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Haus des Kannibalen von Rotenburg abgebrannt: Anwohner in Wüstefeld hoffen auf Ruhe

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Von: Carolin Eberth, Clemens Herwig, Christopher Ziermann

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Das Haus des als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt gewordenen Armin Meiwes in Wüstefeld ist in der Nacht zu Montag abgebrannt.

Rotenburg – Die Tat des heute 61-Jährigen hatte im Dezember 2002 weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Sichtbares Überbleibsel war bis zum frühen Montagmorgen (17. April) das Wohnhaus, in dem der Rotenburger einen Mann getötet und zu Teilen verspeist hat. Am frühen Nachmittag waren nur noch verkohlte Trümmer übrig.

Als die Rotenburger Feuerwehren gegen 3.30 Uhr am Einsatzort eintrafen, brannte das Haus laut Stadtbrandinspektor Jörg Fleischhut bereits „in voller Ausdehnung“. Schnell war klar, dass den 80 Einsatzkräften nichts anderes übrig blieb, als das Haus kontrolliert abbrennen zu lassen. Ob es sich tatsächlich um Brandstiftung handelt, ließe sich noch nicht mit Sicherheit sagen, heißt es von der Polizei. Umfangreiche Ermittlungen waren zunächst nicht möglich, da das Löschen Vorrang hatte. Den Schaden schätzt die Polizei auf einen niedrigen sechsstelligen Betrag. Personen seien nicht verletzt worden.

Nicht mehr zu retten: Die Flammen schlagen bereits aus dem Dach, als die Einsatzkräfte in Wüstefeld eintreffen.
Nicht mehr zu retten: Die Flammen schlagen bereits aus dem Dach, als die Einsatzkräfte in Wüstefeld eintreffen. © TVnews-Hessen

Kannibale von Rotenburg: Meiwes erfährt im Gefängnis von Brand

Es ist nicht das erste Mal, dass in dem Fachwerkhaus die Flammen hochschlagen: Unter anderem sei vor rund zehn Jahren die Küche abgebrannt, sagt der Rotenburger Rechtsanwalt Harald Ermel. Er hatte Meiwes bereits im Mordprozess vertreten, nachdem dieser einen 43-Jährigen aus Berlin, den er über das Internet kennengelernt hatte, mit dessen Einverständnis getötet und Teile von ihm aufgegessen hatte. Nun sei der Strom im Haus seit Jahren abgeschaltet. Ermel telefonierte am Montagnachmittag mit seinem Mandanten, um ihn über den Brand zu informieren. Dieser hatte im Gefängnis aber bereits davon erfahren.

Meiwes sei in einer „ruhigen und gefassten Stimmung“ gewesen, sagt der Anwalt unserer Zeitung. Ermel: „Er sagte, wenn der Brand vor 15 Jahren passiert wäre, dass ihm die Nachricht dann deutlich näher gegangen wäre als zum jetzigen Zeitpunkt.“ Schließlich habe er das Haus seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen. Dennoch bedauere Meiwes es, dass sein Elternhaus – in dem er seit Kindheitstagen gewohnt hat – und sein Inventar in Schutt und Asche liegen. Zwar habe der 61-Jährige nicht vorgehabt, wieder nach Wüstefeld zu ziehen, auch wenn es irgendwann zu einer Entlassung kommen sollte. Als Ferienhaus habe Meiwes das Haus dennoch nutzen wollen. Laut Rechtsanwalt Ermel steht derzeit nicht fest, ob Meiwes wieder auf freien Fuß kommt oder lebenslänglich im Gefängnis bleibt.

Kannibale von Rotenburg habe keine Brandschutzversicherung

Weil in das Haus in den vergangenen zwei Jahrzehnten wiederholt eingebrochen wurde, seien die wichtigsten Sachen von Meiwes bereits vor 15 Jahren abgeholt worden. „Zwei Wäschekörbe voll mit seinen persönlichen Sachen, das ist alles, was ihm noch aus dem Haus bleibt“, sagt Ermel. Der Rechtsanwalt war von Anwohnern am frühen Montagmorgen kontaktiert worden und gegen 5.30 Uhr vor Ort. „Mit dem Haus ist ihm nun praktisch alles genommen worden, was er noch hatte.“ Eine Brandschutzversicherung habe sein Mandant nicht.

Die Siedlung Wüstefeld gehört zum Rotenburger Stadtteil Atzelrode. Dessen Ortsvorsteherin Sylvia Schellhase spricht von einem Zwiespalt. „Einerseits ist es schade um das Herrenhaus mit seiner langen Geschichte. Andererseits hoffe ich sehr darauf, dass bald endlich Ruhe einkehrt und der unzumutbare Zustand der täglichen Belagerung für die Nachbarn ein Ende hat.“ Nahezu täglich kamen Schaulustige – aus ganz Europa. Tun konnten die Wüstefelder dagegen nichts, bei Hausfriedensbruch müsse der Eigentümer Anzeige erstatten, so Schellhase. Das ist bis heute Armin Meiwes, der in Kassel im Gefängnis sitzt.

Wüstefeld will keine Gruseltouristen

Das „Kannibalen-Haus“ hat sich infolge der großen medialen Aufmerksamkeit und durch das Internet zum Anziehungspunkt für Fans sogenannter Lost Places (verlorene Orte) entwickelt. Dazu sagt Bürgermeister Christian Grunwald unserer Zeitung: „Die Stadt hat ein großes Interesse daran, dass hier keine Brandruine stehen bleibt, die weiter irgendwelche Gruseltouristen lockt. Dazu werden wir uns mit dem Eigentümer und seiner Rechtsvertretung abstimmen.“ Das Wichtigste sei zunächst aber, dass bei dem Feuer niemand verletzt wurde und auch die Nachbarn keinen Schaden davongetragen haben. (Christopher Ziermann, Carolin Eberth)

Und wieder wimmelt es in Wüstefeld von Journalisten. Mitarbeiter von Zeitungen, Onlineportalen, Radio und Fernsehen tummeln sich in dem nicht einmal zehn Häuser zählenden Ort, über dem am Vormittag Rauchschwaden hängen.

Haus des Kannibalen in Rotenburg: „Erst letzte Woche waren Leute aus Belgien hier“

Eine junge Frau schiebt sich mit ihren weißen Turnschuhen direkt zwischen den schwarzen Überresten des Hauses und drei Rotenburger Feuerwehrleuten hindurch, die mit dem Schlauch im Anschlag bereitstehen, während ein 30-Tonnen-Bagger immer neue Glutnester freilegt. Kameras und Smartphones fangen das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln ein. Die Frequenz der Schaulustigen, die Bürgermeister Christian Grunwald als „Gruseltouristen“ bezeichnet, dürfte nun wohl erst noch einmal zunehmen – das vermuten die Nachbarn ebenso wie Atzelrodes Ortsvorsteherin Sylvia Schellhase.

Direkt neben dem Brandhaus hält Nebenerwerbslandwirt Dieter Janousch Schafe, Ziegen und Esel, die sich ein paar Stunden nach dem Feuer mittlerweile wieder beruhigt haben. Auf die Presse ist der Wüstefelder nicht allzu gut zu sprechen. „Die Berichterstattung damals hat uns Anwohnern hier viel Ärger gebracht. Später kamen dann natürlich noch Youtube-Kanäle dazu“, sagt Janousch. Gruppen mit mehr als zehn Menschen, teils in dunkler Kleidung oder „Esoteriker“, die sogar im Meiwes-Haus übernachtet hätten – Ruhe herrschte in Wüstefeld in den vergangenen Jahren selten. „Erst letzte Woche waren Leute aus Belgien hier“, sagt Janousch. Er hat sich selbst beruflich öfter mit der Sanierung alter Fachwerkhäuser beschäftigt und trauert nun auch um den Verlust des denkmalgeschützten Gebäudes. Vor allem aber stellt er sich die Frage, wie es nun weitergeht. Werden die Überreste vom Brand beseitigt oder steht hier noch Jahre lang eine Ruine?

Nachbarn mussten „Dreistigkeit der Leute dulden“

Die Hoffnung auf Ruhe in ihrem Ort hatten die Wüstefelder in den zurückliegenden Jahren aufgegeben. Einige Nachbarn hatten sogar mal Barrikaden errichtet und die Türen zugenagelt, berichtet Ortsvorsteherin Sylvia Schellhase. „Es hat aber nur ein paar Tage gedauert, bis die nächsten Schaulustigen im Haus waren. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Dreistigkeit der Leute zu dulden.“ Nun stellt sich die Ortsvorsteherin noch mal auf eine Zunahme an Schaulustigen ein. Doch dann hoffe sie, dass sich diese Form des „Tourismus“ in Wüstefeld langfristig erübrigt, wenn bekannt wird, dass es nichts mehr zu sehen gibt.

„Free Armin Meiwes“ hat irgendjemand auf die Scheiben des grünen Kombis geschrieben, der auf dem Grundstück abgestellt war.
„Free Armin Meiwes“ hat irgendjemand auf die Scheiben des grünen Kombis geschrieben, der auf dem Grundstück abgestellt war. Viele weitere Fotos finden Sie auf unserer Internetseite unter hna.de/rotenburg. © Christopher Ziermann

Am Montagnachmittag kehrt gegen 13.45 Uhr erst einmal etwas Ruhe ein. Der Rauch hat sich zwar noch nicht ganz verzogen, aber die Journalisten sind ebenso wie die Einsatzkräfte abgerückt. Über zehn Stunden waren die Rotenburger Feuerwehren vor Ort – anfangs mit 80 Einsatzkräften, ab vormittags noch mit knapp zehn Männern. Die haben zunächst eine Verschnaufpause, bis gegen 10.30 Uhr die Bebraer Firma Beisheim mit einem 30-Tonnen-Kettenbagger anrückt. Zuvor hatte schon die Rotenburger Firma Palatinus mit einem Radbagger unterstützt, doch an die zahlreichen Glutnester unter den zusammengestürzten Wänden war ohne schweres Gerät kein Herankommen. Mit chirurgischer Präzision verschafft sich der Baggerfahrer zunächst Platz, indem er Gebüsch und dicke Äste entfernt – auch der grüne Kombi, auf den irgendjemand „Free Armin Meiwes“ geschrieben hat, kommt zwischen die Greifer, weil er zu dicht an der qualmenden Brandruine steht.

Nun ist alles soweit abgelöscht, dass nicht mehr davon auszugehen ist, dass sich noch einmal Flammen entwickeln, sagt Stadtbrandinspektor Jörg Fleischhut. Sicherheitshalber liegt aber noch ein Schlauch bereit. (Christopher Ziermann)

Von Wüstefeld nach Wehlheiden: Die Geschichte des Kannibalen

Im Dezember 2002 wird in Rotenburg an der Fulda ein unvorstellbares Verbrechen entdeckt: Der 41-jährige Armin Meiwes gesteht, einen Bekannten mit dessen Einverständnis getötet und teilweise gegessen zu haben. Die Tat sorgt über Deutschland hinaus für Entsetzen. Meiwes hat einen 43-Jährigen aus Berlin, den er über das Internet kennengelernt hat, mit dessen Einverständnis getötet und Teile von ihm aufgegessen. Er hat es gefilmt, sich das Video angesehen und sich dabei selbst befriedigt. Meiwes hatte per Anzeige im Internet nach willigen Opfern gesucht. Der Name, den ihm die Medien geben: der „Kannibale von Rotenburg“.

Die Details sind grausig: So schneidet der damals 41-Jährige dem zwei Jahre älteren Opfer zunächst den Penis ab und brät diesen, um ihn gemeinsam mit dem Opfer zu essen. Später tötet er den mit 20 Schlaftabletten betäubten Berliner und schneidet ihn in Stücke. Einen Teil des Fleisches friert er ein, den Rest des Leichnams vergräbt er. In der Folgezeit wird er sein Opfer zu einem Großteil essen – nach eigenen Angaben etwa 20 Kilogramm. Der Beschuldigte habe ein umfassendes Geständnis abgelegt, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Kannibale von Rotenburg: Meiwes war „lieb und nett“

Der Medienrummel, der folgt, ist in Rotenburg beispiellos. In gemieteten Hubschraubern kreisen Journalisten über dem kleinen Ort Wüstefeld, der zum Stadtteil Atzelrode gehört. Die Nachbarn sind schockiert – und können trotzdem kaum Schlechtes über Meiwes sagen: „Er war immer hilfsbereit, immer korrekt, freundlich, immer Gentleman. Er war lieb und nett, stets höflich und zuvorkommend“, wird der Kannibale von nebenan beschrieben. Es ist das Muster eines unauffälligen Zeitgenossen, das sich noch oft wiederholen wird.

Armin Meiwes wird in Essen geboren und wächst allein mit seiner Mutter auf. Er gilt als Einzelgänger. 1981 verpflichtet er sich bei der Bundeswehr, die meiste Zeit ist er in Rotenburg stationiert. Er verlässt die Bundeswehr 1985 als Oberfeldwebel mit einwandfreiem Führungszeugnis. Anschließend arbeitet er als Computertechniker für ein Bankenrechenzentrum in Kassel. Als die Mutter 1999 stirbt, bleib Meiwes allein im großen Fachwerkhaus in Wüstefeld zurück. Er chattet auf einer Seite für Kannibalen unter dem Pseudonym „Franky, der Metzger“, gibt Anzeigen auf und antwortet auf Annoncen. So kommt der Kontakt zum späteren Opfer zustande.

Nachdem der Bundesgerichtshof ein Urteil des Kasseler Landgerichts (achteinhalb Jahre für Totschlag) aufhebt, wird Armin Meiwes 2006 in Frankfurt abschließend verurteilt. Das Gericht entscheidet auf „Lebenslang wegen Mordes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe“.

Schweres Gerät für die Löscharbeiten: Mit einem 30-Tonnen-Bagger legen die Firma Beisheim und die Rotenburger Feuerwehr noch bis zur Mittagszeit Glutnester in der Brandruine frei.
Schweres Gerät für die Löscharbeiten: Mit einem 30-Tonnen-Bagger legen die Firma Beisheim und die Rotenburger Feuerwehr noch bis zur Mittagszeit Glutnester in der Brandruine frei. © Christopher Ziermann

Kannibale von Rotenburg sitzt in der JVA Kassel

Laut Psychiater und Psychologen ist er voll schuldfähig. Der „Kannibale von Rotenburg“ verbüßt seine Strafe in der Justizvollzugsanstalt in Kassel-Wehlheiden. Er ist wiederholt als mustergültiger Gefangener beschrieben worden.

Beim Urteil lebenslang wird spätestens nach 15 Jahren Haft geprüft, ob die restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt werden kann. Entscheidend ist dabei auch eine sogenannte Gefährlichkeitsprognose. Im Jahr 2017 lehnt das Landgericht Kassel einen Antrag auf vorzeitige Entlassung von Meiwes ab, das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt das Urteil: Es könne keine günstige Prognose gestellt werden.

Die Geschichte des „Kannibalen von Rotenburg“ wurde wiederholt aufgegriffen – unter anderem im Spielfilm „Rohtenburg“ mit Thomas Kretschmann in der Hauptrolle, dessen Veröffentlichung in Deutschland Meiwes letztendlich vergeblich versucht, zu verhindern. 2013 zeigt er in einem Interview Reue: „Ich habe auf jeden Fall falsch gehandelt.“ Er würde die Tat ungeschehen machen: „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es sofort tun.“ (Clemens Herwig)

Vor zehn Jahren sagte Armin Meiwes im HNA-Interview: „Ich habe auf jeden Fall falsch gehandelt.“

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