio Helvetica. Man ahnt: Scheinbare historische Fakten untermauerten damals politische (Wahn-)Ideen, Grenzen, nationale Zugehörigkeiten - und auch im 21. Jahrhundert können Eroberungskriege und Grenzziehungen mit angeblich geschichtlich verbrieften Rechten untermauert werden. Die schriftlichen Überlieferungen zu »den« Kelten sind jedoch weit dürftiger, als es allgemein scheint. Alle antiken Berichte stammen von den Nachbarn der Kelten, den griechischen und römischen Invasoren und deren Historikern. Für die waren die Völker jenseits der Grenzen wahlweise Skythen, Kelten oder auch Germanen, die Begriffe sind oft austauschbar oder werden als Synonym benutzt. Für das heutige Hessen ist von den Chatten die Rede, einem eigentlich »germanischen« Stamm, wenn diese Bezeichnung denn da passt. Die Menschen, die vor der römischen Eroberung hierzulande lebten, haben nur hinterlassen, was die Archäologie wiederentdeckte - eine der ältesten dokumentierten Ausgrabungen war bereits 1728 auf der Königsheide im Frankfurter Stadtwald.
Funde aus Etruskerstadt Vulci
Die Schau profitiert von den guten Kontakten des Museums nach Italien und in die Schweiz und zeigt neben Funden aus Hessen auch interessante Vergleichsstücke aus der Etruskerstadt Vulci und vom Neuenburger See, außerdem einen Münzschatz, den Raubgräber Anfang der 1990er Jahre im Heidetränk-Oppidum entdeckten und der von weiten Handelsbeziehungen dieser Kultur erzählen kann.
Am Ende der Schau steht dann allerdings doch noch mal »Kelten in Hessen« - diesmal mit einem Ausrufezeichen. Andreas Hartmann