Junge Eber sind arme Schweine
20 Millionen Ferkel werden hierzulande jedes Jahr kastriert, weil sich ihr Fleisch dann besser verkaufen lässt. Bald darf das nicht mehr ohne Betäubung geschehen. Die neue Regelung sorgt für überraschend viel Zündstoff. Laut heimischen Tierärzten kommt indes nur eine Methode der Kastration infrage.
Sieben Tage nach ihrer Geburt sind männliche Ferkel auf landwirtschaftlichen Höfen auch in Hessen ganz arme Schweine: Der Bauer setzt sie dann in ein Gestell oder packt sie an den Hinterläufen. Mit einer Zange quetscht er den Samenstrang ab und schneidet mit einem Skalpell die Hoden heraus. Das junge Tier wird dabei in der Regel nicht betäubt. Dies geschieht jedes Jahr mit 20 Millionen Ferkeln in Deutschland. Hintergrund: Das Fleisch eines nicht kastrierten Ebers kann einen strengen Geruch verströmen. Zudem ist es für die Betriebe aufwendiger, geschlechtsreife Eber zu halten. Ab kommendem Jahr gibt es eine neue gesetzliche Regelung. Wie Ferkel künftig kastriert werden, ist damit aber längst nicht klar.
? Was soll sich bei der Ferkelkastration ändern, wie ist die gesetzliche Lage?
Der Bundestag hat 2013 die Kastration von unter acht Tage alten männlichen Schweinen gesetzlich neu geregelt. Er verbot die »betäubungslose Ferkelkastration«, gewährte den Züchtern aber eine Frist bis Januar 2019, um schmerzfreie Methoden testen zu können.
? Welchen Weg wünschen sich die Landwirte und Schweinezüchter?
»Es gibt viele Wege der Ferkelkastration. Der Weg muss aber für die Schweinezüchter begehbar sein«, hält Thomas Fögen von der Abteilung für Landwirtschaftliche Unternehmensberatung des Hessischen Bauernverbands fest. Die einzige Lösung sei der sogenannte »vierte Weg«: die lokale Betäubung, um männliche Ferkel möglichst schmerzfrei zu kastrieren. Nach aktueller gesetzlicher Lage bekämen die Landwirte die Narkosemittel allerdings nicht selbst in die Hand, Tiermediziner müssten die Betäubung vornehmen. »Das würde die Kosten nach oben treiben«, sagt Fögen. »Schweinezüchter wären dann im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig.« Landwirtschaftlichen Betrieben werde es durch politische Rahmenbedingungen zunehmend schwer gemacht. Fögen spricht von einer »Hexenjagd«.
? Für welche Methode der Kastration sprechen sich Tierärzte aus?
Die Gießener Veterinärmedizinerin Prof. Sabine Tacke plädiert für die Immunokastration – also per Impfung. Die Arznei Improvac bewirkt dabei eine Täuschung des Hormonsystems, nach der zweiten Impfung bilden sich die Hoden des Ebers zurück. »Das Risiko für die Tiere ist gegen null«, sagt Tacke. Naturland, ein Ökozertifizierer, erlaubt seinen Landwirten bereits den Einsatz von Improvac. Derart hergestelltes Fleisch landet unter anderem in den Biokühlregalen der Supermarktkette Rewe, auch Aldi akzeptiert Fleisch von geimpften Tieren. Die Fleischbranche fürchtet derweil negative Reaktionen der Kunden: Derart behandeltes Fleisch könnte bei den Verbrauchern auf Skepsis stoßen.
? Was sagen Veterinärmediziner zu den Befürchtungen?
»Immunokastration ist keine hormonelle Behandlung«, betont der Gießener Tiermediziner Prof. Gerald Reiner. »Eigentlich sollte der aufgeklärte Verbraucher den Unterschied zwischen einer Impfung und dem Einsatz eines Hormons verstehen.« Seine Kollege in Tacke, Mitbegründerin der Initiative »Tiermedizinische Schmerztherapie«, betont, Improvac sei »die einzige tierschutzgerechte Methode«. Sie sagt: »Uns geht es primär um den Tierschutz, uns geht es um das Ferkel.« Bei den anderen Methoden der Kastration sei die Stresssituation für die Ferkel zu hoch. Gleichzeitig äußert sie Verständnis für die Probleme der Landwirte. »Wir können es ganz einfach herunterbrechen«, sagt sie. »Fleisch muss teurer werden.« Hier liege ein Kern der Problematik: »Wir wollen Tierschutz betreiben, aber er darf nichts kosten.«
? Was sagen Tiermediziner zur Kastration per lokaler Betäubung?
Um den Hoden vor dem Abtrennen lokal zu betäuben, muss das Narkosemittel in den Samenstrang oder die Hoden gespritzt werden. »Das wäre sehr schmerzhaft für die Ferkel«, betont Tacke. »Auch das zweimalige Herausfangen der Tiere aus der Gruppe und das Festhalten bei der Betäubung sind für sie extremer Stress.« Sie spricht sich außerdem dagegen aus, Landwirten Medikamente für Lokalanästhesie zu überlassen. Sie befürchtet: »Die nimmt der Bauer dann auch in anderen Fällen, um Tiere zu behandeln.«
? Welche weiteren Alternativen werden diskutiert?
Eine Alternative könnte die Jungebermast sein. Dabei verzichtet man ganz auf eine Kastration. Allerdings gilt das Halten von nicht kastrierten männlichen Masttieren als schwierig – sie reagieren mitunter aggressiver als kastrierte Tiere. Hinzukommen Geruchsprobleme. So kann das Fleisch von nicht kastrierten Ebern beim Erhitzen intensiv riechen. Ein weiteres Verfahren ist die Kastration unter Vollnarkose. Es wird von Tierschützern befürwortet, gilt jedoch als aufwendig. Eine Alternative ist außerdem die Inhalationsnarkose mit dem Gas Isofluran. Bei Ferkelerzeugern darf es in Deutschland nur von Tierärzten oder unter deren Aufsicht verabreicht werden. In der Schweiz, wo diese Methode entwickelt wurde, klagte allerdings jeder vierte befragte Landwirt nach dem Einsatz von Isofluran über Kopfschmerzen und Übelkeit. Tacke erklärt zudem: Studien zufolge sei diese Methode der Kastration für die Tiere in 14 bis 23 Prozent der Fälle nicht schmerzfrei. Eine genetische Veränderung, um das Stinken des Fleisches zu verhindern, werde in frühestens zehn Jahren möglich sein, schätzt Tacke. (Foto: dpa)