1. Gießener Allgemeine
  2. Hessen

Kann denn Lotte beide lieben?

Erstellt:

Kommentare

wzXL_LotteMusicalPremier_4c
Ein Bild aus noch glücklichen Tagen … Lotte mit Albert (l.) und Werther (r.). © Red

Wetzlar - Klassische Beziehungskiste, würden wir heute sagen. Eine Frau, zwei Männer - oh, oh. Wen liebt sie? Eigentlich beide. Jeden auf seine Art. Aber das amouröse Dreigestirn stürzt ab. Und am Ende ist Lotte es, die - anders als im Original - zur Pistole greift. Selbst ist die Frau: Anstatt sich mit Schuldgefühlen ein Leben lang zu strafen, greift sie lieber selbst zur Knarre.

Und tötet damit nicht nur Werther, sondern auch ihre eigenen Gefühle. Ein grandioser Auftakt im Lottehof Wetzlar am Freitagabend: »Lotte - ein Wetzlarer Musical« am historischen Ort der legendären Liebesbeziehung. Ein rauschender Sommerabend, dramatische Gefühle, super Musik - und 400 Gäste, die aus dem Schwärmen nicht rauskommen.

Es gibt nichts Schöneres für Lotte und Werther als den Lottehof! Was für ein Ambiente! Was soll »Goethe!« da eigentlich in Bad Hersfeld? Der gehört doch an den »Tatort« nach Wetzlar. Und in dieses Kleinod in der Wetzlarer Altstadt, mit dem Verwalterhaus, den großen Kastanien, dem Kopfsteinpflaster. Das ist Kulisse genug. Nun schon zum dritten Mal nach 2015 und 2016. Hoffentlich öfter. Klammer auf: Auch wenn in keinem Satz über dieses vermuffte Städtchen mit seinen spießigen Kleinbürgern das beliebte »Wetzlar-Bashing« fehlen darf (»Wer will schon nach Wetzlar?«). Das sorgt immer wieder für eine Prise Humor und Lokalkolorit in einer ansonsten großen und großartigen Geschichte. Die ist so alt wie modern zugleich und kann nur von einem Thema handeln: von der Liebe. Sturm und Drang in Höchstform mit Pamina Lenn als Lotte, Patrick Adrian Stamme als Werther und David Wehle als Albert. Wer steht hier im Mittelpunkt? Wenn man es am Applaus misst: Lotte. So soll es nach dem Buch von Kevin Schroeder und der Regie von Christoph Drewitz sein. Ist es auch. Lotte steuert maßgeblich den Lauf des Geschehens. Sie ist Mittelpunkt der Familie, kümmert sich um die Kinder, sie zieht die Liebhaber in den Bann.

Lotte pendelt zwischen Tradition und Freigeist, bekennt sich zur Liebe beider Männer und willigt dann doch in die Hochzeit mit Albert ein. Sie ist es, die Spannung auslöst, an der Nähe oder Distanz zu ihr hängt alles. Dass sie auf dem Höhepunkt des Dramas zuerst Werthers Selbstmord abwenden will, dann droht, sich und ihn zu erschießen, und schließlich Werther umbringt, macht auch ihre Zerrissenheit klar. Und Werther? Anders als in Goethes Meisterwerk wird er zur Randfigur. Empfindsam, wie er halt ist, liebt er Lotte abgrundtief, wird fast wahnsinnig vor unkontrollierter Zuneigung. Und dann Albert. So einen emotionslosen Ledertaschen-Träger muss man erst einmal auf die Bühne bringen, wie David Wehle das macht. Er duldet den Zugang Werthers zu Lotte. Sein Nebenbuhler ist gleichzeitig sein Freund. Ambivalent. Erfrischend, dass bei so viel Drama Eva Maria Bender, Ekaterini Tsapanidou und Tobias Weis als Kinder, Pfarrer, Cousinen oder Gaukler gekonnt durch die Szene purzeln, um mit Witz die Spannungen aufzulockern. Sehr einfühlsam unterstützt von einer Musik von Marian Lux und der Band unter der Leitung von Dominik Franke. Der Lotte-Auftakt lässt das Beste erwarten für die Aufführungen bis zum 4. September. Uwe Röndigs

Auch interessant

Kommentare