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Ministerpräsident Bouffier im Interview: So geht es mit Corona weiter in Hessen

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Von: Daniel Göbel, Petra Wettlaufer-Pohl

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Foto: Arne Dedert/dpa
Bouffier (CDU), Ministerpräsident des Landes Hessen © dpa

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gehört in der Corona-Krise zu den eher vorsichtigen Politikern. Wir sprachen mit ihm über den hessischen Weg, aber auch die Bundespolitik.

Herr Bouffier, wie schützen Sie sich vor Corona?

So wie die meisten anderen Menschen auch. Ich halte ausreichend Abstand zu anderen Personen und wo es geboten ist, trage ich auch eine Schutzmaske. Im privaten Bereich sind wir innerhalb der Familie zwar schon beieinander, aber wir versuchen, Vorsicht walten zu lassen. Ich würde zum Beispiel sehr gerne meine Mutter mal wieder in den Arm schließen, worauf wir momentan zum Schutz verzichten.

Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Das ist der Corona-Plan 

Wird Hessen weiterhin auf stufenweise Lockerungen der Maßnahmen setzen?

Wir bleiben bei dem stufenweisen Vorgehen, denn wir haben es mit einer Krankheit zu tun, die bis vor Kurzem niemand kannte. Wir wissen nicht, wie sie sich entwickeln wird. Wir haben keine Medikamente und wir haben keinen Impfstoff. Folglich sind wir in einer Situation, in der uns viele Gewissheiten fehlen. Trotzdem muss man einen Weg finden. Der besteht aus vielen harten Einschränkungen und Kontaktverboten. Dadurch haben wir aber etwas erreicht, auf das wir stolz sein können: Wir sind nie an den Punkt gekommen, wo unser Gesundheitssystem überlastet wurde. Es ist gelungen, einen sehr starken Anstieg der Infektionskurve so abzuflachen, dass wir die schrittweisen Lockerungen auch verantworten können.

Viele Menschen verstehen die Prioritäten der Politik nicht, etwa, wenn die Bundesliga wieder zum Laufen gebracht wird, es bei den Kitas hingegen dauert. Können Sie verstehen, dass dies zu großer Verärgerung führt?

Ja, das kann ich einerseits verstehen. Andererseits ist der Sachverhalt aber etwas komplexer. Wir wollten mit dem Wiederbeginn der Bundesliga keine millionenschweren Fußballer bevorzugen, sondern Vereinen, also Wirtschaftsunternehmen, die Möglichkeit geben, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können, wie andere Unternehmen auch. Bei den Kitas hat Sozialminister Klose jetzt gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden ein Konzept vorgestellt, dass ab 2. Juni wieder ein sogenannter „Eingeschränkter Regelbetrieb“ auf den Weg gebracht wird. Das Konzept sieht vor, dass die Notbetreuung fortgeführt wird. Die weiter verbleibenden Plätze sollen unter Regie der jeweiligen Jugendämter vergeben werden. Eingeschränkt ist der Regelbetrieb deshalb, weil wohl nicht alle Erzieherinnen und Erzieher zur Verfügung stehen werden; dafür können aber die Gruppengrößen flexibel gestaltet werden.

Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Corona und Schwimmbäder

Die Sommerferien rücken näher. Werden die Schwimmbäder pünktlich wieder öffnen können?

Wir haben mit den kommunalen Trägern vereinbart, dass wir in dieser Frage bis Mitte Juni zu einer Entscheidung kommen. Dazu wird gerade ein Konzept mit umfassenden Hygieneauflagen erarbeitet. Unser Ziel ist, dass die Schwimmbäder spätestens bis zu den Sommerferien wieder mit Einschränkungen öffnen können.

Die Kritik an den Coronaeinschränkungen nimmt zu. Auf Demonstrationen treffen Corona-Kritiker auf Verschwörungstheoretiker. Besorgt Sie diese Entwicklung?

Man muss sich immer vor Augen halten, dass wir innerhalb kürzester Zeit wesentliche Grundrechte eingeschränkt haben – mit gutem Grund. Wir müssen aber auch stets prüfen, inwieweit diese Einschränkungen noch verhältnismäßig sind. Das hat natürlich wesentlich mit der aktuellen Situation der Pandemie zu tun. Mein Eindruck ist, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor zu den getroffenen Entscheidungen steht. Unter den Gegnern sind neben Verschwörungstheoretikern auch Menschen, deren Anliegen man ernst nehmen muss. Menschen, die Sorgen um ihre Existenz haben und uns die Frage stellen, warum wir sie nicht arbeiten lassen. An der Stelle geht es dann wieder darum zu erklären, warum wir bestimmte Entscheidungen treffen. Ich kann nicht erwarten, dass die Menschen alle Entscheidungen gut finden. Aber ich mache mitunter auch die Erfahrung, dass viele Kritiker unsere Entscheidungen zumindest nachvollziehen können, wenn wir sie erklären.

Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Corona-Hilfen des Landes 

Die Wirtschaft wird mit milliardenschweren Hilfen unterstützt. Halten die Staats- und Sozialkassen das noch lange aus?

Sämtliche Wirtschaftsinstitute erklären uns, dass wir es mit dem größten wirtschaftlichen Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben. Unser leider verstorbener Finanzminister Dr. Thomas Schäfer sagte, dass wir vor einer Jahrhundertaufgabe stehen. Damit hatte er völlig recht. Das kann man nicht im Rahmen eines normalen Haushalts angehen. Also brauchen wir Wege, um dieser Situation gerecht zu werden. Jetzt muss es darum gehen, dass wir wichtige Strukturen erhalten. Dann müssen wir dort investieren, wo wir für die Zukunft besonderen Bedarf sehen, um damit wieder die Wirtschaft anzukurbeln. Deshalb bin ich überzeugt, dass uns die wirtschaftlichen Auswirkungen noch lange Zeit beschäftigen werden.

Die Kommunen stehen vor finanziellen Herausforderungen. Warum haben Sie den Vorschlag von Bundesfinanzminister Scholz, die Kommunen zu entschulden, scharf kritisiert?

Ein Programm zu verkünden, von dem die Länder die Hälfte bezahlen sollen, ohne uns vorher gefragt zu haben, ist ein unsäglicher Stil. Wenn ich etwas erreichen möchte, bei dem ich die Hilfe anderer benötige, dann kann ich zwar eine Schlagzeile produzieren. Wenn ich aber mit den anderen nicht vorher spreche, wie man das eventuell hinbekommen kann, ist doch der Weg von vornherein ziemlich versperrt. Sachlich ist es auch der falsche Ansatz: Wenn man die Altschulden der Kommunen tilgt, bringt ihnen das kein Geld – für das jetzt Notwendige. Die Kommunen brauchen dauerhaft mehr planbare Einnahmen. Deshalb diskutieren wir beispielsweise über die Gewerbesteuer. Wir haben in Hessen zudem die Kommunen bereits entschuldet, was in anderen Ländern nicht der Fall war. Wenn wir jetzt für andere mitbezahlen sollen, dann haben wir für Hessen einen groben Nachteil. Es kann nicht sein, dass wir uns anstrengen und dafür anschließend noch zusätzlich zur Kasse gebeten werden.

Corona in Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Aussprache mit Söder 

Die Krise ist auch eine Bewährungsprobe für die möglichen Kanzlerkandidaten der Union. Wann werden Sie sich für Markus Söder aussprechen?

Guter Versuch. Aber das spielt derzeit überhaupt keine Rolle in unseren Diskussionen. Wir müssen jetzt die Probleme lösen, die sich uns durch Corona stellen. Alles Weitere werden wir besprechen, wenn wir unseren Parteitag haben. Ich gehe im Übrigen nicht davon aus, dass es ein Sonderparteitag wird, das würde zeitlich keinen Sinn machen.

Welchen Einschnitt hinterlässt der Tod von Thomas Schäfer, der ja als ihr Kronprinz galt?

Wir tragen alle schwer daran, dass Thomas Schäfer nicht mehr unter uns ist. Das ist ein Verlust für das Land, für die CDU und ein sehr persönlicher Verlust für diejenigen, die ihn wie ich seit Jugendtagen kannten. Deshalb können wir jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und spekulieren. Wir wollen uns angemessen an Thomas Schäfer erinnern und dankbar sein, für das, was er alles geleistet hat.

Corona in Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Ermittlungspannen beim Fall Walter Lübcke

Vor Corona haben andere Themen die Menschen bewegt, etwa ein Untersuchungsausschuss zu möglichen Behördenpannen im Mordfall Walter Lübcke. Wie geht es da weiter?

Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist zunächst einmal Sache des Parlaments, nicht der Regierung. Der Todestag von Walter Lübcke steht am 2. Juni bevor. Bei allem politischen Streit hoffe ich, dass Walter Lübcke nicht als Mittel zum Zweck für politische Auseinandersetzungen missbraucht wird. Zwei Dinge muss man zudem unterscheiden: Juristische und strafrechtliche Aufarbeitung obliegt dem Gericht, welches bald Anklage erheben wird. Das andere ist eine politische Diskussion über die Frage der Verhältnisse. Da möchte ich nicht vorgreifen. Die Hessische Landesregierung hat aber aus meiner Sicht nichts zu verbergen.

Hessen - Interview mit Ministerpräsident Volker Bouffier: Zur Person

Volker Bouffier (68) ist seit August 2010 hessischer Ministerpräsident. Zuvor war der gebürtige Gießener, der in seiner Heimatstadt Jura studiert hatte und zunächst als Anwalt tätig war, elf Jahre Innenminister in den Kabinetten von Roland Koch. 1987 bis 1991 hatte er der von Walter Wallmann (CDU) geführten Landesregierung als Justiz-Staatssekretär angehört. Er wurde bereits 1982 erstmals in den Landtag gewählt. 2012 geriet Bouffier bei der Aufklärung der NSU-Morde als seinerzeit für den Verfassungsschutz zuständiger Minister heftig in die Kritik. 

2013 schmiedete er mit Tarek Al-Wazir das erste schwarz-grüne Bündnis in Hessen, das 2018 erneuert wurde. Als Ministerpräsident änderte Bouffier sein Image vom einst „harter Hund“ zum kompromissfähigen Landesvater. Bouffier, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist, ist verheiratet und hat drei Kinder. Er lebt nach wie vor in Gießen. Im vergangenen Jahr überstand er erfolgreich eine Krebserkrankung.

Von Petra Wettlaufer-Pohl und Daniel Göbel

Video: Spahn und Bouffier missachten die eigenen Corona-Regeln

Auch im Jahr 2019 gab Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen, der HNA ein Interview. Dabei ging es um das Thema Hasskommentare im Netz.

Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident in Hessen, beendete die Reha nach seiner Krebsbehandlung nahm daraufhin im Jahr 2019 in der Wiesbadener Staatskanzlei seine Arbeit wieder auf.

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